Das Magazin 3 - 2014 - page 6-7

nes Medikaments anpassen“, sagt
Hug. „Allerdings gibt es hierzu keine
klaren Empfehlungen.“ Jede Medika-
mentengabe müsse deshalb indivi-
duell betrachtet werden.
Bei den Patienten, die an mehre-
ren Erkrankungen leiden und des-
halb verschiedene Medikamente
gleichzeitig nehmen, gesellt sich
noch ein weiteres Problem hinzu.
„Medikamente können sich ge-
genseitig beeinflussen“, sagt Hug.
„Nimmt ein Patient sechs Medika-
mente gleichzeitig, kommt es
in etwa 80 Prozent der Fälle zu
Wechselwirkungen, bei acht
Medikamenten
kann
man
davon ausgehen, dass sich
diese eigentlich immer gegenseitig
beeinflussen.“ Durch dieses Zusam-
menspiel der Wirkstoffe kann es bei
Patienten zu verschiedenen Sympto-
men wie beispielsweise akuten Ver-
wirrtheitszuständen, Inkontinenz,
Mundtrockenheit, Schwindel oder
Stürzen kommen. Dies kann schwer-
wiegende Folgen haben. „Bis zu sie-
ben Prozent aller Krankenhausauf-
nahmen sind durch unerwünschte
Arzneimittelwirkungen
verur-
sacht“, sagt der Geriater Heimbach.
Bestimmte Medikamente bergen
ein höheres Risiko als andere. „Gera-
de Medikamente, die typischerweise
von älteren Patienten eingenommen
werden, wie bestimmte Herz-Kreis-
lauf-Medikamente oder Entwässe-
rungsmittel, verursachen häufiger
Probleme“, erklärt Hug. Seit einigen
Jahren gibt es deshalb die „Pris-
cus-Liste“ (priscus = lat. ehrwürdig),
in der die Medikamente gesammelt
sind, die für ältere Menschen mög-
licherweise nicht geeignet sind.
Darin sind Alternativen für diese
Medikamente aufgelistet und auch
Handlungsanweisungen, falls eine
Einnahme unvermeidbar ist.
Bei jeder Neuverordnung müs-
se eine Nutzen-Risiko-Bewertung
stattfinden und die Therapieziele
überdacht werden, betont Heim-
bach. Denn manchmal verursache
ein zusätzliches Medikament mehr
Schaden als die Erkrankung, die es
zu behandeln sucht.
Nicht nur äußerlich unterscheiden sich
ein Kind, ein junger und ein älterer Er-
wachsener, auch ihre Organe unterlie-
gen einem steten Wandel. So kommt
es, dass Medikamente bei älteren Pa-
tienten zum Teil ganz anders wirken,
sie anders dosiert werden müssen und
auch andere Nebenwirkungen haben
als bei jüngeren Menschen.
Da die Häufigkeit von Erkrankun-
gen mit steigendem Alter zunimmt,
wächst entsprechend dazu die
Anzahl der eingenommenen Me-
dikamente. „Die wichtigs-
ten Kunden des Apothe-
kers sind die Menschen
über 60 Jahre“, sagt
Dr. Martin Hug, Direktor
der Klinikumsapotheke des
Universitätsklinikums Frei-
burg. „Mehr als zwei Drittel
aller verkauften Arzneimittel
werden von dieser Patienten-
gruppe eingenommen.“
Allerdings wirken Medika-
mente im Alter häufig ganz an-
ders als bei jüngerenMenschen.
Die Wechselwirkung eines
Medikaments mit dem
Körper wird durch die
Begriffe Pharmakokine-
tik und Pharmakodyna-
mik beschrieben. „Auf der
einen Seite steht die Pharma-
kokinetik“, erklärt Hug. „Sie
beschreibt die Wirkung des
Körpers auf das Medikament – wie
es aufgenommen, verstoffwechselt
und ausgeschieden wird.“ Die Phar-
makodynamik dagegen beschreibt
die Effekte des Medikaments im Kör-
per, also die Wirkungen und Neben-
wirkungen. Beide Prozesse verän-
dern sich im Alter.
Viele Medikamente werden im
Magen-Darm-Trakt aufgenommen,
mit den Jahren sinkt aber die Durch-
blutung der Verdauungsor-
gane. Auch die Entleerung
des Magens dauert länger
und die Produktion
der
Gallenflüs-
sigkeit ist ver-
mindert, erklärt
Hug. „Die Leber, in
der viele Medikamen-
te verstoffwechselt
werden, arbeitet
meist zwar nicht
schlechter,
aber
langsamer.“
Etwa 60 Prozent
aller Arzneimittel
werden über die
Niere ausgeschieden – doch auch
die Leistung dieses Organs lässt im
Alter nach: ab dem 40. Lebensjahr
etwa um ein Prozent pro Jahr. Hinzu
kommt, dass der Fettanteil des Kör-
pers bei älteren Menschen zunimmt,
während der Wassergehalt sinkt.
„Medikamente verteilen sichnach
der Gabe im ganzen Körper. Manche
lösen sich besser in Fett, andere in
Wasser. Wenn sich diese Zusam-
mensetzung im Körper verändert,
verteilt sich auch das Medikament
anders“, sagt Dr. Bernhard Heim-
bach, Ärztlicher Leiter des Zentrums
für Geriatrie und Gerontologie am
Universitätsklinikum Freiburg. „Ein
wasserlösliches Medikament wird
dementsprechend
schneller überdo-
siert, da es sich in
einem
kleineren
Raum verteilt.“
All dies kann
dazu führen, dass
Aufnahme, Akti-
vierung oder Aus-
scheidung von Medikamenten ver-
langsamt ablaufen und sie dadurch
verzögert oder länger wirken. Auch
kann es passieren, dass ein Medika-
ment unter- oder überdosiert wird.
„Die Gefahr ist, dass die heilende
Wirkung vermindert ist oder die
Nebenwirkungen zunehmen. Der
behandelnde Arzt müsste dann die
Dosis oder das Einnahmeschema ei-
WI E MEDIKAMENTE
IM ALTER WIRKEN
 Medikamente verteilen sich nach der
Gabe im ganzen Körper. Manche lösen
sich besser in Fett, andere in Wasser.
Wenn sich diese Zusammensetzung im
Körper verändert, verteilt sich auch das
Medikament anders
Manchmal verursacht ein zusätzliches
Medikament mehr Schaden als
die Erkrankung
BEI JEDER NEUVERORDNUNG
DIE THERAPIEZIELE ÜBERDENKEN
FALLBE I SPI E L
Gegen unkontrollierbaren Harndrang (Inkontinenz) verordnet ein
Hausarzt einer 81-jährigen Patientin ein Parasympatholytikum, des-
sen typische Nebenwirkung Mundtrockenheit ist. Nach der Einnah-
me hat die Patientin dauerhaft Schwierigkeiten, sich mitzuteilen.
Ihre Angehörigen berichten dem behandelnden Arzt, ihre Mutter
spreche in letzter Zeit immer weniger. Dieser stellt daraufhin die
Verdachtsdiagnose „Beginnende Depression“ und verschreibt ihr
ein Antidepressivum. Dieses Medikament wiederum macht die Pa-
tientin schläfrig und führt zu Bewegungsstörungen – der Arzt ver-
mutet eine Demenz. Als die Patientin kurz darauf in ein Pflegeheim
kommt und die Ärzte die gesamte Medikation absetzen, geht es ihr
schlagartig besser.
© Ingo Bartussek - Fotolia.com
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