Background Image
Table of Contents Table of Contents
Previous Page  28-29 / 44 Next Page
Basic version Information
Show Menu
Previous Page 28-29 / 44 Next Page
Page Background

SELTENEN

MUTATIONEN AUF

DER SPUR

Als eines von 17 Tumorboards am Uni-

versitätsklinikum Freiburg konzentriert

sich das Molekulare Tumorboard auf

einzelne Enzyme und zelluläre Signal-

wege, die für den Therapieerfolg ent-

scheidend sein können

Es ist Mittwochmorgen, 7.30 Uhr,

der kleine Besprechungsraum ist

gefüllt. Wie jede zweite Woche trifft

sich das Molekulare Tumorboard am

Universitätsklinikum Freiburg. Die

Mediziner und Naturwissenschaft-

ler um Professor Dr. Nikolas von

Bubnoff, Oberarzt in der Klinik für

Innere Medizin I, und Professor Dr.

Silke Laßmann vom Institut für Kli-

nische Pathologie besprechen neue

Diagnose- und Therapieverfahren

für Krebspatienten, bei denen die

Behandlung nicht anschlägt. „Wir

wollen verstehen, wie die jeweilige

Tumorerkrankung molekular tickt,

also welche Signalwege aktiviert

sind und therapeutisch blockiert wer-

den könnten“, erklärt von Bubnoff.

Der erste Patient wird vorgestellt:

Er leidet unter einem gastrointesti-

nalen Stromatumor (GIST), einer sel-

tenen Krebsart im Verdauungstrakt.

Für eine Operation ist der Tumor zu

groß; medikamentöse Therapien

blieben erfolglos. Das Kernteam des

Molekularen Tumorboards hat die

Krankengeschichte in den vergan-

genen Tagen gründlich betrachtet,

sie mit ähnlichen Fällen verglichen,

molekulare Analysen durchgeführt

und entsprechende Literatur recher-

chiert. Die Mediziner und Naturwis-

senschaftler sind den Gründen für

die Resistenz gegen die bisherigen

Therapien auf der Spur.

Häufig ist diese genetisch be-

dingt. Bei dem GIST-Patienten

konnte eine Mutation der Phospho-

inositid-3-Kinase (PI3-Kinase) fest-

gestellt werden. „Das ist ein Enzym,

das eine wichtige Rolle bei der Sig-

nalvermittlung innerhalb der Zelle

undbeimZellwachstumspielt.Wenn

es mutiert ist, kann das zu Krebs füh-

ren“, erklärt Laßmann. Damit hat

das Team einen Ansatzpunkt für die

Therapie identifiziert und sucht nun

nach einem Medikament, das die

fehlerhafte PI3-Kinase hemmt. Hier

beginnt die schwierigste Aufgabe

für die Mediziner. Selten sind bereits

Medikamente auf dem Markt; mit

etwas Glück gibt es eine passende

klinische Studie, an der der Patient

teilnehmen kann. Oft ist aber beides

nicht verfügbar. Dann bespricht das

Team eine mögliche „Off-Label“-Be-

handlung mit einem Medikament,

das den richtigen Wirkstoff enthält,

aber nicht für die Erkrankung zuge-

lassen ist. In Einzelfällen kann auch

um die Vorab-Nutzung eines noch

nicht zugelassenen Medikaments

gebeten werden.

Im Fall des GIST-Patienten konn-

te das Team eine klinische Studie

recherchieren, die eine passende

Kombinationstherapie aus zwei Sub-

stanzen testet. Allerdings ist die

Studie bereits geschlossen. Deshalb

wurde beim Hersteller angefragt,

ob das Medikament vor der offiziel-

len Zulassung für den schwerkran-

ken Patienten angewendet werden

darf. Der Hersteller hat zwar nicht

der Kombinations-, aber einer Mono-

therapie mit einem der beiden Wirk-

stoffe zugestimmt. Das Molekulare

Tumorboard diskutiert den Behand-

lungsansatz

und

formuliert eine Empfehlung für das

organspezifischeTumorboardfürGas-

trointestinale Tumore, das bei dem

GIST-Patienten

um

Unterstützung gebe-

ten hatte. Es werden an

diesem

Morgen

noch

vier weitere sorgfältig

vorbereitete Fälle be-

sprochen. Nicht immer

kann eine konkrete Be-

handlung vorgeschla-

gen werden. Oft geht

es zunächst umweitere

Diagnoseansätze,

um

neue Therapieoptionen

oder darum, den Grund

für Therapieresistenzen

zu identifizieren.

Mit der molekula-

ren Betrachtung von

Krebserkrankungen

wird das Denken in

„Organ-Schubladen“

zunehmend aufgegeben.

„Es geht nicht mehr

nur um Brust-

oder Magenkrebs,

sondern um da-

h i n t e r l i e g e n d e

Merkmale,

die

anzeigen, ob be-

stimmte Therapien

überhaupt

wirk-

sam sein können“,

sagt von Bubnoff.

Damit verbunden

ist auch ein

Neudenken

von

klini-

schen Studien:

Die Medizin wird perso-

nalisierter, und bestimmte

Therapien helfen nur einer

begrenzten Anzahl an Pa-

tienten.

Demnach

sind

kleiner angelegte Studien

notwendig. „Wir sehen uns dabei als

Beratungsgremium für die organ-

spezifischen Tumorboards“, erklärt

Laßmann.

Gleichzeitig soll das recherchierte

Wissen auch zukünftig Verwendung

finden. Deshalb werden alle Unter-

lagen und Empfehlungen entspre-

chend den Krebserkrankungen und

molekularen Veränderungen doku-

mentiert. Entdeckt das Molekulare

Tumorboard erfolgreiche Therapien

für seltene Mutationen, führt es die

neuen Ansätze in klinische Studien

über, um sie künftig für weitere Pa-

tienten nutzbar zu machen.

MOLEKULARES

TUMORBOARD

„Wir wollen verstehen, wie

die jeweilige Tumorer-

krankung molekular tickt“

Mit der molekularen

Betrachtung wird das Denken in

„Organ-Schubladen“ zunehmend

aufgegeben

Tumorboards

gibt es insgesamt am

Universitätsklinikum Freiburg

17

29

1 | 2016

1 | 2016

28