Das Magazin 3 - 2013 - page 10-11

Sie arbeiten seit knapp 20 Jahren
als Mikrobiologe – wie hat sich die
Mikrobiologie verändert, seit Sie ange-
fangen haben?
Wir verstehen die Eigenheiten
von Bakterien und anderen Mik-
roorganismen viel besser. Die mo-
derne Technologie erlaubt uns, diese
winzigen Lebewesen sogar auf Ge-
nebene zu betrachten. Und auch die
Diagnostik, also der Nachweis von
Bakterien, ist viel effizienter, schnel-
ler und kostengünstiger geworden.
Aber auch das Patientenkollektiv
ist ein ganz anderes. Es gibt mehr
ältere und schwer kranke Patienten,
denen wir heute helfen können. Die-
se Patienten haben aber in der Regel
ein geschwächtes Immunsystem,
sodass Erreger sie krank machen
können, die normalerweise gar nicht
gefährlich sind. Diese Patienten sind
natürlich schwieriger zu behandeln.
Wir sind von Millionen Bakterien besie-
delt – warum sind wir nicht alle krank?
Das liegt daran, dass nicht alle
Bakterien „böse“ sind. Sowie sich ein
Adler von einem Affen unterschei-
det, gibt es Tausende von verschie-
denen Bakterienarten. Einige davon
brauchen wir, damit es uns gut geht,
andere leben einfach auf und in uns,
ohne uns zu stören. Wieder andere
können unter bestimmten Umstän-
den gefährlich werden, zumBeispiel,
wenn das Immunsystem nicht mehr
funktioniert. Und zuletzt gibt es die
Bakterien, die uns immer krank ma-
chen, wenn wir mit ihnen in Kontakt
kommen. Insgesamt leben wir die
meiste Zeit in glücklicher Symbiose
mit diesen Billionen Bakterien, ohne
dass es uns bewusst ist.
Wir lassen Bakterien und Viren für uns
arbeiten, in der Lebensmittelherstel-
lung, in der Biochemie oder der Pro-
duktion von Medikamenten. Sind wir
mittlerweile Herr der Mikroben?
Wir haben viel über Bakterien und
Viren gelernt, können viele Infek-
tionen durch Hygienemaßnahmen
und Vorsicht verhindern und die
meisten behandeln. Aber diese klei-
nen Krankheitserreger sind sehr fle-
xibel. Der Mensch hat 20.000 Gene
insgesamt, Bakterien, die nur aus
einer einzigen Zelle bestehen, ha-
ben schon 5.000. Sie haben also Re-
serven, können sich verändern – ein
Restrisiko wird immer bleiben.
Wir sind insgesamt in der Bekämpfung
von Infektionen weit fortgeschritten,
wie kann es sein, dass ein Keim wie
EHEC ganz Deutschland wochenlang in
Atem hält?
Als die EHEC-Welle ausbrach, war
der Übeltäter schnell gefasst. Mikro-
biologen hatten den Keim innerhalb
weniger Tage identifiziert. Aber hier
zeigt sich, wie tückisch Infektionen
sein können. Das Problem war, dass
man die Bakterien zwar mit Antibio-
tika behandeln konnte, dabei wur-
de aber ein Gift freigesetzt, das die
Bakterien von einem so genannten
„Phagen“ (einem Bakterienvirus)
erhalten hatten, von dem sie selbst
infiziert waren. Und dieses Gift war
für die Patienten so gefährlich.
Was hat die Mikrobiologie aus EHEC
gelernt?
Während der EHEC-Infektion
haben wir gemerkt: Wir sind sehr
schnell in der Identifizierung des Er-
regers. Schwerer war es, die Quelle
dieses Keims herauszufinden. Ein
Grund ist natürlich, dass die Welt so
gut vernetzt ist, dass das infizierte
Produkt vermutlich aus Ägypten
nach Deutschland kam, und dass
der Vertriebsweg daher schwer zu
finden war. Es gab also keine durch-
gehende Spur, die man zurückver-
folgen konnte. Zum anderen hat sich
gezeigt, dass wir unser Meldesystem
verbessern müssen. Erkrankungen
müssten schneller zentral registriert
werden und nicht wie bisher durch
Umwege über verschiedene Stellen.
Mit der Entdeckung des Penicillins
konnten Infektionen erstmals effizient
behandelt werden. Heute sehen sich
Mediziner zunehmend mit multiresis-
tenten Keimen konfrontiert. Ist die Ära
der Antibiotika zu Ende?
Nein, ganz im Gegenteil. Heute
können wir über neunzig Prozent
aller Infektionen gut beherrschen,
viel mehr als bei der Einfüh-
rung von Penicillin. Und
dennoch stellen die mul-
tiresistenten Keime ein
riesiges Problem dar.
Solche
Resistenzen
werden durch den zum
Teil überflüssigen und
flächendeckenden Einsatz
von Antibiotika begünstigt,
wie er zum Beispiel in der Tier-
zucht vorkommt. Auch in Deutsch-
land werden immer noch zu häufig
Antibiotika verschrieben, wenn es
gar nicht nötig wäre. Hinzu kommen
Reisende und Patienten, die resis-
tente Keime aus Ländern mitbrin-
gen, wo die Resistenzlage noch un-
günstiger ist.
Was für Lösungsansätze gibt es?
Um dieser Entwicklung entgegen
zu wirken, muss der Antibiotika-Ver-
brauch eingeschränkt werden. Im
Klinikum sollten in manchen Situa-
tionen Patienten isoliert und auf re-
sistente Keime untersucht werden,
das Personal und auch die Patienten
und Besucher müssen über die rich-
tigen Hygienemaßnahmen geschult
werden. Ein ganz simpler, aber ef-
fektiver Ansatz ist die regelmäßige
und gezielte Händedesinfektion – für
Ärzte vor und nach Patientenkon-
takt, für Patienten beispielsweise vor
und nach dem Toilettengang und für
Besucher vor und nach dem Besuch
des Patienten. Natürlich muss auch
der Nachweis der resistenten Bakte-
rien reibungslos funktionieren.
Wie bekämpft das Universitätsklini-
kum Freiburg die Entstehung und Ver-
breitung von multiresistenten Keimen?
Wir betreiben eine rationale
Antibiotika-Therapie, indem unter
anderem klinisch tätige Mediziner
und Mikrobiologen in ständigem
Kontakt stehen. Die Stellen am Uni-
versitätsklinikum Freiburg, die an
der Infektionsmedizin beteiligt sind
(Mikrobiologie, Virologie, Kranken-
haushygiene, Infektiologie), sind im
Zentrum für Infektionsmedizin ver-
netzt. Wenn Patienten untersucht
werden, werden alle Ergebnisse im
klinikinternen Netz hochgeladen.
So können sich die Ärzte des Kli-
nikums ständig auf dem neuesten
Stand zu Resistenzen und deren Ver-
breitung halten. Wir arbeiten also
intensiv daran, sowohl Entstehung
als auch Ausbreitung der Keime zu
verhindern, und zwar durch Diag-
nostik, Hygiene und angemessene
Therapie.
Die Vogelgrippe hat gezeigt:
Per Flugzeug verbreiten sich
Infektionen rasend schnell
in der ganzen Welt.
Welche Rolle spielen Mi-
krobiologen im Zeitalter
der Globalisierung?
Krankheiten verbreiten
sich nicht nur viel schneller
als früher, sondern auch über die
Landesgrenzen hinweg. Wir Mikro-
biologen müssen uns wie die Bakte-
rien entwickeln: Schneller werden
und uns untereinander auf der gan-
zen Welt vernetzen. Zum Teil ist
das heute schon umgesetzt. Es gibt
nationale Datenbanken, in denen
alle mikrobiologischen Ereignisse
gesammelt werden.
1995 wurde zum ersten Mal das Genom
eines Bakteriums sequenziert, die For-
scher benötigten 13 Monate. Heute ist
das in wenigen Tagen möglich. Was
bedeutet dieser Fortschritt für die Be-
kämpfung von Infektionen?
Diese Techniken helfen uns, ge-
nau zu verstehen, warum ein Bakte-
rium krank macht und auch, wie es
Resistenzen bilden kann. Das wiede-
rum gibt uns einerseits die Möglich-
keit, völlig unbekannte, neue Keime
einzuordnen und zu überlegen, wie
man sie behandeln könnte. Anderer-
seits können wir an Medikamenten
arbeiten, die Infektionen verhindern
könnten, bevor sie ausbrechen, bei-
spielsweise an Impfstoffen.
Kontakt
Prof. Dr. Georg Häcker
Ärztlicher Leiter des Instituts für Medizini-
sche Mikrobiologie und Hygiene
Telefon 0761 203-6531
Insgesamt leben wir die meiste Zeit in
glücklicher Symbiose mit Billionen
Bakterien, ohne dass es uns bewusst ist
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