Hinweise und Empfehlungen für den Umgang mit psychischen Belastungen in Zusammenhang mit der "Corona-Krise"
Als Klinikmitarbeiter*innen mit langjähriger Erfahrung im Umgang mit psychischen Belastungen, Krisen und Störungen möchten wir nicht nur Patient*innen unserer Klinik helfen. Wir möchten einen Beitrag leisten für Betroffene, die sich in der aktuellen Situation verständlicherweise als belastet, verunsichert oder vielleicht auch überfordert erleben. Dazu haben wir eine Auswahl von Maßnahmen zusammengestellt, die sich bei der Bewältigung besonderer Belastungen bewährt haben.
Wir alle befinden uns aktuell in einer außergewöhnlichen, für uns völlig neuen und belastenden Situation. Sich in dieser Zeit Sorgen zu machen, immer wieder verunsichert zu sein, sich vermehrt gestresst, traurig, wütend, ängstlich oder hilflos zu fühlen, ist nachvollziehbar und völlig normal.
Realistische Sorge ermöglicht uns, in der aktuellen Situation angemessene Verhaltensmaßnahmen zu ergreifen und diese im weiteren Verlauf anzupassen. Sie sollten diese Gefühle nicht wegschieben. Erlauben Sie sich, diese Gefühle zu haben und geben Sie Ihnen einen angemessenen Raum.
Für manche Menschen kann es hilfreich sein, ihre Gefühle aufzuschreiben, sich kreativ auszudrücken oder sich mit anderen darüber auszutauschen.
Gleichzeitig darf die Beschäftigung mit diesen Gefühlen nicht unseren gesamten Tag einnehmen und bestimmen. Unabhängig von den Bedingungen, unter denen wir leben, gibt es eine Reihe von Dingen, die wir tun können, um möglichst gesund und stabil zu bleiben und somit mit den äußeren wie inneren Belastungen umzugehen. Dabei können zum Beispiel Aktivitäten hilfreich sein.
Diese Verhaltensweisen haben nichts mit Egoismus oder unangebrachter Wellness in Zeiten der Not zu tun, sondern sollen helfen, gesund zu bleiben, sich zu schützen und somit direkt oder indirekt auch für andere da sein zu können.
Informationen sind notwendig und können helfen Orientierung zu geben. Gleichzeitig kann eine ungefilterte Nachrichtenflut aber auch verunsichern und das Stresslevel zusätzlich erhöhen.
Daher ist es wichtig, auf folgende Aspekte zu achten:
- Informieren Sie sich nur so viel, wie es unbedingt notwendig ist, um nicht ständig „auf Alarm“ geschaltet zu sein. Schränken Sie die Häufigkeit des Nachrichtenkonsums daher z.B. auf ein- bis zweimal am Tag ein. Beachten Sie dabei auch, dass insbesondere Bildmaterial zu einer höheren Stressbelastung führen kann.
- Nutzen Sie vertrauenswürdige Quellen, um sich in einem für Ihren Alltag relevanten Maße über die aktuelle Situation zu informieren (z.B. Informationen des Robert Koch-Instituts oder der Gesundheitsämter).
- Wichtig sind vor allem die Meldungen, die Verhaltensregeln betreffen wie z.B. Hygienevorschriften, Kontakteinschränkungen und Handlungsempfehlungen.
- Achten Sie auch im Austausch mit anderen darauf, dass es nicht NUR um dieses eine Thema geht. Gönnen Sie sich und anderen „Corona-Pausen“.
Fast jeder Mensch hat schon einmal schwierige Zeiten in seinem Leben gemeistert. Erinnern Sie sich an Strategien, die Ihnen in diesen Phasen geholfen haben und versuchen Sie – mit ggfs. kleinen Veränderungen - diese auch jetzt wieder anzuwenden. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, mit Stress umzugehen. Am einfachsten ist es aber, wenn Sie etwas nutzen können, von dem Sie schon wissen, dass es Ihnen ganz persönlich gut tut.
Das schließt natürlich nicht aus, dass Sie auch die hier genannten Beispiele für Verhaltensweisen ausprobieren, die bei vielen anderen Menschen hilfreich sind.
Beispiele hierfür sind:
Lesen, Musik oder Radio (nicht Nachrichten!) hören, ein schönes Essen kochen, mit Kindern spielen, Blumen aufstellen, Zuhause aufräumen/putzen, ein ausgiebiges Bad nehmen oder duschen (ggf. mit Düften kombiniert – Lavendel hat nachgewiesenermaßen einen angstmindernden Effekt!), Fotos anschauen, mit Freunden oder Angehörigen telefonieren, Handarbeit, Kreuzworträtsel, Holz hacken, Beschäftigung mit individuellen Interessen (Sport, Fotografie, Kunst, Musik, Religion, Philosophie, Handwerk, Autos, Technik, …)
Struktur und Routinen können ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle vermitteln.
Versuchen Sie, Ihre bisherigen Routinen so weit wie möglich aufrecht zu erhalten oder schaffen Sie neue Routinen:
- Stehen Sie morgens zur gleichen Zeit auf und gehen Sie abends zur gleichen Zeit ins Bett.
- Behalten Sie Ihre Morgenroutinen bei, betreiben Sie Körperpflege und ziehen Sie sich an.
- Sollten Sie von zuhause aus arbeiten, schaffen Sie sich einen Arbeitsplatz und trennen Sie dabei soweit möglich den Arbeits- vom restlichen Wohnbereich. Behalten Sie so gut es geht Ihre üblichen Arbeitszeiten bei.
- Achten Sie auf Ihre Grundbedürfnisse: Gönnen Sie sich Pausen, essen und trinken Sie gesund und genügend, achten Sie auf ausreichende Bewegung.
- Planen Sie Ihren Tag: Sollten viele sonst von außen vorgegebene Termine wegfallen, machen Sie sich selbst Termine (ggf. auch mit sich selbst). Füllen Sie Ihren Tagesplan sowohl mit „Arbeitseinheiten“ als auch mit „Freizeiteinheiten“ und halten Sie ihn schriftlich fest (z.B. Stundenplan auf Papier, Nutzung von Handykalendern oder Smartphone-Apps).
- Planen Sie Ihre Woche: Trennen Sie entsprechend Ihrem üblichen Arbeitsalltag Arbeitstage von Freizeit.
Versuchen Sie, auch Wochenendroutinen mit erforderlichen Anpassungen beizubehalten (es gibt auch Möglichkeiten, sich mit mehreren Freunden per Videochat zu einem Kaffee o.ä. zu verabreden, zuhause zu tanzen, …).
Sportliche Aktivität lenkt von der übermäßigen Beschäftigung mit Sorgen ab, senkt das Stressniveau und hat einen nachweislich antidepressiven und angstlösenden Effekt.
Ausdauersport wie Joggen, Walken oder Fahrradfahren ist hierzu besonders geeignet.
Falls äußere Umstände, körperliche Einschränkungen oder persönliche Vorlieben das nicht zulassen, finden Sie eine andere Art von Bewegung, die für Sie gut passt und die Sie regelmäßig in Ihren Alltag einbauen können.
Probieren Sie Verschiedenes aus und fangen Sie in kleinen Schritten an, wenn Sie etwas noch nicht gewohnt sind.
Beispiele:
- Joggen, Walken, Spazierengehen oder Fahrradfahren
- Kniebeugen, Hampelmann, auf der Stelle Laufen oder Seilspringen am offenen Fenster
- Treppen steigen, Tanzen
- Online-Angebote oder Apps für Yoga oder Fitness, ...
Gefühle von Einsamkeit können in der jetzigen Situation vermehrt auftreten. Mit anderen Menschen Kontakt zu haben und sich verbunden zu fühlen ist hilfreich für unser Wohlbefinden und auch in räumlicher Distanz möglich.
- Halten Sie bestehende Kontakte aufrecht und ziehen Sie sich nicht zurück.
- Tauschen Sie sich mit Menschen aus, denen Sie vertrauen.
- Nutzen Sie dazu alle bestehenden Möglichkeiten (persönliches Gespräch mit Abstand, Telefonie, Videochat, Textnachrichten, Briefe, …).
- Versuchen Sie auch, andere Wege des Austausches mit anderen zu finden (auch der „Plausch“ von Balkon zu Balkon oder Fenster sowie kurze Kontakte wie z.B. Smalltalk beim Einkaufen tun gut).
- Wenn Sie Internetforen zum Austausch nutzen, achten Sie darauf, was Ihnen wirklich gut tut. Wer beispielsweise weiß, dass er zu Krankheitsängsten neigt, sollte sich nicht ständig mit Gesundheitsthemen und Symptombeschreibungen beschäftigen.
Es gibt sehr viele verschiedene Methoden, die dabei helfen können, das Stresserleben zu reduzieren sowie Körper und Geist zu entspannen.
- Wenn Sie bereits eine Entspannungsmethode kennen, die Ihnen hilft, wenden Sie diese regelmäßig weiter an (z.B. direkt nach dem Aufstehen, in der Mittagspause, vor dem Schlafengehen).
- Probieren Sie verschiedene Methoden aus und nutzen Sie das, was Ihnen persönlich am meisten hilft (z.B. Progressive Muskelrelaxation, Imagination, Autogenes Training, Achtsamkeit/ Meditation, Atemtechniken, …)
- Bauen Sie diese Techniken gezielt als neue Routine in Ihren Tagesplan ein.
- Nutzen Sie diese darüber hinaus spontan oder bei Bedarf auch mehrmals täglich.
- Sie finden eine Vielzahl an angeleiteten Übungen über Online-Medien sowie häufig kostenfreie Apps. Häufig bieten auch Krankenkassen Ton- oder Videoanleitungen für Entspannungsverfahren zum Download an.
Wenn Sie Genuss- oder Suchtmittel wie Alkohol, Tabak oder andere Substanzen nutzen, um zu entspannen oder damit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Hilflosigkeit, Langeweile oder Einsamkeit zu begegnen, kann speziell in angespannten Zeiten, in denen übliche Bewältigungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, rasch ein Missbrauch oder gar eine Abhängigkeit entstehen.
Vermeiden Sie dies, indem Sie andere aktive Methoden (z.B. oben genannte) nutzen, um mit Ihren Gefühlen umzugehen.
Viele Menschen haben plötzlich und unvorbereitet deutlich mehr Zeit. Es hilft, diese Freiräume zu nutzen, um sich mit Dingen oder Themen zu beschäftigen, die Ihnen wichtig oder lieb sind und für die Sie sonst üblicherweise zu wenig Zeit finden.
Beispiele dafür können sein:
- Die Kamera wieder hervorkramen
- Fotos sortieren und Fotoalben erstellen
- Endlich mal den Keller ausmisten
- Ausgiebig, gesund und mit Hingabe kochen (neue Rezepte oder Gewürze ausprobieren)
- In kleinen Schritten Frühjahrsputz machen
- Briefe oder die eigene Biografie schreiben
- Ihnen nahestehenden Personen Geschenke machen
- Basteln, Malen oder Handarbeit
- Eine Sprache lernen oder wieder auffrischen
- Ein Puzzle machen
- Den Körper trainieren
Diese Liste lässt sich sicherlich individuell fortsetzen.
Hilfreich kann aber auch sein, dass Sie nach Möglichkeiten suchen, anderen zu helfen. Dies kann z.B. in der Familie, der Nachbarschaft oder in der Landwirtschaft sein, oder wo auch immer Sie helfen möchten, ohne dass Sie sich dabei selbst überfordern oder sich und andere gefährden.
Sie können die neuen Freiräume auch dazu nutzen, sich darauf zu besinnen, was Ihnen wirklich wichtig ist:
- Was sind Ihre Werte? Was ist Ihnen wirklich wichtig im Leben?
- Wo findet das gerade jetzt in Ihrem Leben und in Ihrem Alltag Platz?
- Wie können Sie diesen Dingen mehr Aufmerksamkeit schenken?
- Was können Sie dazu gerade in der aktuellen Situation tun oder verändern?
"Nicht die Dinge selbst machen uns Angst, sondern wie wir darüber denken" (frei nach Epiktet, griech. Philosoph).
Ja, wir können unsere Gedanken beeinflussen!
Versuchen Sie zunächst zu entdecken, wenn Sie Gedanken haben, die Sie als belastend erleben, die Ihr Stresslevel weiter erhöhen und auch ansonsten nicht hilfreich sind.
Versuchen Sie zunächst einfach nur, sich dabei zu beobachten. Sagen Sie sich z.B.: „Aha, da ist wieder dieser Gedanke, der meinen Stress hochfährt“.
Häufig sind das individuell ganz typische Sätze, die Sie schon in- und auswendig kennen und die selten hilfreich sind.
In einem zweiten Schritt können Sie versuchen, sich einen anderen Gedanken für diese Situation zu suchen, der auch stimmt, aber hilfreicher für Sie ist (ist das Glas halb voll oder halb leer?).
Das ist am Anfang gar nicht leicht, mit ein bisschen Übung können wir aber besser erkennen, dass es fast immer auch andere Perspektiven gibt. Damit können wir auf Dauer flexibler mit belastenden Gedanken umgehen und sind ihnen nicht so schutzlos ausgeliefert.
Beispiele hierfür können sein:
Belastender Gedanke: Mein Leben wird nie wieder so sein wie es war.
Hilfreicher Gedanke: Es ist auch eine Chance, Dinge zu verändern.
Belastender Gedanke: Ich habe Angst, dass meinen Angehörigen etwas zustößt.
Hilfreicher Gedanke: Ich kann jetzt für sie da und mit Ihnen in Kontakt sein.
Belastender Gedanke: Werde ich alles verlieren?
Hilfreicher Gedanke: Es werden sich neue Möglichkeiten auftun, es wird auch Hilfen geben.
Weitere wichtige und hilfreiche Informationen finden Sie auf folgenden Seiten:
Deutsche Angst-Hilfe e.V. (DASH)
Die Deutsche Angst-Hilfe veröffentlicht unter angstfrei.news zweimal am Tag eine Auswahl an relevanten Informationen und Meldungen zur aktuellen Situation bzgl. SARS-COVID-19.
Stiftung Deutsche Depressionshilfe
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe stellt Betroffenen einen kostenfreien Zugang zum Online-Programm iFightDepression zur Verfügung. Interessierte können sich formlos über die E-Mail-Adresse ifightdepression@deutsche-depressionshilfe.de anmelden und werden innerhalb von 24 Stunden freigeschaltet.