Das Magazin 1 - 2018

DAS ERBGUT GESUND SCHNEIDEN Herr Professor Cathomen, mögen Sie Revolutionen? Das kommt ganz darauf an. Gesellschaftlich sind mir stabile Verhältnisse lieber, aber in der Wissenschaft sind revolutionäre Zeiten extrem spannend. In der biomedizi- nischen Forschung erleben wir seit 2012 eine solche Phase. Damals wurde erkannt, dass man mit dem Biomolekül CRISPR das menschliche Erbgut, die DNA, sehr präzise schneiden und verändern kann. War das die erste Genschere, die entdeckt wurde? Nein, Genscheren gehören schon lange zum Werkzeug der Molekularbiologie. Ich selbst arbeite seit 15 Jahrenmit entsprechenden Systemen. Die Besonderheit bei der Gen- schere CRISPR ist, dass sie sich sehr einfach, schnell und günstig herstellen lässt. Dadurch kann fast jedes Labor der Welt damit arbeiten. Wie funktionieren solche Genscheren? Genscheren sind Moleküle, die das Erbgut präzise an ei- ner vorher festgelegten Stelle schneiden. Das kann zum Beispiel genutzt werden, um krankmachende Gene aus- zuschalten oder um therapeutisch wirksame Gene ziel- gerichtet in das Erbgut der Zelle einzuschleusen. Dazu nutzen wir natürliche Reparaturprozesse in der Zelle, die normalerweise dafür verantwortlich sind, unser Erbgut instand zu halten. Kranke Gene schnell und präzise ersetzen: Mit Genscheren können schon heute Immunzellen fit für den Kampf gegen Krebs gemacht werden. Professor Dr. Toni Cathomen leitet am Universitätsklinikum Freiburg das Institut für Transfusionsmedizin und Gentherapie. Er ist optimistisch, mit solchen Genscheren zukünftig auch HIV- infizierte Menschen heilen zu können. Menschen mit HIV-Infektion müssen bislang ein Leben lang Medikamente nehmen, damit die Immunschwä- chekrankheit AIDS nicht ausbricht. Sie arbeiten daran, diese Menschen mit Genscheren zu heilen. Wie kann das gelingen? Das Virus vermehrt sich in T-Immunzellen, was zu Stö- rungen in der Immunabwehr führt und die Patienten sehr infektanfällig macht. Um in die Zellen zu gelangen, bindet das Virus an ein Oberflächenprotein, CCR5 ge- nannt. Manche Menschen tragen eine Veränderung im Erbgut und stellen CCR5 gar nicht her. Sie sind immun gegen die meisten HIV-Infektionen. Schalten wir mit ei- ner Genschere die Produktion von CCR5 aus, kann das Vi- rus nicht mehr in die Zelle eindringen. Kürzlich haben wir die Finanzierung für die europaweit erste Studie si- chergestellt, um bei HIV-Patienten Stammzellen mit Genscheren entsprechend zu verändern. Diese Studie führen wir zusammen mit Kollegen aus der Infektiologie und der Hämatologie durch. In zwei Jahren erwarten wir erste Ergebnisse. 4 das magazin 01 | 2018

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