

Intelligente Lasersysteme, körpernahe
Sensoren zum Nachweis von Blut im
Urin und Roboter, die sich selbststän-
dig durch den Harntrakt bewegen: Die
Sektion Urotechnologie entwickelt
neue Produkte von der Idee über den
Prototypen bis hin zur Marktreife
Die Schmerzen begannen schlag-
artig und waren so stark, dass sich
Michael B. beinahe übergeben muss-
te. Wellenförmig breiteten sie sich
von der linken Körperseite in Rich-
tung Unterbauch aus. Der Hausarzt
bestätigt schließlich, was Michael
B. schon vermutet. Ein Nierenstein,
nur wenige Millimeter groß, hat sich
in seinem Harnleiter festgeklemmt
und muss entfernt werden – nicht
das erste Mal.
Harnsteine müssen jährlich etwa
750.000 Mal in Deutschland behan-
delt werden. Immer häufiger werden
die Steine mit Hilfe eines Endoskops
zerkleinert und über den Harnleiter
entfernt. Das Verfahren ist an sich
sehr schonend und wirksam. Oft
bleiben aber winzige Bruchstücke
im Nierenbecken zurück, die wiede-
rum zu Kristallisationskernen für
neue Ablagerungen werden können.
„Mit diesem Ergebnis wollten wir
uns nicht zufrieden geben“, sagt Dr.
Arkadiusz Miernik, Leiter der Sekti-
on Urotechnologie an der Klinik für
Urologie des Universitätsklinikums
Freiburg.
Gemeinsam mit seinem Freibur-
ger Kollegen Dr. Martin Schönthaler,
Oberarzt an der Klinik für Urologie,
und Forschern des Fraunhofer-In-
stituts für Fertigungstechnik und
Angewandte Materialforschung in
Bremen fand der 32-jährige Oberarzt
einengänzlichneuenLösungsansatz.
Wenn der Stein per Laser zerkleinert
ist und die großen Stücke entfernt
sind, wird ein biokompatibler, was-
serfester Klebstoff ins Nierenbecken
eingespritzt. Dieser verklebt die üb-
rig gebliebenen winzigen Steinfrag-
mente und bildet ein elastisches Gel,
welches sich dann im Ganzen endos-
kopisch entfernen lässt.
Heute – nur fünf Jahre nach der
ersten Idee – wird das Projekt vom
Bundesministerium für Bildung und
Forschung mit knapp zwei Millio-
nen Euro gefördert und steht kurz
vor dem Einsatz beim Menschen.
„Wenn alles gut geht, könnte das
Gel schon nächstes Jahr bei Patien-
ten getestet werden“, hofft Miernik,
der Ende 2015 als jüngster Urologe
Deutschlands habilitierte und für
seine Arbeit die höchste Ehrung der
Deutschen Gesellschaft für Urolo-
gie erhalten hat. „Das Durchdenken
solcher Probleme und neuer Ideen ist
für mich wie Musik im Kopf“, sagt
der Arzt.
VON DER IDEE ZUM MARKT-
RE I FEN PRODUKT
Doch der Klebstoff ist kein Zufalls-
produkt, sondern vielmehr ein Para-
debeispiel dafür, wie die Mitglieder
der Ende 2014 gegründeten Sektion
Urotechnologie arbeiten. Sie entwi-
ckeln neue Ideen zu klinisch einsetz-
baren Behandlungskonzepten – für
die Behandlung von Nierensteinen,
Prostataleiden und vielen weiteren
Erkrankungen. „Die Sektion bietet
Ärzteneinen strukturiertenRahmen
bei der Forschung und Entwicklung.
Sie werden von der Idee über die Ent-
wicklung von Prototypen bis zur
Markteinführung von uns unter-
stützt“, erklärt Professor Dr. Ulrich
Wetterauer, Ärztlicher Direktor der
Klinik für Urologie. AmAnfang jedes
neuen Projekts steht eine ausgefal-
lene Idee. „Wir treffen uns im Team
regelmäßig zu Brainstorming-Run-
den und diskutieren neue Vorschläge
ganz offen“, erklärt Miernik. Hat sich
ein Projekt konkretisiert, bemühen
sich die Wissenschaftler um eine
öffentliche Förderung und um einen
universitären oder außeruniversi-
tären Forschungspartner mit hoher
technologischer Kompetenz. „Für
die Entwicklung eines Prototypen
brauchen wir großen Spielraum für
ungewöhnliche Ideen. Hier haben
sich industrielle Kooperationen eher
nicht bewährt“, sagt Wetterauer.
„Denn viele Unternehmen scheuen
das Risiko.“ Umso wichtiger seien
aber die Unternehmen beim nächs-
ten Schritt, wenn es darum gehe, die
Erfindungen bis zur Marktreife vor-
anzutreiben.
Schon in kurzer Zeit konnte
die Sektion ein internationales
Netzwerk forschender und indus-
trieller Kooperationspartner auf-
bauen. „Wir schließen damit die
Lücke zwischen Technologie- und
Anwenderseite“, sagt Wetterauer.
Die translationale Forschung hat
noch einen weiteren Vorteil: Durch
sie können die Freiburger Ärzte
Erfindungen aktiv mitgestalten,
statt erst mit dem Endprodukt
konfrontiert zu werden. Mittler-
weile sind neben Leiter Miernik fünf
weitere Ärzte und fünf Doktoranden
mit neuen Projekten beschäftigt.
DI E IDEENSCHMI EDE LÄUFT AUF
HOCHTOUREN
Die Forscher arbeiten an vielen
Erfindungen gleichzeitig: an intel-
ligenten Lasersystemen, körperna-
hen Sensoren zum
Nachweis von Blut
im Urin und selbst an
Robotern, die sich eines Tages
selbstständig durch den Harntrakt
bewegen sollen. In letzter Zeit ha-
ben sie vier Patente angemeldet und
zahlreiche Erfindungsmeldungen
geschrieben.
Besonders große Hoffnungen
setzen die Urologen in ein Analyse-
system, mit demÄrzte nach der Ope-
ration innerhalb weniger Minuten
die Zusammensetzung der Nieren-
steine bestimmen können sollen:
Enthält der Stein beispielsweise viel
Kalziumoxalat, sollte der Patient zu-
ckerhaltige Softdrinks meiden und
dafür kohlensäurehaltiges Mineral-
wasser und Zitrussäfte trinken. Bis-
lang haben nur Speziallabore diese
Analyse angeboten. Arzt und Pati-
ent mussten Wochen auf die Ergeb-
nisse warten.
„Oft haben wir die Patienten nach
der Operation aber nie zur Nachsorge
wiedergesehen. Mit dem neuen Sys-
tem könnten wir sofort eine Ernäh-
rungsempfehlung geben und so das
Risiko einer nochmaligen Steinbil-
dung verringern“, erklärt Miernik.
Ob Michael B. eines Tages noch
einmal Hilfe bei Nierensteinen be-
nötigt, wird sich zeigen. Die Chan-
cen stehen in jedem Falle gut, dass
er dann schon von einer der Erfin-
dungen der Sektion Urotechnologie
profitieren kann.
KLEBSTOFF, LASER,
ROBOTER
„Das Durchdenken von
Problemen und Ideen ist für
mich wie Musik im Kopf“
„Die Ärzte können Erfindungen
aktiv mitgestalten, statt erst mit
dem Endprodukt konfrontiert
zu werden“
ERF INDERGE IST
HI LFT BLASE UND
PROSTATA
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