Das Magazin 2 - 2013 - page 8-9

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In beiden Gruppen traten etwa gleich
häufig schwere Nebenwirkungen auf, also
Vorfälle, die einen Krankenhausaufenthalt
nach sich zogen. Während es sich in der
Medikamenten-Gruppe vor allem um un-
erwünschte Arzneimittelwirkungen han-
delte, standen in der THS-Gruppe Kom-
plikationen durch die Operation im
Vordergrund. Die 26 durch die OP ent-
standenen Nebenwirkungen konnten aber
alle erfolgreich behandelt werden. Bis auf
einen Fall, in dem der Patient lediglich
eine störende Narbe zurückbehielt. „Gleich-
zeitig konnte in der THS-Gruppe die
Medikamentendosis deutlich reduziert
werden, sodass die unerwünschten Arz-
neimittelwirkungen um 61 Prozent redu-
ziert werden konnten“, so Amtage.
Zwei Patienten der THS-Gruppe und
einer der Medikamenten-Gruppe begin-
gen Selbstmord, in beiden Gruppen kam
es je zu zwei Suizidversuchen. „Alle Teil-
nehmer wären zu der Implantation eines
Neurostimulators bereit gewesen, wir ver-
muten, dass die Menschen, die eine sol-
che Operation in Betracht ziehen, generell
risikobereiter sind.“ Neurochirurg Coe-
nen betont, dass sich die Befürchtung, die
THS könne eine erhöhte Suizidrate nach
sich ziehen, in den Studien nicht bestätigt
hat. „Die Ergebnisse unserer Studie zei-
gen, dass jüngere Parkinson-Patienten
von der Implantation eines Neurostimula-
tors profitieren“, sagt Amtage abschlie-
ßend. „Ich denke, dass sich
die Therapie-Empfeh-
lungen in den nächs-
ten Jahren in
diese Richtung
verändern
werden.“
kam es zu einer deutlichen Verbesserung
zwischen 25 und 35 Prozent, während sich
die Medikamenten-Gruppe in diesen Punk-
ten sogar verschlechterte. In den Aktivitä-
ten des täglichen Lebens berichteten die
Studienteilnehmer von einer Verbesserung
um etwa 35 Prozent, die Medikamenten-
Gruppe verbesserte sich um 5 Prozent. Die
geistige Leistungsfähigkeit, soziales Um-
feld und Kommunikation verbesserten sich
hingehen wenig bis gar nicht. „Die THS
hat vor allem Einfluss auf die motorischen
Symptome der Erkrankung, weniger auf
kognitive Beschwerden“, ergänzt Profes-
sor Dr. Volker Arnd Coenen, Ärztlicher
Leiter der Abteilung Stereotaktische und
Funktionelle Neurochirurgie des Universi-
tätsklinikums Freiburg.
Das Zittern hat ein Ende
Neue Hoffnung für Parkinson-Patienten: Durch eine Tiefe
Hirnstimulation erlangen sie laut einer Studie, an
der auch Freiburger Forscher beteiligt sind, eine deutliche
Verbesserung ihrer Lebensqualität um 26 Prozent
Unkontrollierbares Zittern der Hände.
Stundenlange Apathie. Jeder Schritt ein
innerer Kampf. 280000 Deutsche leiden
an Morbus Parkinson. Die Krankheit wird
durch einen Mangel des Botenstoffs Do-
pamin ausgelöst, wodurch wichtige Pro-
zesse bei der Initiierung von Bewegungen
gestört werden. Muskelstarre und -zittern,
verlangsamte Bewegungen und Haltungs-
instabilität sind die Folge.
Im Laufe der Erkrankung verschlim-
mern sich die Symptome unaufhaltsam,
immer höhere Medikamentendosen wer-
den benötigt, um sie in den Griff zu be-
kommen, bis die Nebenwirkungen der
Medikamente selbst zur Belastung wer-
den. Erst nach langjährigem Verlauf der
Erkrankung, als letzte Möglichkeit, setz-
ten Ärzte die Implantation eines „Hirn-
schrittmachers“ ein. Nun fanden Forscher
heraus, dass die Tiefe Hirnstimulation
(THS) nicht nur älteren, austherapierten
Patienten nützt, sondern dass sie bei jün-
geren Patienten der alleinigen Medika-
mentengabe sogar überlegen ist.
„Bisher kamen nur Parkinson-Patienten
im Spätstadium für eine THS infrage“, so
der Neurologe Dr. Florian Amtage. Dies
sei im Durchschnitt nach 11 bis 15 Jahren
Erkrankungsdauer gewesen, die Patien-
ten seien dabei meist über 60 Jahre alt
gewesen und durch ihre Krankheit
bereits immens in ihrer Lebensqualität
eingeschränkt. „Das Besondere an dieser
Studie ist, dass es sich um jüngere Patien-
ten handelte, im Durchschnitt 52 Jahre alt,
die seit kürzerer Zeit, im Mittel siebenein-
halb Jahre, an Parkinson erkrankt waren“,
erläutert Amtage, der zusammen mit dem
Neurochirurgen Marcus Pinsker die Stu-
dienverantwortung in Freiburg übernahm.
Je früher gehandelt wird,
desto besser für die
betroffenen Patienten
Die Forscher verfolgten insgesamt
251 Parkinson-Patienten zwischen 18 und
60 Jahren an neun deutschen und acht
französischen Kliniken über den Zeitraum
von zwei Jahren. Die Studienteilnehmer
wurden per Zufallsprinzip in zwei Grup-
pen eingeteilt – die eine Hälfte erhielt
eine bestmögliche medikamentöse Thera-
pie, die andere Hälfte wurde mit einer
Kombination aus THS und Medikamen-
ten therapiert. „Die Ergebnisse sind
beeindruckend“, erklärt Amtage. „Die
Patienten der THS-Gruppe zeigten eine
Verbesserung der Lebensqualität um
26 Prozent, bei der Medikamenten-Gruppe
blieb diese unverändert.“
In den Kategorien Mobilität, emotiona-
les Wohlbefinden und Körperwohlgefühl
Wie funktioniert die Neur   ostimulation eigentlich?
„Bei der Neurostimulation werden krank­
hafte Schwingungen von Nervengewebe
mit feinen Strömen beeinflusst und
durchbrochen“, sagt der Neurochirurg
Professor Dr. Volker Arnd Coenen. „Der
Vorteil der THS ist eine dauerhafte, unun­
terbrochene Stimulation – dies kann mit
Medikamenten nicht erreicht werden. So­
bald diese aber ausgeschaltet wird, keh­
ren die Symptome binnen Minuten zu­
Professor Dr. Volker Arnd
Coenen erläutert die
Funktionsweise der Tiefen
Hirnstimulation
rück. Den Großteil der Zeit sind die
Patienten bei der Implantation des Neu­
rostimulators wach, denn mit ihrer
Hilfe kontrollieren wir den Sitz der Elek­
troden“, erklärt Coenen. „Wir setzen
während der OP einen Testimpuls –
wenn wir an der richtigen Stelle sind,
verringern sich die Symptome des Patien­
ten, z.B. das Händezittern, augenblick­
lich.“ THS werde experimentell schon
bei anderen Erkrankungen erprobt, zum
Beispiel bei Epilepsie, Zwangserkran­
kungen und Depressionen. „Die Ergeb­
nisse sind vielversprechend“, so Coenen.
Bisher sei die Neurostimulation keine
Alternative, sondern erst nach Aus­
schöpfen aller anderen Therapieformen
sinnvoll. Doch Coenen prophezeit: „Die
THS wird als Therapie bei verschiedenen
Störungen an Bedeutung gewinnen.“
Laut Studie gibt es gleich
viele Nebenwirkungen, aber
eine bessere Wirkung
Kontakt
Prof. Dr. Volker A. Coenen
Ärztlicher Leiter Stereo­
taktische und Funktionelle
Neurochirurgie
Tel.: 0761/2 70-50630
volker.coenen@uniklinik-
freiburg.de
Über Elektroden werden
bei der Tiefen Hirn-
stimulation die Hirn-
areale des Patienten
gezielt angeregt
1,2,3,4-5,6-7 10-11,12,13,14-15,16-17,18-19,20
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