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Der Friedrich Schiller Code

Gemeinsam in einem interdisziplinären Projekt mit Historikern, Molekularbiologen und Chemikern hat die Anthropologie dazu beigetragen, den über 150jährigen Streit um sterblichen Überreste Friedrich Schillers zu lösen.

© U. Wittwer

Erst 21 Jahre nach Schillers Tod suchen unter anderem Weimars Bürgermeister Carl Leberecht Schwabe, der Schiller persönlich kannte und schätzte, sowie einige Freunde und Verehrer Schillers, im modrigen und beengten Kassengewölbe auf dem Jacobs-Friedhof in Weimar nach Schillers Sarg und den darin liegenden Schillerschen Gebeinen. Doch die Särge und Gebeine im Gewölbe sind nicht mehr zu unterscheiden. So werden insgesamt 23 Schädel geborgen, von dem der Größte einstimmig als der Schillerschädel bezeichnet wird. Goethe soll diesen Schädel einige Wochen bei sich im Schreibzimmer aufbewahrt haben, und zu dieser Zeit sein berühmtes Gedicht „Bei der Betrachtung von Schillers Schädel“ geschrieben haben. Später wird ein Körperskelett geborgen, welches dem Schädel zugeschrieben wird.

Ende September des folgenden Jahres, am 24.09. 1827 benachrichtigt Großherzog Karl August Goethe über sein Vorhaben, die so genannten „Schillerschen Gebeine“ in die Fürstengruft zu Weimar zu überführen, nachdem der Schädel abgegossen wurde. So werden die Schiller zugeschrieben Gebeine in der Fürstengruft auf dem neuen Friedhof in Weimar am 16.12.1827 beigesetzt. 1832 wird Goethe, wie es sein Wunsch war, in einem Sarkophag neben dem Schillersarg beigesetzt.

Ab 1883 bricht ein Gelehrtenstreit um die Echtheit des Schillerschädels aus. Der Anatom Welcker erklärt den so genannten „Fürstengruftschädel“ für unecht. Ein Vergleich des Schädelabgusses mit der Totenmaske Schillers hatte Welcker zu dieser Überzeugung kommen lassen. Doch es gibt einige Gegenstimmen, die immer noch von der Echtheit des Schädels überzeugt sind.

© F. Ehret

1911 wird die Frage von dem Anatomen August von Froriep erneut aufgegriffen. Froriep exhumiert aus dem ehemaligen Kassengewölbe in Weimar insgesamt 63 Schädel, von denen er einen als den echten Schädel Friedrich Schillers bezeichnet. Auch ein Skelett wird geborgen, welches diesem Schädel zugeordnet wird. 1914 erscheint Frorieps Abhandlung, in welcher er versucht die Echtheit seines „Froriepschädels“ anhand von Schillers Totenmasken zu beweisen. Auch der „Froriepschädel“ wird in der Fürstengruft beigesetzt. Ab diesem Zeitpunkt existieren zwei Schillerschädel und zwei Schillerskelette. Ein nicht zu enden scheinender Streit bricht nun erneut aus, wie zahlreiche Veröffentlichungen von Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen beweisen. Anfang der sechziger Jahre versucht ein Team von Anthropologen die Frage erneut zu klären. Der russische Anthropologe Gerassimov befindet gemeinsam mit dem Berliner Anthropologen Ullrich nach einer Gesichtsrekonstruktion und einer Ähnlichkeitsanalyse den „Fürstengruftschädel“ als den echten Schillerschädel und schließt den „Froriepschädel“ als Schillerschädel aus.

Seit diesen Untersuchungen 1961 ruhen die mutmaßlichen Schillergebeine im Schillersarkophag in der Fürstengruft zu Weimar.

Die Grundfragen in dem Projekt betreffen die beiden Schädel, um welche der Wissenschaftsstreit kreist. Gehört einer der beiden Schädel tatsächlich Schiller und welcher ist der echte? Wem gehört dann der zweite Schädel? Gehört das später aufgefundene Skelett zum Schädel? Kann die Todesursache, über die mit der Obduktion nach Schillers Tod berichtet wurde, bestätigt werden?

Die Anthropologie in Freiburg hat sich durch zahlreiche Arbeiten an historischen Skeletten sowie durch ein spezielles Labor zur Forensischen Anthropologie, in dem an der Identifiezierung unbekannter Leichenfunde gearbeitet wird, eine spezielle Expertise erworben, die diesem Projekt zugute kommen konnte.

Anthropologische Ausgrabungsmethoden sind in besonderem Maße zur Rekonstruktion von Bestattungsabfolgen und zur Identifizierung der Bestatteten im Grab geeignet. Mitarbeiter der Anthropologie in Freiburg haben in Bonn und in Stuttgart Exhumierungen vorgenommen und an den dort geborgenen Überresten sowie in Ludwigsburg Proben für die molekulargenetischen Analysen entnommen.

Bei einer derartigen Vorgehensweise stellt sich immer auch die Frage, ob das wissenschaftliche Interesse eine Graböffnung rechtfertigt. Mit der Antwort, dass die alten Gräber nicht mehr dem in Deutschland geltenden Friedhofsgesetz unterliegen, ist zwar die rechtliche, nicht jedoch die moralisch-ethische Seite der Frage beantwortet. Letzlich haben sich die Projektbeteiligten dazu entschlossen, da nur mit Probennahmen für molekulargenetische Untersuchungen zweifelsfreie Ergebnisse möglich waren.

Einerseits wird in Zukunft Besuchern an authentischen Orten des Wirkens Schillers eine klare Zuordnung dort aufbewahrter Relikte gegeben werden können und andererseits lassen sich viele kulturgeschichtlich bedeutende Gerüchte, die sich um die Person Friedrich Schillers ranken, endgültig klären.

© F. Ehret

Ein spezielles Verfahren stellt die virtuelle Gesichtsrekonstruktion mit dem Computersuperpositionsverfahren dar, das Frau Wittwer-Backofen in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt entwickelt hat. Als Ergebnis entstehen Fahndungsbilder im Paßbildstil. Dieses Verfahren kam auch in dem Schillerprojekt bei den verschiedenen Schädeln zur Anwendung.

Es wurden zudem Vergleiche mit Totenmasken und Porträts vorgenommen. Hierbei kam es insbesondere darauf an, die Paßgenauigkeit zwischen den verschiedenen Objekten zu überprüfen. Dies wurde hauptsächlich mit dreidimensionalen Darstellungsmethoden erreicht, basierend auf comutertomographischen Daten. Hier ergänzten sich die Anthropologie und Dr. Dr. Marc Metzger von der Poliklinik für Mund- Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Freiburg in idealer Weise.

Für die anthropologischen Arbeiten in dem Projekt begann ein Wettlauf mit der Zeit. Methoden, mit Hilfe derer Schädel bzw. Gesichtsweichteile angepasst werden können, befanden sich gerade im Stadium der Erprobung, ein gemeinsames Forschungsprojekt von Anthropologie/ Poliklinik für Mund- kiefer- und Gesichtschirurgie hierzu lief noch. Das Projekt war geprägt von nächtelangem Einlesen von CT-Daten, der Suche nach individuellen Merkmalen in Porträts, der Herstellung von 3D-Prints, dem Mikroskopieren und vielen weiteren methodischen Schritten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Überprüfung des Sterbealters des fraglichen Schädels. Unter Ergänzung durch histologische Methoden der Zahnzementuntersuchung, bei der die jährlich im Zahnzement angelegten „Jahresringe“ ausgezählt werden, sind recht präzise Bestimmungen möglich.

Eine besondere Erfahrung war die Zusammenarbeit in diesem interdisziplinären Projekt, in dem oft kurzfristig Überprüfungen notwendig waren, Ergebnisse nicht immer den Erwartungen entsprachen und mit anderen beteiligten Wissenschaftlern diskutiert werden mußten. Neue Strategien wurden im Gespräch entwickelt und erforderten eine flexible Ausrichtung der erforderlichen nächsten Schritte. Hier sind insbesondere Dr. Ute Gebhardt und Eva Hempel zu nennen, die beide souverän die Moderation zwischen den beteiligten Wissenschaftlern übernahmen. Ihnen sei an dieser Stelle ein besonderer Dank zuteil.

© F. Ehret