Das Magazin 1 - 2015 - page 4-5

Sie sind Forscher und Ärzte: wie beein-
flusst das eine das andere?
Hilgendorf
Als Mediziner steht
einem die gesamte Palette von der
Patienten- bis zur reinen Grundla-
genforschung zur Verfügung; eine
Voraussetzung, um auch neue The-
rapieansätze entwickeln zu können.
Denn als Kliniker ist es mein Ziel,
die gewonnen Erkenntnisse in die
Praxis zu übertragen. Umgekehrt
helfen experimentelle Arbeiten und
wissenschaftlicher Austausch mit
anderen Forschern auch im klini-
schen Alltag, eine analytische und
strukturierte Herangehensweise an
Probleme zu entwickeln.
Erlacher
In der Forschung habe ich
mich besonders mit der Entstehung
von Krankheiten und den zugrun-
deliegenden Mechanismen beschäf-
tigt. Auch in der Klinik will ich ver-
stehen, wie unsere Therapien diese
Krankheitsmechanismen beeinflus-
sen und verändern. Außerdem habe
ich in meinen wissenschaftlichen
Doktorarbeiten die Liebe zur Onkolo-
gie und Immunologie entdeckt – das
hat natürlich meine Entscheidung,
pädiatrische Hämatologin und On-
kologin zu werden, geprägt. Umge-
kehrt beeinflusst meine Arbeit als
Ärztin meine wissenschaftlichen
Fragestellungen zunehmend und ich
beschäftige mich im Labor immer
stärker mit humanen Krankheiten.
Woran forschen Sie?
Hilgendorf
Herz- und Gefäßer-
krankungen sind für die meisten
Todesfälle weltweit verantwortlich.
Meist liegt ihnen die Atherosklero-
se zugrunde, bei der sich Fette und
Entzündungszellen in Plaques inner-
halb der Gefäßwände ansammeln,
wodurch es zu Gefäßverengungen
und -verschlüssen kommen kann.
Die meisten Zellen im Plaque sind
Fresszellen des Immunsystems und
genau die stimulieren Wachstum
und Destabilisierung der Plaques.
Wir konnten zeigen, dass sich die
Fresszellen im Plaque insbesonde-
re durch Zellteilung und nicht – wie
bislang angenommen – durch Zell-
einwanderung ansammeln. Aktuell
untersuchen wir, welche Faktoren
die Teilung der Fresszellen antreiben
und wie sich diese Teilung spezifisch
hemmen lässt.
Erlacher
Mich interessieren zum
einen Vorgänge im Knochenmark
sehr: wie entsteht Blut, was stört
die Blutbildung, wie entstehen hä-
matologische Erkrankungen, was
geschieht bei Stammzelltransplan-
tationen, was passiert bei Knochen-
markversagen, wie entstehen Leu-
kämien? Zum anderen untersuche
ich den programmierten Zelltod.
Bislang wusste man zwar, dass ver-
ringerter Zelltod Leukämien verur-
sacht. Aus Tier-Studien wissen wir
aber, dass auch übermäßiger Zelltod
zu Leukämien führen kann. Das un-
tersuchen wir jetzt in unterschiedli-
chen Leukämiestadien genauer.
Wie können Patienten von Ihrer
Forschung profitieren?
Hilgendorf
Experimentelle Da-
ten und große Bevölkerungsstudien
legen nahe, dass Entzündungspro-
zesse entscheidend an der Erkran-
kung beteiligt sind. Aber bislang
stehen uns noch keine spezifisch
entzündungshemmenden Mittel zur
Behandlung der Atherosklerose zur
Verfügung. Ich erhoffe mir von unse-
ren Arbeiten neue Therapieansätze,
die gegen entzündliche Fresszellen
in den Plaques gerichtet sind.
Erlacher
Unsere Erkenntnisse
helfen
hoffentlich,
bestimmte
Knochenmarkserkrankungen besser
zu verstehen, und im besten Falle
lassen sich mit diesem Wissen neue
Therapien entwickeln. Ich bin der
Überzeugung, dass wir bei Knochen-
markstransplantationen das Ergeb-
nis deutlich verbessern könnten,
wenn wir im Spender den program-
mierten Zelltod gezielt in den Blut-
stammzellen hemmen könnten. Das
haben wir in Tier-Modellen gezeigt
– allerdings gibt es bisher noch kei-
ne guten Medikamente, die effizient
den Zelltod hemmen können.
„Heute bin ich in der Hälfte der
Zeit als Ärztin und in der anderen
Hälfte als Wissenschaftlerin
tätig. Das finde ich eine hervor-
ragende Kombination“
Sie sind jung und äußerst erfolgreich. Zwei Freiburger Ärzte
und Forscher wurden aktuell für ihre Leistungen mit hohen
wissenschaftlichen Preisen ausgezeichnet.
Die Kinder- und Jugendärztin Miriam Erlacher und der Kardio-
loge Ingo Hilgendorf stellen sich den Fragen von DAS magazin.
„ICH WI LL
VERSTEHEN“
DR . INGO HI LGENDORF
1981 geboren, studierte und promovierte in
Tübingen. Seit 2007 ist er ärztlicher Mitarbeiter
am Universitäts-Herzzentrum Freiburg ∙ Bad
Krozingen. Zwischen 2011 und 2014 war der Kar-
diologe an der Harvard Medical School, Boston,
USA, tätig. Seit Ende 2014 leitet er eine Emmy
Noether-Forschungsgruppe, eine der ange-
sehensten Förderungen der Deutschen For-
schungsgemeinschaft (DFG).
DR . MI R IAM ERLACHER
1978 geboren in Bozen, Italien, studierte und pro-
movierte in Innsbruck, Österreich. Seit 2007 ist sie
als Ärztin am Universitätsklinikum Freiburg tätig.
Sie arbeitet an der Klinik für Pädiatrische Hämato-
logie und Onkologie. 2015 erhielt Dr. Erlacher einen
ERC Starting Grant, die höchste Förderung junger
Wissenschaftler durch die Europäische Union.
DAS DOPPEL- INTERVIEW
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