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Hyper-IgM-Syndrom (HIGM)

Das Hyper-IgM-Syndrom ist eine seltene angeborene Störung des Abwehrsystems (Immunsystem). Die Bezeichnung Hyper-IgM-Syndrom beschreibt eine Gruppe von Erkrankungen des Immunsystems, die vor allem durch eine Vermehrung des Antikörpers IgM gekennzeichnet ist. Es gibt zwei Formen des Hyper-IgM-Syndroms. Beide Formen sind durch Antikörpermangel (Hypogammaglobulinämie) mit einhergehenden bakteriellen Infekten charakterisiert, bei einer Form treten aber auch schwerere Infekte mit Viren und Parasiten auf.

Beim Hyper-IgM-Syndrom sind die antikörper-bildenden B-Zellen betroffener Patienten nicht in der Lage von der Produktion des IgM Antikörpers auf die Bildung anderer Antikörper (IgG, IgA, IgE) umzustellen. Durch diese Störung im Immunglobulin-Klassenwechsel (Isotypenwechsel) kommt es zu einer Verminderung bzw. fehlenden Produktion der Immunglobuline IgG, IgA und IgE. Begleitet ist dies von einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Erhöhung (hyper = zuviel) des IgM. Ursächlich für die Störung im Isotypenwechsel ist bei manchen Formen des Hyper-IgM-Syndroms eine alleinige Störung der B-Zellen, bei anderen Formen aber auch eine gestörte Interaktion der B- und T- Zellen (kombinierter Immundefekt).

Antikörper (Immunglobuline) sind vor allem bei der Abwehr von Infektionen von Bedeutung. Man unterscheidet verschiedene Gruppen von speziellen Antikörpern (IgM, IgA, IgG, IgE, IgD) die alle in bestimmter Konzentration im Blut vorkommen und bei einem Abwehrprozess gegen einen Erreger im Rahmen einer Infektion verschiedene Aufgaben übernehmen. Kommt es zu einer Infektion, wird diese von den B-Lymphozyten zunächst mit Antikörpern der Klasse IgM bekämpft. Die Bildung von IgM ist daher Indikator einer „frischen“ oder gerade kürzlich abgelaufenen Infektion. IgM steigt zu Beginn einer Infektion zunächst stark an und nimmt dann im Verlauf wieder ab. IgG wird von B-Lymphozyten oder Plasmazellen nach Kontakt mit einem Infektionserreger mit Hilfe der T-Lymphozyten hergestellt und dauerhaft ins Blut abgegeben. IgG bleibt meist lebenslang nachweisbar und ist für eine dauerhafte Immunität verantwortlich. Diesen Effekt macht man sich z.B. bei Impfungen zunutze. IgA ist ein Antikörper der Schleimhäute, der u.a. auch beim Stillen über die Muttermilch übertragen wird. IgE ist u.a. ein hautsensibilisierender Antikörper und spielt vor allem bei Allergien und Infektionen mit Parasiten eine Rolle. Die genaue Funktion von IgD ist bis heute noch nicht genau bekannt.

Beim Hyper-IgM-Syndrom kommt es aufgrund eines angeborenen (genetischen) Defektes zu einer Störung in der Bildung von Antikörpern gegen Infektionserreger, bedingt durch eine Störung im Immunglobulin-Klassenwechsel. Die im Knochenmark gebildeten Vorläufer der B-Zellen durchlaufen verschiedene Reifungsprozesse, bis sie in der Lage sind, natürliche IgM-Antikörper zu bilden. Dieser Prozess ist beim Hyper-IgM-Syndrom ungestört. Nach einer Infektion werden in der Frühphase nur IgM-Antikörper gebildet. Im Verlauf der Infektion werden die B-Zellen jedoch mit Unterstützung der Information durch T-Zellen in die Lage versetzt, noch aktivere, genau gegen den Erreger gerichtete IgG-Antikörper zu bilden. Dieser Schritt ist beim Hyper-IgM-Syndrom gestört. Das heißt, dass die B-Zellen aufgrund einer Störung in der Informationsweitergabe (Signalübertragung) der T-Zellen an die B-Zellen keine spezifischen Antikörper (IgA, IgG, IgE) produzieren können. Besonders die IgG-Antikörper sind aber für die erfolgreiche und dauerhafte Bekämpfung von Infektionen erforderlich.

Bis heute sind verschieden Formen des Hyper-IgM-Syndroms bekannt, welche sich im Krankheitsbild, der Therapie und dem Vererbungsweg unterscheiden. Bei einem Teil ist vor allem die humorale Abwehr betroffen (B-Zellen), bei anderen Formen liegt zusätzlich eine Störung der T-Zellfunktion vor, wodurch es dann zu dem Bild eines kombinierten Immundefekts kommt. Alle Patienten leiden unbehandelt an einer vermehrten Infektanfälligkeit der Atemwege, bei der zweiten Form (CD40/CD40Ligand-Defekt) kommen oft schwerere Virus- und andere Infektionen dazu.

Bezeichnung Kombiniert/ humoral Lymphoproliferation (Vergrößerung der lymphatischen Organe) Autoimmunität (Abwehrsystem richtet sich gegen körpereigene Strukturen) Infektionen
CD40L
Defekt des CD40-Liganden
Kombinierter Immundefekt nein ja Bakterien
Opportunistische Infektionen
CD40
Defekt von CD40
Kombinierter Immundefekt nein ja Bakterien
Opportunistische Infektionen
AID
Defekt der Activation induced Cytidine –Deaminase
B-Zell Defekt ja (häufig) ja Bakterien
UNG
Defekt der Uracyl DNA Glycocylane
B-Zell Defekt ja ? Bakterien
PMS2
Postmeiotic segegation increased2 Defekt
B-Zell Defekt ja ? Bakterien

Die meisten Patienten mit Hyper-IgM-Syndrom entwickeln bereits während der ersten zwei Lebensjahre die ersten klinischen Symptome. Aufgrund der Störung der Antikörperbildung kommt es zu einer Störung in der Infektabwehr, da sich der Körper gegen Infektionen nicht so gut wehren kann. Das betrifft vor allem bakterielle Infektionen der Atemwege (Mittelohrentzündungen, Nebenhöhlenentzündungen, Entzündungen der Bronchien und der Lunge). Bei den Formen mit Störung der T-Zellfunktion (CD40/CD40 Ligand-Defekt) können aber auch Infektionen mit Viren (z.B. Herpes), vermehrte Warzen oder Pilze (z.B. Mundsoor oder Nagelpilz) auftreten. Auch Durchfallerkrankungen sind häufig zu beobachten. Die Durchfälle können sowohl durch eine Infektion mit Bakterien oder Viren, aber auch durch eine Besiedlung mit kleinen parasitären Erregern (z.B. Giardia Lamblia, Kryptosporidien) ausgelöst sein und auch in Folge von Entzündungen (die nicht immer durch Erreger verursacht sind) auftreten. Eine Fehlsteuerung des Immunsystems kann auch dazu führen, dass sich das Abwehrsystem gegen den eigenen Körper richtet. Es kann dann zu Autoimmunerkrankungen kommen, die vor allem gegen Blutzellen mit der Folge einer Thrombozytopenie (Verminderung der Blutplättchen) oder hämolytischen Anämie (vermehrter Abbau der roten Blutkörperchen) gerichtet sind. Manchmal richtet sich das Abwehrsystem aber auch gegen die Haut, Schilddrüse (Hypothyreodismus) oder die Gelenke. An den Schleimhäuten kann es zum Auftreten kleiner immer wiederkehrender Aphten und Geschwüre kommen. Bei einigen Patienten kann im Verlauf eine Vergrößerung der Lymphdrüsen, Leber oder Milz auftreten. Auch das Risiko für die Entwicklung maligner Erkrankungen ist bei manchen Formen des Hyper-IgM-Syndroms (PMS2 Defekt) erhöht.

Bei den Formen mit Störung der T-Zellfunktion (CD40/CD40-Liganddefekt) kann es zusätzlich früh zu opportunistischen Infektionen kommen. Dies sind Infektionen durch Erreger die einem Immungesunden i.d.R. keinen Schaden zufügen würden. Das liegt daran, dass nicht nur die Antikörperbildung, sondern auch die T-Zellimmunität gestört ist. Zu den opportunistischen Infektionen gehören z.B. die durch Pneumocystis jirovecii hervorgerufene schwere Lungenentzündung oder Durchfall-Erkrankungen durch Kryptosporidien (Parasit/Einzeller). Bei einer schweren, langanhaltenden Kryptosporidien-Infektion, kann diese als schwere Komplikation zu einer Lebererkrankung und im Verlauf zu einer sklerosierenden Cholangitis führen. Weitere opportunistische Infektionen sind systemische Pilzinfektionen und Infektionen mit dem Zytomegalievirus (CMV). Auch Infektionen des Gehirns und Abszesse können schon in den ersten Lebensjahren auftreten, oft begünstigt durch eine Verminderung der Granulozyten, die häufiger bei CD40/CD40Liganddefekt beobachtet wird.

Das Hyper-IgM-Syndrom ist eine seltene angeborene Erkrankung des Immunsystems. Sie tritt in Deutschland bei ungefähr 1 von 100.000 Personen auf. Die häufigste Form des Hyper-IgM-Syndroms ist der X-chromosomal rezessiv vererbte Defekt des CD40 Liganden (CD40L).

Wenn eine Erbkrankheit vorliegt, bedeutet das, dass der Patient von Mutter und/oder Vater ein fehlerhaftes Gen geerbt hat. Jeder Mensch besitzt von jedem Gen zwei Stück, eines vom Vater und eines von der Mutter. Für die meisten Erbkrankheiten ist es für den Ausbruch der Erkrankung nötig, dass beide Gene fehlerhaft sind, da ein gesundes Gen in der Regel ausreicht, genügend gesunde Proteine herstellen zu können.

Das Hyper-IgM-Syndrom kann durch verschieden genetische Defekte verursacht werden. Die am häufigsten auftretende Form des Hyper-IgM-Syndroms wird X-chromosomal rezessiv, d.h. geschlechtsgebunden vererbt. Aufgrund des Vererbungswegs sind beim CD40 Ligand-Defekt ausschließlich Jungen betroffen. Die Krankheit wird bei diesem Erbgang in der Regel durch die Mütter übertragen. Sie sind in der Regel klinisch gesund, da sie das kranke X-Chromosom durch ihr zweites, gesundes X-Chromosom ausgleichen können. Söhne betroffener Mütter können nun entweder das kranke oder das gesunde X-Chromosom erben. Männer besitzen nur ein X-Chromosom, so dass ein Sohn, der das kranke X-Chromosom erbt, nicht in der Lage ist, den Fehler auszugleichen. Dies bedeutet, dass statistisch gesehen von einer Mutter mit einem fehlerhaften CD40-Ligand-Gen die Hälfte aller Söhne am CD40-Ligand-Defekt erkrankt, die andere Hälfte aber gesund ist. Alle Töchter sind gesund, aber die Hälfte aller Töchter erbt das kranke Gen und kann daher die Erkrankung an die Hälfte ihrer Söhne weitergeben.

Andere Formen des Hyper-IgM-Syndroms werden autosomal rezessiv vererbt. Das bedeutet, dass bei diesen Formen sowohl Mädchen als auch Jungen betroffen sein können. Typischerweise sind dann beide Elternteile klinisch gesunde Träger des defekten Gens, d.h. beide haben neben dem krankmachenden auch ein gesundes Gen, das ausreicht, sie vor der Erkrankung zu schützen. Für die Nachkommen entsteht dadurch eine Erkrankungswahrscheinlichkeit von 25 %. Die Hälfte der Kinder werden wie ihre Eltern klinisch gesunde Genträger, können aber das Gen an ihre Kinder weitervererben und 25 % sind ganz gesund. Die Vererbung ist hier geschlechtsunabhängig. Nicht immer gelingt es, beim Hyper-IgM-Syndrom einen genetischen Defekt zu finden. In diesen Fällen kann keine zuverlässige Information über die Vererbung gegeben werden.

Hyper-IgM Form

Vererbungsweg

Geschlecht

CD40L

Defekt des CD40-Liganden

X-chromosomal rezessiv

Jungs

CD40

Defekt von CD40

autosomal rezessiv

Jungs und Mädchen

AID

Activation induced Cytidine –Deaminase 

autosomal rezessiv

Jungs und Mädchen

UNG

Defekt der Uracyl DNA Glycocylane 

autosomal rezessiv

Jungs und Mädchen

PMS2

Postmeiotic segegation increased2 Defekt

autosomal dominant

Jungs und Mädchen

Ja. In den Fällen von Hyper-IgM-Syndrom, bei denen der genetische Defekt identifiziert wird, kann untersucht werden, ob die Eltern Träger der gleichen Mutation sind und ob die Gefahr besteht, die Krankheit auf weitere Kinder zu übertragen. Allen Familien sollte eine solche Analyse und genetische Beratung angeboten werden. Bei weiteren Schwangerschaften ist grundsätzlich eine pränatale Diagnostik möglich, um zu sehen, ob das ungeborene Kind von dem in dieser Familie identifizierten Gen-Defekt betroffen ist oder nicht. Auf jeden Fall aber sollte jedes weitere Neugeborene unmittelbar nach Geburt auf das Vorliegen der Erkrankung untersucht werden.

Um das Hyper-IgM-Syndrom festzustellen, sind eine sorgfältige körperliche Untersuchung des Patienten sowie eine genaue Erhebung der Anamnese (Krankheitsgeschichte) erforderlich. Hier ist auch eine genaue Mitbeurteilung der Familiengeschichte von großer Bedeutung, insbesondere mit der Frage nach Infektanfälligkeit und Autoimmunität. Die körperliche Untersuchung und die Krankengeschichte, führen in ihrer spezifischen Ausprägung zunächst zu der Verdachtsdiagnose Hyper-IgM-Syndrom.

Im Anschluss sind verschieden Blutuntersuchungen notwendig, die Auskunft über die verbleibende Funktion des Abwehrsystems geben. Häufig findet man eine normale Anzahl der B-Zellen, bei deutlich reduzierten Immunglobulinspiegel und gestörtem Nachweis von Antikörperbildung nach Impfungen. Die Bildung von CD40-Ligand auf den T-Helferzellen (CD40-Ligand Defekt) und CD40 auf den B-Zellen (CD40 Defekt) kann im Labor gemessen werden und zur Sicherung der klinischen Verdachtsdiagnose beitragen. Auch die Funktion des Klassenwechsels nach Stimulation der B-Zellen im Reagenzglase kann in spezialisierten Laboren untersucht werden und so eine erste Differenzierung des Defektes erlauben.

Beweisend für das Vorliegen der Erkrankung ist eine molekulargenetische Untersuchung. Bei dieser Untersuchung wird ein genetischer Test durchgeführt, bei dem eine DNA-Probe (Blutprobe) auf einen Defekt in der Erbinformation untersucht wird. Es wird dabei gezielt nach Veränderungen gesucht, die für eines der Hyper-IgM-Syndrome verantwortlich sind.

Neben der Diagnostik im Blut zur Diagnosesicherung sind manchmal zusätzlich auch feingewebliche Untersuchungen z.B. an einem Lymphknoten oder einer Darmgewebsprobe als weiterführende Diagnostik erforderlich.

Die Therapie des Hyper-IgM-Syndroms richtet sich nach den Symptomen des Patienten und ist abhängig von dem Verlauf, der Schwere und dem Zeitpunkt des Auftretens der Erkrankung. Je nach Beschwerden und Komplikationen wird die Therapie individuell gesteuert und angepasst. Die Behandlung von Infektanfälligkeit und Autoimmunerkrankungen steht im Vordergrund.

Bei bakteriellen Infektionen umfasst die Behandlung eine schnelle und möglichst spezifisch auf den Erreger gerichtete und ausreichend lange antibiotische Therapie. Manchmal ist auch eine prophylaktische Dauerbehandlung mit Antibiotika notwendig, um den Patienten so möglichst gut vor Infektionen zu schützen. Entscheidend ist aber bei allen Formen des Hyper-IgM-Syndroms der Ersatz der fehlenden IgG-Antikörper durch Infusionen. Die Antikörper können entweder subkutan (Gabe in das Unterhautfettgewebe als Heimtherapie oder intravenös (Gabe über die Vene) in der Klinik verabreicht werden. Da die Antikörper nach einer gewissen Zeit im Körper abgebaut werden, müssen die Infusionen regelmäßig wiederholt werden.

Bei Patienten mit Zustand nach einer invasiven Pilzinfektion ist eine Prophylaxe mit Medikamenten angezeigt, die helfen, gegen weitere Pilzinfektionen vorzubeugen. Patienten mit schweren Neutropenien können ggf. von einer Behandlung mit G-CSF profitieren.

Bei Patienten mit einer ausgeprägten Vergrößerung von Milz, Leber oder Lymphknoten kann die Organvergrößerung solche Ausmaße annehmen, dass man mit Einsatz von Medikamenten versuchen muss, die Größe wieder zu reduzieren. Darüber hinaus müssen manchmal Autoimmunerkrankungen oder entzündliche Erkrankungen, z.B. in Darm oder Lunge behandelt werden. Oft kann hier Cortison helfen, dieses Medikament ist aber aufgrund seiner Nebenwirkungen für eine längere Therapie in hohen Dosen nicht gut geeignet. Es werden daher zusätzlich Medikamente eingesetzt, die das überaktive und fehlgesteuerte Immunsystem vorsichtig unterdrücken (Immunsuppressiva). Hierzu können auch Medikamente gehören, die fehlgesteuerte B-Zellen eliminieren (Rituximab).

Der Einsatz von Immunsuppressiva bei Patienten, deren Immunsystem geschwächt ist, ist oft eine schwierige Balance. Die Steuerung der Behandlung sollte daher in die Hände von Ärzten, die Erfahrung in der Betreuung von Patienten mit Hyper-IgM-Syndrom haben. Patienten mit einer solchen Erkrankung sollten in einem mit dieser Erkrankung vertrauten Zentrum behandelt werden.

Weitere Behandlungsoptionen:

Bei den Formen des Hyper-IgM-Syndroms, bei denen nicht nur die B-Zellen und deren Antikörperbildung betroffen sind, sondern auch die T-Zellen (CD40, CD40-Ligand-Defekt), genügt die Antikörperersatztherapie auf die Dauer nicht. Hier ist die Knochenmarkstransplantation (KMT) eine wichtige Therapieoption.

Das Ziel dieser Therapie ist es, das kranke Abwehrsystem (Immunsystem) durch das Immunsystems eines gesunden Spenders zu ersetzen. Gesundes Knochenmark ist reich an Stammzellen. Stammzellen sind Zellen, die keine oder nur eine geringe Differenzierung aufweisen und somit in ihrer späteren Funktion im Organismus noch nicht festgelegt sind. Dadurch haben Stammzellen die Fähigkeit, sich zu verschiedenen Zelltypen entwickeln zu können, unter anderem zu Zellen des Immunsystems. Wird ein passender gesunder Spender gefunden, ist es möglich, dem betroffenen Kind gesundes Knochenmark mittels einer Infusion zu übertragen. Die Knochenmarkstransplantation ist keine Transplantation, wie man sie von anderen Organen her kennt, sondern die im Knochenmark enthaltenen Stammzellen können einfach über eine Vene gespritzt werden. Über das Blut finden sie allein ihren Weg in das Knochenmark und beginnen dann dort, gesunde Blutzellen zu bilden.

Eine KMT birgt aber auch viele Risiken und es kann zu Komplikationen kommen. Meist sind die Komplikationen gut behandelbar, manche können aber auch einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen.

Bevor es zu einer Therapieentscheidung kommt, wird ein Team von Spezialisten (Immunologen, Hämatologen) die genaue Vorgehensweise, Risiken und Nutzen genau mit Ihnen besprechen und es wird Ihnen genug Zeit gegeben, Fragen zu stellen und Unsicherheiten zu klären.

Um die KMT durchführen zu können, ist es wichtig, einen geeigneten Spender zu finden. Daher wird bei Eltern und Geschwistern (manchmal auch bei weiteren Familienangehörigen) Blut abgenommen, um die Merkmale bestimmen zu können, die bei einer Transplantation übereinstimmen müssen. Wird innerhalb der Familie ein zu dem betroffenen Kind passender Spender gefunden (meist ein gesundes Geschwisterkind), so kommt diese Person als Spender in Frage. Ist innerhalb der Familie keine geeigneter Spender zu finden, wird eine weltweite Suche nach einem geeigneten Spender über ein Register veranlasst. Hiermit besteht heute eine sehr gute Chance, für die meisten Patienten einen Spender zu finden.

Ist ein geeigneter Spender gefunden, so beginnt die Therapievorbereitung für die KMT. In der Regel ist es notwendig, vor der KMT eine Chemotherapie durchzuführen, um das kranke Immunsystem des Patienten zu zerstören und damit Platz zu schaffen für das neue, gesunde Knochenmark.

Die Prognose bei Hyper-IgM-Syndrom ist insgesamt gut. Probleme bereiten langfristig vor allem chronische Lungenerkrankungen auf dem Boden wiederholter Infektionen. Hier ist eine gute Lungenhygiene mit intensiver krankengymnastischer Behandlung bei Bedarf ein ganz wichtiges Therapieelement. Durch eine frühe Diagnosestellung können schwere Komplikationen vermieden werden. Auch eine Mitbeteiligung des Gastrointestinaltraktes kann zu langwierigen Beschwerden und schlechter Nahrungsverwertung führen und bedarf einer konsequenten Behandlung.

Bei Auftreten von Autoimmunerscheinungen können diese akut, aber auch chronisch verlaufen und dann zu dauerhafter Therapie und Reduktion der Lebensqualität führen. Mit Hilfe von Immunglobulinen, prophylaktischen Medikamenten gegen Bakterien und Viren sowie Immunsuppressiva können diese Krankheitszeichen vermindert, aber meist nicht vollständig vermieden werden. Dennoch reichen diese Therapieverfahren für die Formen des Hyper-IgM-Syndroms, bei denen nur die B-Zellen betroffen sind, aus.

Bei CD40/CD40L-Syndrom lässt sich eine Gefährdung durch schwere (auch lebensbedrohliche) Infektionen allerdings durch Immunglobuline und prophylaktische Antibiotika nicht vollständig beseitigen. Dies ist nur durch eine Knochenmarkstransplantation möglich, die die Erkrankung vollständig heilen kann, aber auch mit Risiken verbunden ist. Deshalb muss sorgfältig abgewogen werden, ob und wann sie durchgeführt werden soll.

Die Wirkung von Impfungen besteht darin, die Bildung von Antikörpern anzuregen. Wenn die Antikörperbildung gestört ist, sind Impfungen nur von begrenztem Nutzen. Bei Patienten mit dem Hyper-IgM-Syndrom können alle nach STIKO (Ständige Impfkomission) empfohlenen Impfungen mit Todimpfstoffen gefahrlos durchgeführt werden. Die Wirksamkeit ist allerding begrenzt. Sind die Patienten mit Antikörperinfusionen (Immunglobulinen) behandelt, erhalten sie sozusagen einen passiven Schutz durch die Antikörper und weitere Standard-Impfungen müssen nicht durchgeführt werden. Dennoch macht es Sinn, die Patienten gegen Influenza (Grippe), FSME (Frühsommermeningoenzephalitis, je nach Wohnort) und gegen HPV (Humanes Papillom Virus) zu impfen, da diese Antikörper in der Regel nicht in den Präparaten enthalten sind. Die Anwendung von Lebendimpfstoffen (MMR, Rotavirus, nasale Grippeimpfstoffe, Gelbfieber) sollte nur nach Rücksprache mit einem erfahrenen Arzt erfolgen und ist bei Patienten mit kombinierten Defekten (CD40 und CD40-Ligand) kontraindiziert.

Eine jährliche Impfung der engen Kontaktpersonen mit dem Influenza-Impfstoff ist zum Schutz des Patienten bei allen Formen des Hyper-IgM-Syndroms sinnvoll.

Kinder mit Hyper-IgM-Syndrom können in der Regel den Kindergarten und die Schule besuchen. Spezielle Isolations- oder Hygienemaßnahmen bringen keinen Vorteil. Bei Überlegungen zur Berufswahl ist eine Beratung sinnvoll.

Bei CD40 oder CD40-Ligand-Defekt kann durch eine Knochenmarkstransplantation das kranke Immunsystem des Patienten durch ein gesundes ausgetauscht werden. Bei erfolgreicher Transplantation werden alle Risiken durch Infektionen, gestörter Immunregulation und Lymphomentstehung beseitigt. Krankheitserscheinungen durch bereits abgelaufene Infektionen (z.B. Narben oder Veränderungen in der Lunge) können nicht mehr beseitigt werden. Für Formen des Hyper-IgM-Syndroms, für die die Knochenmarkstransplantation keine sinnvolle Option ist, stehen verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die lebenslang durchgeführt werden müssen. Durch eine konsequente Antikörperersatztherapie kann das Risiko für Infektionen stark gesenkt werden und auch der Einsatz einer antibiotischen Prophylaxe kann das Risiko von Infektionen verringern.

Stand
März 2019

Hinweis
Wir möchten mit unseren Patientenbroschüren gerne dazu beitragen, dass betroffene Patienten, Eltern und ihr Umfeld die Erkrankung und ihre Behandlung besser verstehen. Die Broschüren sind sorgfältig erstellt und beschreiben die Erkrankung und deren Behandlung. Auch wenn Sie viele Informationen in den Broschüren finden, können diese vorliegenden Informationen keinen Arztbesuch ersetzen.

Autor
Henrike Ritterbusch

+49 (0)761 270-45240

henrike.ritterbusch@uniklinik-freiburg.de


Wissenschaftliche Begleitung
Prof. Dr. Stephan Ehl

+49 (0)761 270-77300

stephan.ehl@uniklinik-freiburg.de


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