Das Magazin 2 - 2013 - page 10-11

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Rettung in
letzter Sekunde
Mit der Simulationspuppe „Meti“ üben Medizinstudierende
in der Anästhesie-Blockwoche den Ernstfall im
Operations-Saal – das Ziel sind optimal weitergebildete Ärzte
Der Blutdruck fällt dramatisch, die Herz-
rate steigt in einen kritischen Bereich.
„Wir brauchen…äh…Suprarenin, oder?“,
fragt die Anästhesistin unsicher. „Ja, ich
glaube schon“, antwortet ihre Kollegin
und blickt die OP-Schwester hilfesuchend
an, die ihr eine Spritze reicht. Doch der
gewünschte Effekt des Medikaments
bleibt aus, der Patient gleitet weiter in den
Schock. „Sie müssen jetzt handeln, sonst
wird der Patient die OP nicht überleben!“,
drängt die Schwester. Die beiden Frauen
sind verzweifelt – was sollen sie bloß tun?
Im Nebenraum, in dem acht Medizinstu-
denten die OP per Video mitverfolgen,
wird derzeit diskutiert. „Die müssen das
Antibiotikum abhängen, der hat bestimmt
einen allergischen Schock!“, schlägt einer
der Studenten, Victor Sander, vor. „Ich
gehe jetzt rein!“
Auf dem OP-Tisch liegt zum Glück
kein echter Mensch, sondern „Meti“, eine
komplexe Simulationspuppe. Die derzeit
ratlosen Anästhesistinnen sind ebenfalls
Medizinstudenten. Zusammen mit „Ober-
arzt“ Victor retten die beiden „Meti“ in
letzter Sekunde. Die zehn Studenten neh-
men an einem freiwilligen Simulations-
training teil, das während der Anästhesie-
Blockwoche angeboten wird. „Es werden
Problem-Situationen aus dem anästhesio-
logischen Alltag realitätsgetreu nachge-
stellt. Beispielsweise, dass ein Patient
falsch intubiert wurde oder auf ein Medi-
kament allergisch reagiert“, erklärt Dr.
Felix Ulbrich, Facharzt für Anästhesie an
der Anästhesiologischen Universitätsklinik
Freiburg. „Zwei Studenten spielen die
Anästhesisten, sie wissen nicht, was sie
erwartet. Die restlichen Teilnehmer beob-
Der Blutdruck fällt,
die Herzrate steigt in einen
kritischen Bereich –
die Studierenden wissen
erst mal nicht weiter
achten die Situation im Nebenraum auf
der Videoleinwand.“
Der Human Patient Simulator „Meti“
blinzelt, atmet, sein Herz schlägt, er hat
einen Puls. Per Mausklick bekommt er
einen Stimmlippenkrampf, Bronchial-
spasmus oder Lungenkollaps, man kann
ein EKG ableiten, intubieren, einen Bla-
senkatheter legen, defibrillieren oder eine
Thoraxdrainage legen. Und das Wichtigs-
te: Er reagiert realitätsgetreu auf Sauer-
stoffmangel, Blutdruckabfall und ge­
gebene Medikamente – theoretisch kann
„Meti“ sogar sterben. „Das ist im
Studententraining aber noch nie passiert“,
erklärt Ulbrich.
„Auch für uns ist es spannend“, ergänzt
er. „Wir steuern die Puppe aus dem Neben-
raum, wir können genau programmieren,
was sie als Nächstes tun soll. Was wir nicht
beeinflussen können, ist, wie die Studen-
ten reagieren. So ergeben sich ständig neue
Situationen.“ Zwar ist immer ein Betreuer
in der Rolle einer OP-Schwester oder eines
Chirurgen mit im Raum, sie greifen aber
nur sehr selten in die Situation ein. „Die
Studenten sollen selbstständig entscheiden
und handeln“, sagt Ulbrich.
Im Anschluss wird das Szenario noch
einmal mit der ganzen Gruppe angeschaut
und diskutiert. „Die Studenten wissen be-
reits, wie man intubiert und wie die Me­
dikamente wirken“, erklärt Dr. Johannes
Spaeth, Assistenzarzt der Anästhesie, der
die Studentensimulation zusammen mit Ul-
brich übernimmt. Es gehe also nicht darum,
praktische Fähigkeiten zu erlernen, das Ziel
sei vielmehr, das bereits Gelernte anzuwen-
den. „Man kann sich die zeitliche Abfolge
einer Narkose-Einleitung zehnmal durch­
lesen, es ist etwas ganz anderes, sie selbst
durchzuführen“, sagt Spaeth. „Wir erzeu-
gen dabei absichtlich eine Stresssituation
und provozieren Fehler, denn nur dann mer-
ken die Studenten, wo die Schwierigkeiten
im wahren Leben liegen. In unserem Simu-
lationstraining bleiben falsche Entscheidun-
gen folgenlos, einen echten Patienten kann
man nicht einfach neu starten.“
Das Simulations- und Trainingszen­
trum, das von Dr. Axel Schmutz, Oberarzt
an der Anästhesiologischen Uniklinik
Freiburg, geleitet wird, bietet Anästhesie-,
Notfallmedizin- und Pädiatrie-Simulatio-
nen sowie Reanimationskurse auch für
Studenten im Praktischen Jahr, Assistenz-
und Fachärzte an. „Während Studenten
vor allem Probleme mit den Abläufen,
Dosierungen und dem schnellen Treffen
von Entscheidungen haben, geht es im
Training für erfahrene Ärzte vor allem um
die Kommunikationsebene“, so Schmutz.
Medizinstudent Victor fand den unge-
wöhnlichen Unterricht spannend, lehrreich
und lustig. „Ich würde gerne wieder teil-
nehmen und kann es jedem nur empfeh-
len!“ Die Angebote des Simulations- und
Trainingszentrums begeistern die Studen-
ten – und die Patienten profitieren von op-
timal aus- und weitergebildeten Ärzten.
„Meti“ hat Körperfunktionen fast wie
ein echter Mensch. An der steuerbaren
Simulationspuppe können
Medizinstudierende den Ernstfall üben
Anästhesist
Dr. Johannes
Spaeth (2. v. l)
hilft den
Studierenden,
„Meti“ richtig
weiterzu­
behandeln
Nach der Narkose
wird erst mal gründlich
analysiert
Nicht nur die Studierenden
profitieren von „Meti“,
sondern auch erfahrene Ärzte
Die 65000 Euro teure Simulations­
puppe wurde 2004 von der Deut­
schen Gesellschaft für Anästhe­
siologie und Intensivmedizin e.V.
(DGAI) im Rahmen eines Pro­
gramms zur Optimierung der Lehre
und Weiterbildung an den Medizi­
nischen Fakultäten gesponsert. Die
laufenden Kosten des Simulations­
zentrums (Personal, Sachmittel,
Unterhalt) trägt der Lehrstuhl der
Anästhesiologischen Uniklinik über
Mittel des Lehrbudgets und punk­
tuelle Unterstützungen durch das
Studiendekanat. Über Ausrichtun­
gen von Trainingsprogrammen für
externe Teilnehmer werden drin­
gend benötigte Investitionsmittel
eingeworben, um die Weiterfüh­
rung dieses herausragenden Stu­
dienangebots zu ermöglichen.
Wer finanziert
das Projekt?
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