Das Magazin 1 - 2015 - page 16-17

Die Ambulanz für Schwindel und
Gangstörungen des Universitätsklini-
kums Freiburg ist eine der größten im
süddeutschen Raum. Jährlich werden
dort mehr als 700 Patienten diagnos-
tiziert und behandelt. Die Ambulanz
gehört zur Klinik für Neurologie und
Neurophysiologie; komplexe Befunde
werden interdisziplinär mit den Ärz-
ten der Kliniken für HNO-Heilkunde,
Augenheilkunde, Orthopädie und Neu-
roradiologie sowie dem Zentrum für
Geriatrie und Gerontologie Freiburg
besprochen.
Schwindelgefühle sind jedem
Menschen bekannt. Sei es beim Blick
von einem hohen Turm, am Ende ei-
ner Karussellfahrt, nach schnellem
Aufstehen aus dem Bett oder durch
einen Schlag gegen den Kopf. Doch
das Drehgefühl kann auch ganz
plötzlich und ohne direkt erkenn-
bare Ursache auftreten, mitunter
begleitet von Kopfschmerzen, Übel-
keit oder Orientierungsstörungen.
Etwa jeder zehnte Patient beim All-
gemeinarzt klagt über Schwindel
oder Gleichgewichtsstörungen, bis
zu 30 Prozent der Deutschen erleben
mindestens einmal in ihrem Leben
einen Anfall von akutem Dreh- oder
Schwankschwindel.
ZUSAMMENSPI E L VON SEHEN
UND FÜHLEN
Das Gleichgewichtsorgan (Ves-
tibularorgan) liegt in direkter
Nachbarschaft zur Hörschnecke im
Innenohr. Es besteht aus drei senk-
recht zueinander stehenden Bogen-
gängen, die mit einer kaliumreichen
Flüssigkeit gefüllt sind. Bewegt sich
der Kopf, wird diese in Bewegung
versetzt, was von feinsten Sinnes-
zellen wahrgenommen und über den
Gleichgewichtsnerv (Vestibular-
nerv) ins Gehirn weitergeleitet wird.
Dort werden diese Signale mit den
Informationen von Augen und Lage-
rezeptoren abgeglichen. Schwindel-
gefühle entstehen, wenn irgendwo
innerhalb dieses Systems eine Unge-
reimtheit besteht.
Verdeutlichen lässt sich dies am
Beispiel des Höhenschwindels: Ist
der Erdboden zu weit entfernt, kann
der Mensch kleinere Bewegungen
des eigenen Körpers nicht mehr
mit den Augen wahrnehmen. Das
Gleichgewichtsorgan aber meldet
weiterhin selbst feinste Lageän-
derungen – wer sensibel auf dieses
Missverhältnis reagiert, dem wird
schwindelig.
Da nicht jedes Schwindelgefühl
automatisch eine Gleichgewichts-
störung bedeutet, müssen die ver-
schiedenen Ursachen klar vonei-
nander abgegrenzt werden. Liegt
die Ursache in den verarbeitenden
Regionen im Gehirn, spricht man
von „zentralem Schwindel“, der vom
Neurologen behandelt wird. „Pe-
ripherer Schwindel“ hingegen be-
schreibt eine Erkrankung, welche in
den Tätigkeitsbereich der HNO-Heil-
kunde fällt.
Wichtig ist, dass starker Schwin-
del nicht zwangsläufig eine schwere
Erkrankung bedeutet, ebenso wie
leichter Schwindel nicht für Harm-
losigkeit garantiert. Schwindelge-
fühle im Sinne einer Benommenheit
bezeichnet man als ungerichteten
Schwindel, die Ursache liegt meist
außerhalb des Gleichgewichtssys-
tems. Ist das Gleichgewichtssys-
tem mitbetroffen, spricht man von
gerichtetem oder systematischem
Schwindel.
In der Bevölkerung am häufigsten
ist der sogenannte Benigne paroxys-
male Lagerungsschwindel, kurz
BPLS. Betroffene berichten von hef-
tigsten Drehschwindelattacken, die
von Lagewechseln ausgelöst werden
und mitunter über Wochen auftre-
ten. Schuld daran sind kleine Kal-
ziumcarbonatkristalle, sogenann-
te Otokonien, die innerhalb eines
Bogenganges des Gleichgewichts-
organs verrutschen.
Als Folge empfindet das Gehirn
nach Änderung der Position eine an-
haltende Drehung, obwohl der Kopf
gerade sich nicht mehr bewegt. Doch
wie schon der Name sagt, handelt es
sich um eine gutartige Erkrankung.
Mit speziellen Lagerungsübungen
können die verrutschten Kristalle
dem betroffenen Bogengang beför-
dert werden; bei den meisten Patien-
ten kommt es nicht zu wiederholten
Anfällen.
WENN DI E WELT
SICH DREHT
SCHWINDEL
Da nicht jedes Schwindelgefühl
automatisch eine Gleichge-
wichtsstörung bedeutet, müssen
die verschiedenen Ursachen klar
voneinander abgegrenzt werden
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