Das Magazin 1 - 2014 - page 16-17

Angeborene Immundefekte sind Er-
krankungen, bei denen das Immun-
system aufgrund von genetischen
Defekten nicht funktioniert. SCID
ist dabei die schwerste Form. Betrof-
fene Kinder leiden schon im Säug-
lingsalter an Infektionen, die von
untypischen Erregern verursacht
werden und besonders schwer und
langandauernd sind. Etwa eines von
50.000 Neugeborenen ist betroffen.
Unbehandelt führt die Erkrankung
meist innerhalb des ersten Lebens-
jahres zum Tod.
Freiburger Forscher des Centrums
für chronische Immundefizienz
(CCI) am Universitätsklinkum Frei-
burg fanden nun ein weiteres Puzz-
lestück, das zur Aufklärung ange-
borener Immundefekte beiträgt. Sie
untersuchten zusammen mit dem
Ulmer Kinderarzt und Mitglied des
CCI Klaus Schwarz vier kanadi-
sche Kinder, die an einer besonders
schweren Form der Immunschwä-
che litten, und identifizierten das de-
fekte Gen, das die Erkrankung ver-
ursachte. „Noch ist nicht
klar, wie viele Kinder
auf der Welt von genau
dieser Form der SCID
betroffen sind“, er-
klärt Professor Dr. Stephan Ehl, Me-
dizinischer Direktor des CCI.
Doch viel wichtiger sei, was die
Wissenschaftler durch die Entde-
ckung über das Immunsystem ge-
lernt haben: „Das defekte Gen stellt
einen Knotenpunkt zwischen den
zwei Armen des Immunsystems dar,
dem angeborenen und dem spezifi-
schen, dessen Rolle im menschlichen
Immunsystem
bisher
nicht gut verstanden
war.“ Diese Erkenntnis
befähigt Forscher, das
Immunsystem in seiner
Gesamtheit besser zu
begreifen, Rückschlüs-
se auf ähnliche Krank-
heitsbilder zu ziehen und neue The-
rapien zu entwickeln.
Das Immunsystembesteht aus der
angeborenen Immunität, die schnell
und unspezifisch körperfremde Zel-
len angreift, sowie der spezifischen
Immunität. Letztere entwickelt
sich im Laufe der ersten Lebens-
jahre: Die Abwehrzellen lernen da-
bei, ganz bestimmte Krankheitserre-
ger zu erkennen und zu vernichten.
„Bei SCID fehlen normalerweise
die Zellen des spezifischen Immun-
systems. Bei dieser neu entdeckten
Form sind die Abwehrzellen vorhan-
den, aber nicht funktionsfähig. Neu
war auch, dass das angeborene Sys-
tem ähnlich schwer betroffen ist“,
erklärt Ehl.
Sobald SCID diagnostiziert wird,
werden die betroffenen Kinder iso-
liert, um den Kontakt mit Krank-
heitserregern zu minimieren. In-
fekte werden mit Medikamenten
bekämpft. Die
einzige Mög-
lichkeit, SCID
zu heilen, ist je-
doch eine Stamm-
zelltransplantation. Mit Hilfe einer
Chemotherapie werden die defekten
Stammzellen im Knochenmark zer-
stört und gesunde Spenderzellen
eingesetzt. Die Nebenwirkungen
der Chemotherapie und die Ab-
stoßung der Spenderzellen sind
gefürchtete Komplikationen.
„Eine Behandlung kann zur
vollständigen Heilung führen,
aber nur dann, wenn sicher ist,
dass nur die blutbildenden Zellen
betroffen sind. Das lässt sich in der
Regel nur beurteilen, wenn der ver-
ursachende Gendefekt bekannt ist“,
sagt Stephan Ehl.
Dies gilt im Besonderen für ei-
nen weiteren Behandlungsansatz,
die Gentherapie. Hierzu werden er-
krankte Zellen des Kindes
entnommen, genetisch
verändert und wieder
eingesetzt. Besonders
Kinder, für die es keinen
passenden Spender gibt,
würden von dieser Therapie
profitieren, so Ehl. „Diese Therapie
ist bereits bei vier Unterarten der
SCID-Erkrankung im klinischen
Einsatz. Allerdings traten bei den
ersten Behandlungsversuchen ge-
häuft Leukämien auf, sodass sie
bisher nur experimentell angewen-
det werden kann“, erklärt Ehl. Der
Mediziner glaubt an die Zukunft der
Gentherapie. „Forschergruppen ma-
chen täglich Fortschritte auf dem
Gebiet, auch Wissenschaftler des
Freiburger Instituts für Zell- und
Gentherapie suchen unter der
Leitung von Professor Dr. Toni
Cathomen nach sicheren Metho-
den der Gentherapie.“
Die Freiburger Forscher des
CCI leisten mit ihrer Entdeckung
einen wichtigen Beitrag zur Weiter-
entwicklung der Screening-Metho-
den, der gezielten Gentherapie und
dem Verständnis des Immunsys-
tems. „Diese neue Form der SCID, bei
der die Zellen normal aussehen, aber
nicht funktionieren, konnte bisher
von Ärzten nicht erkannt werden“,
erklärt Ehl. „Durch die Entdeckung
der Mutation können Mediziner nun
gezielt danach suchen und kranken
Kindern eine Diagnose
und damit auch
die Hoffnung
auf Heilung
geben.“
Weltweit leiden etwa sechs Millionen Kinder an angeborenen Immun-
schwächen. Milde Immundefekte machen sich erst im späten Kindesalter
bemerkbar, die schwersten Formen, sogenannte „Schwere kombinierte Immun-
defekte“ (SCID), können sogar tödlich sein. Freiburger und Ulmer Forscher
entdeckten ein neues Gen, das eine besondere Art von SCID verursacht.
Kontakt
Centrum für
chronische Immundefizienz (CCI)
Das defekte Gen stellt einen Knotenpunkt
zwischen den zwei Armen des Immunsystems
dar, dem angeborenen und dem spezifischen,
dessen Rolle im menschlichen Immunsystem
bisher nicht gut verstanden war
Durch die Entdeckung der Mutation
können Mediziner nun gezielt danach
suchen und kranken Kindern
eine Diagnose und damit auch die
Hoffnung auf Heilung geben
Defektes Gen
macht krank
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