Das Magazin 1 - 2014 - page 22-23

150 Rollen für Schauspi elpati enten
Elisabeth Utz ist eine der mittlerweile rund 45 Schauspiel-
patienten. Die pensionierte Lehrerin und Theaterpädagogin
mimt für die Psychosomatik eine geschockte Brustkrebspati-
entin, in der Psychiatrie eine suizidgefährdete depressive Pa-
tientin und in der Allgemeinmedizin sollen die Studierenden
sie, eine Diabetikerin mit mangelnder Disziplin, überzeugen,
sich gesünder zu ernähren. „Ich achte darauf, wie ich emp-
fangen werde, ob mir beim Antworten genug Zeit gelassen
wird und ob der Student das, was ich sage, aufnimmt und
darauf eingeht“, berichtet Utz. „Am Ende frage ich mich:
Würde ich zu diesem Arzt wieder kommen?“ Nach dem Ge-
spräch geht sie kurz vor die Tür. „Draußen schüttele ich mich,
streiche einmal über Arme und Beine und verändere etwas
an meiner Kleidung. Zum Feedback setze ich mich dann auf
einen anderen Platz als vorher.“
All dies diene dazu, die Rolle wortwörtlich abzustreifen und
sich von ihr zu distanzieren, erklärt Manuela Klau-
be. Die gelernte Körpersprache-, Kommunikations-
und Schauspieltrainerin, die zusätzlich als Kranken-
schwester in der Psychiatrie arbeitet, war 2006 eine
der ersten Schauspielpatientinnen und am Aufbau
des ZeSiMed beteiligt. Seit Oktober 2008 leitet sie
die Ausbildung der Schauspieler. „Jede der etwa 150
verschiedenen Rollen hat nicht nur eine individuelle
Krankengeschichte, die von Ärzten des Universitäts-
klinikums geschrieben wird, sondern auch der soziale und
berufliche Hintergrund und Charakter sind genau ausformu-
liert“, erklärt Klaube.
In mehreren Sitzungen lernen die zukünftigen Schauspielpa-
tienten jede Einzelheit zu ihrer Rolle und dem zugehörigen
Krankheitsbild. „Zu jedem Charakter und jeder Erkrankung
gehört eine bestimmte Stimme, Mimik und Körperhaltung.
Ein depressiver Patient zum Beispiel sitzt mit hängenden
Schultern, spricht mit leiser Stimme und zeigt kaum Mimik.
In der Rolle einer Borderline-Patientin kann man auch mal
aggressiv werden und aus dem Raum stürmen“, erklärt Klau-
be. Immer wieder übt sie mit den angehenden Schauspielpa-
tienten die Gespräche, dabei spielt sie selbst die Studentin –
und gibt sich dabei mal engagiert und mal völlig unmotiviert.
„Dann sollen die Schauspielpatienten an mir üben, ein hilfrei-
ches Feedback zu geben.“
„Das ist ein Glioblastom, also, die
bösartige Form eines Hirntumors.“
Unsicher wühlt der Arzt in seinen
Unterlagen, räuspert sich, stottert.
Das Telefon klingelt und der Mann,
der soeben ein Patient geworden ist,
muss warten. Statt mit Mitgefühl
wird er mit Fachwörtern überschüt-
tet und mit einer tödlichen Diagnose
allein gelassen. Kaum zu glauben,
dass diese Szene aus dem Film „Halt
auf freier Strecke“ gar nicht so selten
der Realität in deutschen Kliniken
entspricht. Am Universitätsklini-
kum Freiburg möchte man es besser
machen. Mit Schauspielpatienten
werden Medizinstudentinnen und
-studenten auf herausfordernde Pa-
tientengespräche vorbereitet, damit
sie im Ernstfall richtig reagieren.
„Besonders junge Ärzte sind oft
mit schwierigen Situationen, wie
dem Überbringen einer schlechten
Nachricht, überfordert. Doch gerade,
wenn Patienten mit starken Emotio-
nen wie Angst oder Trauer zu kämp-
fen haben, brauchen sie nicht nur
einen fachlich kompetenten Arzt,
sondern einen mitfühlenden Beglei-
ter“, erklärt Medizinpsychologe Dr.
Götz Fabry, der vor einem Jahr die
Leitung des „ZeSiMed“ (Zentrum für
Simulationspatienten der Medizini-
schen Fakultät) von seiner Kollegin
Waltraud Silbernagel übernahm.
„Ein solcher empathischer Um-
gangmit Patienten kann erlernt wer-
den.“ Neben Techniken, die den zu-
künftigen Ärzten helfen sollen, die
Gespräche richtig zu strukturieren,
sollen sie in der Wahr-
nehmung von Emo-
tionen geschult
werden
und
t r a i n i e r e n ,
diese auch
i n
Wor te
zu fassen.
„Wenn eine
Patientin
im
Nebensatz
erwähnt, der Ehemann sei vor kur-
zem verstorben, darf man dies nicht
übergehen, auch wenn es erst ein-
mal unangenehm ist“, erklärt Fabry.
„Auch Themen wie Sexualität oder
Drogenkonsum kosten die Studen-
ten anfangs Überwindung.“
Seit 2006 werden Freiburger Me-
dizinstudierende
mit Hilfe von
Schauspielpa-
tienten auf
Patientengespräche
aller Art vorbereitet.
Im Fach Medizinische Psychologie
zum Beispiel üben die angehenden
Ärztinnen und Ärzte Anamnesege-
spräche, in der Psychosomatik neben
anderem das Überbringen schlech-
ter Nachrichten, in der Psychiatrie
den Umgang mit psychisch insta-
bilen Patienten. Denn nicht nur in
Extremsituationen sei eine gute Ge-
sprächsführung wichtig, sagt Götz
Fabry. Mit der richtigen Technik
könne man im Anamnesegespräch
bessere Informationen erhalten,
eine Vertrauensbasis zum Patienten
aufbauen und diesem ein besseres
Verständnis seiner Erkrankung ver-
mitteln. All dies könne wiederum
den Behandlungserfolg und die Pati-
entenzufriedenheit erhöhen.
In Seminaren erlernen die Studie-
renden die Gesprächstechniken, die
sie anwenden sollen, sie schauen Vi-
deos von besonders schlecht oder gut
geführten Gesprächen und direkt
vor Eintreffen des Schauspielers oder
der Schauspielerin erhalten sie einen
kurzen Einführungstext zum Fall.
Nach dem Gespräch gibt es ein Feed-
back von den Kommilitonen und dem
Seminarleiter. Auch der „Patient“
kommt zu Wort. (Siehe Kasten)
DieGesprächemit denSchauspiel-
patientenseienkeinesfallseinErsatz
für den Kontakt mit echten Patien-
ten, betont Fabry. Vielmehr dienten
sie dazu, die Studierenden optimal
auf den Patientenkontakt vorzube-
reiten. „Als Anfänger macht man
zwangsläufig Fehler, bei den Schau-
spielpatienten bleiben diese aber
ohne Konsequenz und können von
ihnen sogar kommentiert und von
den Lehrenden korrigiert werden.
So profitieren nicht nur die Studen-
ten, sondern auch ihre zukünftigen
Patienten.“
Medizinstudenten
üben an Simulanten
Patienten brauchen nicht nur
einen fachlich kompetenten
Arzt, sondern einen mitfühlen-
den Begleiter. Am Universitäts-
klinikum wird der Nachwuchs
dafür vorbereitet.
Di e Krankhe it
gespi elt, das
Mitgefühl echt
Medizinstudierende werden auf
herausfordernde Patientengespräche vorbereitet,
damit sie im Ernstfall richtig reagieren
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