Bypasschirurgie

Das Herz ist ein großer Muskel, der das Blut durch den Körper pumpt. Wie alle anderen Muskeln wird auch der Herzmuskel von Blutgefäßen versorgt. Diese laufen kranzförmig um den Herzmuskel herum und heißen deshalb auch Herzkranzgefäße oder Koronarien (Korona lateinisch= Kranz).
Kommt es zu Verengungen oder Verschlüssen der Koronararterien, kann eine Bypassoperation notwendig werden. Bypass ist das englische Wort für Umleitung. Im Rahmen einer Bypassoperation werden Engstellen oder Verschlüsse von Herzkranzgefäßen mittels solcher Umleitungen umgangen, sodass die hinter den Engstellen liegenden Anteile des Herzmuskels wieder ausreichend mit Blut versorgt werden können. Die zu Grunde liegende Erkrankung solcher Engstellen oder auch Verschlüsse der Herzkranzarterien ist in den meisten Fällen eine koronare Herzkrankheit (KHK).
Die koronare Herzerkrankung (KHK) gehört in Deutschland zu den häufigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei führen Engstellen (Stenosen) in den Herzkranzgefäßen zu einer Minderversorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff. Besonders schwerwiegende Formen sind die Mehrgefäßerkrankung sowie die Hauptstammstenose.
In diesen Fällen ist eine koronare Bypassoperation oft die Therapie der Wahl, da sie eine vollständige und langfristige Durchblutungsverbesserung ermöglicht.
Laut den aktuellen Leistungsstatistiken der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) werden in Deutschland jährlich über dreißigtausend isolierte koronare Bypassoperationen durchgeführt. Trotz moderner Kathetertechniken bleibt die koronare Bypassoperation bei komplexen Mehrgefäßerkrankungen und Hauptstammstenosen ein zentraler Behandlungsbaustein.
Unser Ziel ist es, allen betroffenen Herzkranzgefäßen eine optimale Versorgung zukommen zu lassen und Ihnen ein maßgeschneidertes, individuelles Behandlungskonzept anzubieten. Uns steht dafür eine große Bandbreite innovativer und bewährter Operationsverfahren zur Verfügung.
1. MIDCAB (Minimally Invasive Direct Coronary Artery Bypass)
Bei der MIDCAB-Operation wird ein kleiner Schnitt zwischen den Rippen vorgenommen, ohne das Brustbein zu durchtrennen. Dabei wird in der Regel die linke Brustwandarterie (LIMA) auf die Vorderwandarterie (LAD) genäht.
Dieses Verfahren ist besonders schonend, da auf den Einsatz der Herz-Lungen-Maschine verzichtet werden kann und die Erholungszeit nach der Operation verkürzt ist. Es eignet sich vor allem für isolierte Engstellen der Vorderwandarterie und deren Seitäste.
Diese Verfahren zeichnet sich durch weniger Schmerzen, geringerer Infektionsgefahr und einer schnelleren Rückkehr in den Alltag aus.
Eine stationäre Aufnahme ist meist nur wenige Tage erforderlich.
2. TCRAT (Total Coronary Revascularization via Anterior Thoracotomy)
Bei diesem Verfahren erfolgt die Operation über einen seitlichen Schnitt zwischen den Rippen – ohne das Brustbein zu öffnen.
Der Eingriff wird unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine durchgeführt, um das Herz vorübergehend stillzulegen und ein optimales Arbeitsfeld zu schaffen.
TCRAT ermöglicht die vollständige chirurgische Revaskularisation mit guter Übersicht, bei gleichzeitig kleinerer Operationsöffnung im Vergleich zur konventionellen Operation über eine Durchtrennung des Brustbeins (Sternotomie).
Es eignet sich besonders für ausgewählte Patienten, bei denen ein schonenderer Zugang notwendig ist, ohne auf die Vorteile der Herz-Lungen-Maschine verzichten zu müssen.
Unsere Klinik bietet diese Technik seit 2023 an.
3. OPCAB (Off-Pump Coronary Artery Bypass)
Bei der OPCAB-Technik wird der Bypass am schlagenden Herzen ohne Herz-Lungen-Maschine angelegt.
Das Herz wird mit speziellen Haltesystemen stabilisiert, um die Bypassgefäße sicher anbringen zu können.
Bisherige Untersuchungen zeigen , dass das Risiko für Komplikationen wie Schlaganfall oder Nierenfunktionsstörungen durch diese Technik weiter gesenkt werden kann.
4. Konventionelle Bypassoperation mit Herz-Lungen-Maschine
Dies ist das klassische Standardverfahren, bei dem das Herz während der Operation stillgelegt wird.
Die Herz-Lungen-Maschine übernimmt vorübergehend die Pumpfunktion und Sauerstoffversorgung.
Der Chirurg kann in einem ruhigen, blutleeren Operationsfeld alle betroffenen Herzkranzgefäße präzise versorgen.
Gerade bei komplexer Mehrgefäßerkrankung oder schwieriger Gefäßanatomie ist dieses Verfahren oft die beste Wahl.
5. Hybridrevaskularisation
Die Hybridrevaskularisation kombiniert minimalinvasive Bypasschirurgie mit moderner Kathetertechnik (PCI/Stent).
Oft wird beispielsweise die Vorderwandarterie chirurgisch mit einer Brustwandarterie versorgt, während andere Engstellen im Herzkatheterlabor mit Stents behandelt werden.
Dies ermöglicht eine gezielte, maßgeschneiderte Therapie mit den Vorteilen beider Methoden.
Das Verfahren eignet sich besonders für Patienten mit speziellen Gefäßverläufen oder erhöhtem Operationsrisiko.
In unserer Klinik führen wir diese Eingriffe in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Klinik für Kardiologie und Angiologie durch, um für jeden Patienten die optimale Behandlungsstrategie sicherzustellen.
Graftauswahl – die Wahl des richtigen Bypassmaterials
Die Auswahl des geeigneten Bypassmaterials („Graft“) ist ein wesentlicher Faktor für den langfristigen Erfolg der Operation.
Unser Ziel ist, wann immer möglich, eine vollarterielle Versorgung, da diese exzellente Langzeitergebnisse bietet.
Die Entscheidung erfolgt individuell – basierend auf Ihrem persönlichen Risikoprofil und der Koronaranatomie.
Mögliche Bypassmaterialien:
Brustwandarterien (Arteria mammaria interna)
Die Brustwandarterien gelten als „Goldstandard“ in der Bypasschirurgie.
Sie zeichnen sich durch eine hervorragende Durchblutung, eine hohe Anpassungsfähigkeit an den Blutfluss und exzellente Offenheitsraten auch nach vielen Jahren aus.Armarterien (Arteria radialis)
Die Arteria radialis ist robust, hat eine kräftige Gefäßwand und eignet sich ideal zur Versorgung weiterer Herzkranzgefäße neben dem Vorderwandgefäß.
Sie zeigt sehr gute Langzeitergebnisse und ermöglicht eine vielseitige Bypassplanung.Vena saphena magna (große Beinvene)
Die Vena saphena magna bietet eine ausgezeichnete Länge und Flexibilität, sodass mehrere Herzkranzgefäße versorgt werden können.
Ihre gute Gewebequalität ermöglicht eine stabile und zuverlässige Durchblutung.
Durch die gezielte Auswahl dieser Gefäße in Kombination mit modernen Operationstechniken können wir eine dauerhafte und vor allem vollständige Wiederherstellung der Durchblutung Ihres Herzens erreichen.
Jede koronare Herzerkrankung ist so individuell wie der Mensch, der sie betrifft.
Daher beraten wir Sie persönlich und ausführlich auf Grundlage Ihrer Herzkatheteruntersuchung, um das für Sie optimale Operationsverfahren zu wählen.
Unser Ziel ist es, Ihnen eine maßgeschneiderte Behandlung anzubieten, die Ihre Herzgesundheit langfristig sichert und Ihre Lebensqualität verbessert.
Hierfür steht Ihnen unser erfahrenes interdisziplinäres Koronarteam gerne zur Verfügung.
Als Bypassmaterial am Herzen können verschiedene Gefäße verwendet werden:
Brustwandarterien
Zumeist wird die linke Brustwandarterie als Bypassmaterial verwendet. Im Rahmen der Herzoperation kann diese Arterie von der Brustwand abpräpariert werden. Anschließend wird das fußwärts gelegene Ende der Brustwandarterie abgetrennt und hinter der Engstelle der Kranzader aufgenäht. Seltener werden auch beide Enden der Brustwandarterie durchtrennt und das Gefäß als so genannter Freegraft verwendet. Dabei wird das kopfwärts gelegene Ende in den Aortenbogen eingenäht. Die linke Brustwandarterie besitzt von allen Bypassgefäßen die beste Langzeitprognose.
Stammvenen des oberflächlichen Venensystems aus Unter- und Oberschenkel
Das sauerstoffarme Blut wird aus den Beinen über ein tiefes und ein oberflächliches Beinvenensystem zurück zum Herzen geführt. Ist das tiefe Beinvenensystem intakt, kann die Stammvene des oberflächlichen Venensystems als Bypassmaterial verwendet werden. Das ist nicht möglich bei starken Krampfadern. Das eine Ende der Vene wird hinter der Engstelle des betroffenen Herzkranzgefäßes aufgenäht und das andere in die Aortenwurzel eingenäht.
Wir entnehmen die Beinvene mittels endoskopischer Technik, bei der nur minimale Hautschnitte zum Präparieren der Vene notwendig sind. Es kommt dadurch zu einem sehr guten kosmetischen Ergebnis. Komplikationen wie z. B. Wundinfekte nach Minivenen-Entnahme sind extrem selten.
Unterarmarterien (Arteria radialis)
Es gibt zwei große Unterarmarterien, die Arteria radialis und die Arteria ulnaris. Für die Bypassoperation wird die Arteria radialis verwendet. Vor der Entnahme wird über den so genannten ALLEN-Test sichergestellt, dass eine ausreichende Blutversorgung der Hand über die Arteria ulnaris besteht. Die Arteria radialis als Bypassmaterial wird insbesondere in zwei Fällen verwendet:
- Bei jungen Patienten, da arterielle Bypässe im Vergleich zu Venen-Bypässen bei hochgradigen Verengungen der Herzkranzgefäße längere Offenheitsraten gezeigt haben.
- Bei älteren Patienten, wenn aufgrund von Voroperationen oder z. B. von Krampfadern kein anderes Bypassmaterial zur Verfügung steht.
Neben arteriellen Bypässen werden nach wie vor die meisten Bypässe mit Venen angelegt. Als besonders geeignet hat sich eine spezielle Beinvene, die Vena saphena magna, herausgestellt. Des Weiteren kommt die Unterschenkelvene Vena saphena parva als Bypassgefäß in Frage. Armvenen werden nur in Ausnahmefällen verwendet, da diese im Vergleich zu Beinvenen deutlich kürzere Offenheitsraten haben.
Die Vena saphena magna wird im Allgemeinen durch einen durchgehenden Hautschnitt im Unterhautfettgewebe freipräpariert und in ihrer gesamten Länge entnommen. Diese traditionelle Präparationstechnik ist mit einer nicht zu vernachlässigenden Rate von Wundheilungsstörungen verbunden.
Um die Komplikationen zu verringern, haben wir eine endoskopische Operationstechnik entwickelt, die Wundheilungsstörungen reduziert und außerdem zu einem verbesserten kosmetischen Resultat führt. Wir entnehmen das bis zu 65 cm lange Venensegment mittels nur einem einzigen 2 bis 3 cm kleinem Schnitt. Dafür verwenden wir einen gemeinsam mit der Firma Storz entwickelten Subkutanretraktor (Modell Freiburg®, Storz, Tuttlingen), der ein 40° Endoskop mit Kaltlichtquelle enthält und mit einer 3-Chip Kamera verbunden ist.
Wir sind insbesondere bei jüngeren Patienten bemüht, komplett körpereigene Arterien als Material für die koronare Bypass-Chirurgie zu verwenden. Diese sind den arteriellen Blutdruckverhältnissen angepasst und weisen somit eine Elastizität auf, die ein Venen-Bypasses nicht leisten kann. Damit einher geht eine bessere Offenheitsrate der arteriellen Bypässe, die sich vor allem im Langzeitverlauf zeigt.
Wir verwenden sowohl die linke Brustbeinarterie, die sich in der koronaren Bypass-Chirurgie als Standardversorgung etabliert hat, als auch die rechte Brustbeinarterie sowie die Unterarmarterie (Arteria radialis). Für die Präparation der rechten Brustbeinarterie haben wir gemeinsam mit der Firma Karl Storz in Tuttlingen ein Sperrersystem entwickelt, den sogenannten Multiretraktor nach Schöllhorn. Damit können wir diese Arterie in gleich hoher Qualität wie die linke Brustbeinarterie durch spiegelbildliches Umsetzen des Sperrersystems präparieren.
Durch die Verwendung beider Brustbeinarterien und der Unterarmarterie ist eine komplette arterielle Bypass-Versorgung des gesamten Herzens möglich. Die komplette arterielle Revaskularisation des Koronarsystems ist zwar technisch etwas anspruchsvoller, aber insbesondere für jüngere Patienten wegen der prognostisch besseren Ergebnisse zu bevorzugen.
Da bei bestimmten Patienten der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine besondere Risiken mit sich bringt, wurden mehrere Techniken entwickelt, die darauf und insbesondere auf den kardioplegischen Herzstillstand verzichten. Diese minimal-invasiven Verfahren ermöglichen Operationen am schlagenden Herzen.
OPCAB-Operation (off-pump coronary artery bypass)
Wie bei der Standardtechnik wird meist die linke Brustwandarterie auf das Herzkranzgefäß der Vorderwand umgeleitet, um die Durchblutung hinter der Verengung sicherzustellen. Darüber hinaus können weitere Bypässe angelegt werden. Anhand der Brustbeinnarbe ist später nicht ersichtlich, ob nach konventioneller Technik oder im OPCAB-Verfahren operiert wurde. Wir führen die OPCAB-Technik seit 1999 durch.
MIDCAB-Operation (minimally invasive direct coronary artery by-pass)
Im Gegensatz zur herkömmlichen Methode und zur OPCAB wird das Brustbein nicht durchtrennt. Stattdessen erfolgt der Zugang über einen Schnitt links unterhalb der Brust. Ebenso wie bei den vorgenannten Techniken wird bei der MIDCAB die linke Brustwandarterie auf das Herzkranzgefäß der Vorderwand umgeleitet, womit die Herzmuskeldurchblutung hinter der Verengung sichergestellt wird. Beim MIDCAB-Verfahren wird nur die Brustwandarterie als Bypass verwendet, damit können 1-2 Herzkranzgefäße angeschlossen werden. Wir führen die MIDCAB-Technik seit 1996 durch.

