Das Magazin 2 - 2013 - page 6-7

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Träume sind mehr als Schäume
Am Freiburger Universitätsklinikum beschäftigen sich
Experten mit der Erforschung von Träumen.
Der Ärztliche Direktor der Abteilung für Psychiatrie und
Psychotherapie, Prof. Dr. Mathias Berger, im Gespräch
Herr Professor Berger, was macht
ein Traumforscher?
Unter anderem haben wir versucht, den
Unterschied zwischen den Träumen
von gesunden Menschen und von psy­
chisch Erkrankten zu analysieren. Da­
bei interessierten uns vor allem die bei­
den Krankheitsbilder Depression und
Essstörungen.
Woran forschen Sie aktuell?
Im Moment haben wir eine Studie von
der Deutschen Forschungsgesellschaft
bewilligt bekommen, in der es um die
Träume von Patienten mit chronischen
Insomnien, also Schlafstörungen, geht.
Unsere Hypothese ist, dass negative
Trauminhalte dazu führen, dass das
nächtliche Erregungsniveau so hoch ist,
dass die Schwelle zum Wachwerden
absinkt.
Wie kommt es, dass viele Menschen
behaupten, sie träumten nie?
Man müsste präziser sagen, dass sie
sich im Wachzustand nicht an ihre
Träume erinnern. Das heißt aber eben
nicht, dass bei ihnen keine Träume auf­
treten, und es heißt auch nicht, dass
Träume für ihre Lebensgestaltung kei­
ne Bedeutung haben. Damit meine ich,
dass auch nicht erinnerte Träume emo­
tionale und implizite, das heißt unbe­
wusste Auswirkungen auf das Wach­
leben haben können.
Meinen Sie, dass unsere Träume uns
steuern?
Insbesondere unser wiederholtes Auf­
wecken gesunder Probanden aus dem
Traumschlaf hat dies sehr deutlich wer­
den lassen. Wie dies offensichtlich ge­
schieht, möchte ich Ihnen an einem Bei­
spiel erläutern: Eine unserer männlichen
Versuchspersonen hatte sich wiederholt
durch intelligentes und strebsames Ver­
halten sowohl privat als auch beruflich
Beeindruckendes aufgebaut. Mehrfach
hatte er jedoch durch leichtsinniges Ver­
halten sich dies wieder zerstört. Zur Zeit
unserer Analyse seiner Träume hatte er
sich wieder privat und beruflich erholt,
träumte aber fast wöchentlich von einer
besonders bitteren, durch sein leicht­
sinniges Verhalten erlittenen Niederlage.
Dieser Albtraum war offensichtlich mit­
entscheidend, dass er nun bereits über
mehrere Jahre sein Verhalten klug zügel­
te und riskante Entscheidungen mied.
Ihm selber war dieser Zusammenhang
zwischen Träumen undWachleben nicht
bewusst, doch akzeptierte er unmittelbar
unsere Interpretation.
Träumen Männer eigentlich anders
als Frauen?
Männer träumen eher vom Beruf, Kon­
kurrenzsituationen und kämpferischen
Auseinandersetzungen, Frauen von Be­
ziehungen und Familie. Sexualität
spielt bei beiden Geschlechtern lange
nicht so eine große Rolle, wie früher
vermutet wurde.
Ist es seriös, Träume allgemein zu
deuten, das heißt, ist die riesige Men-
ge von Literatur zu Traumsymbolen
ernst zu nehmen?
Nein, eine generell geltende Symbolik
von Gegenständen oder Aktionen im
Traum ist unseriös und unsinnig, weil
die Interpretation von Träumen immer
nur im Kontext der Geschichte und der
momentanen Lebenssituation des Träu­
mers erfolgen kann.
Professor Dr. Mathias
Berger erforscht seit
vielen Jahren die Träume
von psychisch Kranken
und von Gesunden
Kann man sich vornehmen, etwas
Bestimmtes zu träumen?
Es gibt sogenannte luzide Träume, bei
denen man im Schlaf sich des Träu­
mens bewusst ist und die Inhalte steu­
ern kann. Menschen mit schweren
Traumatisierungen in der Vorgeschich­
te, die sich regelhaft in Albträumen
wiederholen, lernen in Wachfantasien
die Albträume zu einem positiven Ende
umzuwandeln und durch häufiges Trai­
nieren dieser positiven Inhalte auch die
Abläufe der Träume zum Positiven zu
verändern und ihnen damit den Schre­
cken zu nehmen. Ein Beispiel wäre,
dass eine Frau, die in der Tiefgarage
überfallen wurde und dies wiederholt
träumt, sich im Wachen die Abläufe so
vorstellt, dass sie von einemWachmann
gerettet wird, der den Täter rechtzeitig
überwältigt und sie in Sicherheit bringt.
Bei regelmäßigem Einüben in Wach­
fantasien ist die Wahrscheinlichkeit
über 50 Prozent, dass es ihr gelingt, den
Traum so zu entdramatisieren.
Welche Patienten kommen mit solchen
Störungen oder Problemen zu Ihnen?
Wir haben im Universitätsklinikum
eine Psychotraumatologische Ambu­
lanz, wo viele Menschen mit schweren
Traumata sich zur Diagnostik und Be­
Auch nicht erinnerte
Träume sind bedeutsam
für die Lebensgestaltung
Info
Der Vortrag von Professor Berger
„Wie entstehen Träume und was
bedeuten sie?“ ist auf
uniklinikumfreiburg
zu sehen
handlung vorstellen. Dies sind zum
Beispiel Zugführer, die suizidale Men­
schen überfahren haben, oder Feuer­
wehrleute, die schlimmste Autounfälle
oder Brände erlebt haben. Bei all die­
sen Personen besteht die Gefahr, dass
durch wiederkehrende Albträume sich
eine posttraumatische Belastungsstö­
rung entwickelt.
Wo steht die Traumforschung heute?
Die Traumforschung wurde in der ers­
ten Hälfte des letzten Jahrhunderts
ganz von psychoanalytischen Interpre­
tationen beherrscht. Dann stand mit der
Entdeckung des REM-Schlafes als dem
Schlafanteil, in dem hauptsächlich
Träume auftreten, die neurobiologische
Untersuchung von Träumen im Vorder­
grund. In jüngster Zeit gibt es experi­
mentelle Ansätze, Träume mit bild­
gebenden Verfahren, also mit der
Kernspintomographie oder der Positro­
nen-Emissions-Tomographie genauer
zu untersuchen und zu analysieren, in­
wieweit auch die Inhalte der Träume
mit neuronalen Korrelaten in bestimm­
ten Hirnregionen zusammenhängen.
Sind Träume also mehr als Schäume?
Der berühmte amerikanische Schlaffor­
scher Allan Hobson hat einmal gesagt,
dass es der größte Unsinn der Natur wäre,
wenn Schlaf und Traum keine entschei­
dende Bedeutung für den Menschen hät­
ten, da wir einen großen Zeitraum unse­
res Lebens damit verbringen. Ich stimme
dem zu. Wenn die Träume nicht eine
hohe Bedeutung hätten, hätten sie in der
Evolution wohl kaum überlebt.
Träume anhand von Litera-
tur über Traumsymbolik
zu deuten, ist unseriös
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