Das Magazin 2 - 2018

Schon während ihrer Kindheit hat Berna Tuncer immer wieder unklare Entzündungen und heftige Schmerzen: Die Füße, der Bauch, alles tat ihr weh. Schließlich erleidet sie mit 19 Jahren ihren ersten Schlaganfall. Eine enorme Belastung für die junge Frau und ihre Familie. „Es ging mir oft sehr schlecht, weil ich auch die Gründe nicht kannte. Das war sehr schlimm und ich habe viel geweint und gefragt, wieso ich? Wieso mein Körper?“, sagt Berna Tuncer rückblickend. Sie ist gerade in der Reha, um sich von ihrem vierten Schlaganfall zu erholen, als der fünfte passiert. Darauf- hin wird sie ans Universitätsklinikum Freiburg ge- bracht. Hier lernt sie auch Professor Dr. Bodo Grimba- cher, den Wissenschaftlichen Direktor des Centrums für Chronische Immundefizienz (CCI) kennen. „Seine Sätze begannen nicht mit »wir vermuten …«, erinnert sich Berna Tuncer. „Er hat ganz anders gesprochen und was er gesagt hat, hat zu mir gepasst“. WELTWEIT NUR 100 MENSCHEN ERKRANKT Gleich beim ersten Treffen hat Grimbacher den Verdacht, dass Berna Tuncer an einem seltenen Immundefekt er- krankt sein könnte. Ein aufwändiger Bluttest bringt Gewissheit. Berna leidet tatsächlich an dem Enzym­ defekt ADA2. „Die Suche nach der möglichen Ursache war alles andere als einfach, daweltweit bisher nur etwa 100 Menschen betroffen sind“, erklärt Grimbacher. Der Enzymdefekt verursacht auch Entzündungen, die Schlaganfälle auslösen können. Ein erhöhter Entzündungswert in ihrem Blut war zwar seit ihrer Kindheit bekannt, doch bisher hatte niemand einen Zusammenhang zu den Schlaganfällen oder ei- nem möglichen Immundefekt hergestellt. Die richtige Diagnose führt schließlich zur richtigen Therapie: Statt der Medikamente für Schlaganfallpatienten erhält sie seitdem einen Mix aus Infusionen, Spritzen und Tablet- ten für ihr Immunsystem und gegen ihre Entzündungen. Unter dem Leitgedanken „Immundefizienz erkennen – verstehen – behandeln“ hilft das Centrum für Chronische Immundefizienz, kurz CCI, Menschen, die an seltenen und teilweise lebensbedrohlichen Störungen des Immunsystems leiden. Es hat sich zur wichtigsten Anlaufstelle in Deutschland für Patienten mit Immunerkrankungen entwickelt. Das Team von Professor Dr. Bodo Grimbacher entdeckte im Blut von Berna Tuncer den seltenen Enzymdefekt. Seitdem kommt sie zu regelmäßigen Kontrollen Centrum für Chronische Immundefizienz nach Freiburg. CHANCE AUF HEILUNG BIRGT HOHES RISIKO Mit den Infusionen lassen sich zwar jetzt die Entzün­ dungen kontrollieren, nicht allerdings die Ursache der Krankheit. Die zu behandeln wäre sehr riskant, erklärt der Immunologe Grimbacher: „Wenn wir eine Knochen- marktransplantation durchführen, hat sie ein Sterbe­ risiko von 15 bis 20 Prozent. Anschließend wäre sie ge- heilt, aber eben nur in 80 Prozent der Fälle.“ Dieses Risiko ist für Berna zu hoch. Sie fühlt sich gut im Moment, ist vor allem glücklich, endlich zu wissen, was sie krank ge- macht hat. MIT POSITIVEM BLICK IN DIE ZUKUNFT Zwar leidet Berna Tuncer noch heute an den Folgen der Schlaganfälle, eine Körperhälfte ist weiterhin teilweise taub und sie hat wenig Kraft. Auch ihre Feinmotorik funktioniert nicht mehr wie früher. BeimSprechen sucht sie ab und zu nach Worten und das Lernen bereitet ihr Schwierigkeiten. Doch trotzdem freut sie sich über jeden neuen Tag. In Heidelberg macht sie eine Ausbildung zur Produktdesignerin und träumt von ihrer eigenen Firma. I Prozent aller Menschen weltweit teilen Berna Tuncers Schicksal. ND ODER FEIN das magazin 02 | 2018 Schwerpunkt Chronische Entzündungen 9

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