Das Magazin 1 - 2015 - page 26-27

Die Diagnose „Krebs“ ist für Patien-
ten immer ein Schock. Doch bei den
meisten Patienten mit Schilddrüsen-
krebs stehen die Chancen auf Heilung
sehr gut, sagt Professor Dr. Dr. Philipp
Tobias Meyer, Ärztlicher Direktor der
Klinik für Nuklearmedizin am Univer-
sitätsklinikum Freiburg – dank einer
komplementären Behandlung aus
Operation und Radiojodtherapie.
Schilddrüsenkrebs in seiner häu-
figsten Form mit differenzierten,
dem gesunden Gewebe noch recht
ähnlichen Zellen ist zunächst eine
leise Krankheit. Er macht sich oft
gar nicht bemerkbar. Entdeckt wird
er häufig als Zufallsbefund eines
Knotens in der Schilddrüse bei einer
Routineuntersuchung, der sich bei
näherer Untersuchung als bösartig
herausstellt. Schluckbeschwerden,
Heiserkeit oder spürbar befallene
Lymphknoten treten erst bei weit
fortgeschrittenem Krebs auf.
Jedes Jahr bekommen in Deutsch-
land über 6000 Menschen die Dia-
gnose Schilddrüsenkrebs, Frauen
etwas mehr als doppelt so häufig wie
Männer. Damit ist dieser Krebs der
häufigste von einem hormonbilden-
den Organ abstammende bösartige
Tumor - aber auch eine der am bes-
ten heilbaren Krebsarten überhaupt.
„Ich sage meinen Patienten häufig,
ohne die Erkrankung zu bagatelli-
sieren: Das ist weniger eine tödliche,
wenngleich eine sehr ernste und
lästige Krank-
heit“, berich-
tet
Professor
Dr. Dr. Philipp
Tobias Meyer,
Ä r z t l i c h e r
Direktor
der
Klinik für Nuk-
lea rmed i z i n .
„Denn Schild-
d r ü s e n k r eb s
in seiner häu-
figsten
Form
beeinträchtigt
langfristig meistens weder die Le-
benserwartung noch die Lebensqua-
lität, wenn man von der lebenslan-
gen Nachsorge einmal absieht.“
Bei der Therapie spielt eine be-
sondere Eigenschaft der Schilddrüse
den Ärzten in die Karten. Die Drüse
zieht Jod an, denn das braucht sie,
um die beiden Hormone T3 und T4
zu produzieren. Auch die meisten
Schilddrüsenkrebszellen haben die-
se „Gier“ nach Jod nicht eingebüßt -
selbst dann nicht, wenn sie sich als
Metastasen an ganz anderen Stel-
len des Körpers angesiedelt haben,
beispielsweise in der Lunge oder an
Knochen.
Um den Schilddrüsenkrebs zu be-
siegen, ist zuerst eine vollständige
operative Entfernung der Schilddrü-
se samt des Tumors erforderlich, eine
Operation, die Professor Dr. Oliver
Thomusch, Oberarzt der Abteilung
Allgemein- und Viszeralchirurgie
des Universitätsklinikums Freiburg,
ungefähr 75 Mal pro Jahr bei Schild-
drüsenkrebs durchführt. Neben der
möglichst vollständigen Entfernung
des Tumors und eventuell befalle-
ner Lymphknoten versetzt dies den
Körper zunächst in eine künstliche
Schilddrüsenunterfunktion.
Dies
führt zu einer Stimulation eventu-
ell verbliebener Schilddrüsenzel-
len – normaler Zellen wie Krebszel-
len. „Die Zellen sind dann maximal
hungrig auf Jod“, erklärt Thomusch.
Doch anstatt gewöhnliches Jod
zur Verfügung zu stellen, verab-
reichen Nuklearmediziner ihren
Patienten radioaktives Jod in Kap-
selform. Wie ein trojanisches Pferd
gelangt es in die Zellen. Bei dieser
sogenannten Radiojodtherapie wird
in den Tumoren eine vielfach höhere
Strahlendosis erreicht als bei norma-
ler Strahlentherapie von außen. Die
Krebszellen werden zerstört, gesun-
de Nachbarzellen bleiben verschont.
Nebenwirkungen gibt es bei den
meisten Patienten praktisch nicht.
„Das ist ein Traum für die Tumorbe-
handlung“, sagt Thomusch.
Aufgrund des sehr hohen infra-
strukturellen Aufwandes bieten in
Südbaden nur einzelne Krankenhäu-
ser die Radiojodtherapie an. Die Kli-
nik für Nuklearmedizin des Univer-
sitätsklinikums Freiburg betreut die
meisten Schilddrüsenkarzinompa-
tienten in der Region – nicht zuletzt
wegen ihrer exzellen-
ten
interdisziplinä-
ren Vernetzung. Weil
die Patienten nach
der Einnahme der
Jod-Kapsel
einige
Tage lang radioakti-
ves Jod ausscheiden,
müssen alle ihre Ab-
wässer aufgefangen
werden. Dafür benö-
tigt die Klinik eigens
eine Abklinganlage,
wo die strahlenden
Abwässer verbleiben,
bis sie einen Grenz-
wert unterschritten
haben und für Mensch und Umwelt
sicher abgeleitet werden können.
Zwei bis drei Tage nach der Kap-
seleinnahme können die Patienten
wieder nach Hause gehen. Während
des stationären Aufenthalts wer-
den zudem Bilder der Jodverteilung
im gesamten Körper aufgenommen,
um mögliche Tumorabsiedlungen zu
entdecken und deren Ansprechen
auf die Therapie zu dokumentieren.
Falls erforderlich, kann die Radio-
jodtherapie nach wenigen Monaten
wiederholt werden – bis jegliches
Schilddrüsengewebe im Körper zer-
stört ist. Infolge der Operation und
Radiojodtherapie müssen die Pati-
enten zwar lebenslang Schilddrü-
senhormone einnehmen, aber sie ha-
ben beste Chancen auf Heilung ihrer
Krebserkrankung. Meyer rechnet
vor: „Bei rund 90 Prozent der von uns
behandelten Patienten erreichen wir
mit diesem interdisziplinären Be-
handlungskonzept eine vollständige
Heilung.“
THERAPI E
OHNE NEBENWIRKUNG
der am Universitätsklinikum Freiburg
behandelten Patienten erreichen wir mit
dem interdisziplinären Behandlungskonzept
eine vollständige Heilung
90%
Nebenwirkungen gibt es bei den
meisten Patienten praktisch nicht
„Ohne die Erkrankung zu
bagatellisieren: Das ist weniger
eine tödliche, wenngleich eine
sehr ernste und lästige Krank-
heit, denn Schilddrüsenkrebs in
seiner häufigsten Form beein-
trächtigt langfristig meistens
weder die Lebenserwartung noch
die Lebensqualität“
RADIOJODTHERAPI E ( R JT ) BE I SCHI LDDRÜSENKREBS
von vorne
Szintigraphie bei 1. RJT:
Nachweis von Schilddrüsenrest-
gewebe, ausgedehnten Lungen-
und Knochenmetastasen
Kontrolle nach einem Jahr:
sehr gutes Therapieansprechen,
beschwerdefrei seit mehreren
Jahren
von vorne
von hinten
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