Zu den Inhalten springen

Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS)

Das Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS) ist eine seltene, angeborene Erkrankung, welche durch drei klassische Krankheitszeichen charakterisiert ist: wiederkehrende Infektionen infolge einer Störung des Abwehrsystems, Blutungsneigung bei erniedrigter Anzahl der Blutplättchen (Thrombozytopenie) mit zu kleinen und in ihrer Funktion eingeschränkten Blutplättchen und Hautausschlägen (Ekzemen). Das klinische Erscheinungsbild kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und von einer isolierten Blutungsneigung bis zu sehr schweren Formen mit vermehrten Infektionen, Autoimmunität und Tumoren reichen.

Die ersten Krankheitszeichen können bereits bei der Geburt bestehen oder sich noch in der Neugeborenenperiode entwickeln und sind durch die verminderte Anzahl und Funktion der Blutplättchen bedingt. Die Blutplättchen (Thrombozyten) sind ein Teil des Gerinnungssystems und verhindern Blutungen. Sind die Blutplättchen, in ihrer Anzahl erniedrigt und zu klein, können kleine Wunden nicht rasch genug geschlossen werden mit der Folge einer erhöhten Blutungsneigung. Nach der Geburt zeigt sich dies, als kleine, punktförmige Einblutungen in die Haut, den sogenannten Petechien. Im weiteren Verlauf kann es zum Auftreten von blutigen Durchfällen, zu verlängerten und verstärkten Blutungen bei Verletzungen oder auch zu inneren Blutungen bis hin zu Hirnblutungen kommen.

Das zweite typische Symptom sind wiederkehrende Infektionen, die meist nach dem sechsten Lebensmonat (nach Abbau der über die Plazenta übertragenen mütterlichen Antikörper) auftreten. Die Ursache der Infektionen bei WAS ist ein Defekt in der Funktion einer Reihe von Immunzellen, was eine Störung des Abwehrsystems zur Folge hat. Diese Störung führt zu wiederkehrenden Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilze. Das Ausmaß des Immundefektes ist bei den betroffenen Patienten unterschiedlich stark ausgeprägt. Die häufigsten Infektionen sind wiederkehrende Mittelohrentzündungen und Lungenentzündungen, seltener sind „Blutvergiftungen“ (Sepsis), Hirnhautentzündung (Meningitis) oder infektiöse Durchfallserkrankungen. Auch Viruserkrankungen wie Herpes oder Windpocken können bei WAS deutlich schwerer verlaufen als normal. Sogenannte opportunistische Infektionen durch Pilze (z.B. weißliche Beläge im Mund, Soor) oder Lungenentzündungen durch Pneumozystis sind seltener, aber dennoch deutlich häufiger als bei immungesunden Personen. Auch eine Vergrösserung der Milz (Splenomegalie) kann bei WAS beobachtet werden.

Das dritte charakteristische Krankheitszeichen sind Hautausschläge, die sich in ihrem Erscheinungsbild nur schwer von einer Neurodermitis (atopischen Dermatitis) unterscheiden lassen. Die Ekzeme können am ganzen Körper auftreten. Typischerweise ist die Haut trocken und  juckend. Häufig kommt es durch den ausgeprägten Juckreiz im Verlauf zu Kratzeffekten, die dann als Eintrittspforte für Keime dienen und eine zusätzliche Infektion der geschädigten Haut begünstigen. Das Ekzem ist ebenfalls Folge der Störung des Immunsystems. Einerseits versagen Regulationsmechanismen, so dass die Haut Ziel eines Angriffs des Immunsystems wird. Andererseits ist die Infektabwehr gestört, so dass Infektionen der Haut die Ekzemneigung begünstigen.

Häufig treten bei Patienten mit WAS auch Autoimmunerkrankungen auf. Darunter versteht man Erkrankungen, bei denen sich das Abwehrsystem gegen köpereigene Strukturen richtet. Beim WAS sind Regulationsmechanismen gestört, die solche Reaktionen verhindern. Häufig sind hiervon die Blutzellen betroffen, es kommt zu einer Armut an roten Blutkörperchen (Anämie) oder weißen Blutkörperchen (Neutropenie). Auch Gelenke und Gefäße können Ziel einer solchen Autoimmunerkrankung werden (Arthritis bzw. Vaskulitis). Patienten mit Wiskott-Aldrich-Syndrom haben durch ihre Grunderkrankung auch ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Lymphdrüsenkrebs (maligne Lymphome), was ebenfalls durch die eingeschränkte immunologische Überwachung bedingt ist.

WAS ist eine seltene Erkrankung. Sie tritt in Deutschland bei ungefähr 1 von 250.000 Personen auf. Aufgrund des Erbgangs sind ausschließlich Jungen betroffen.

Das Wiskott-Aldrich-Syndrom ist eine vererbte (genetische) Erkrankung. Das bedeutet, dass der Bauplan (Gen) für ein Eiweiß (Protein) einen Fehler hat und damit das Protein nicht mehr in der in der richtigen Form oder gar nicht mehr gebildet werden kann. Bei Patienten mit dem Wiskott-Aldrich-Syndrom liegt ein Fehler in einem Gen vor, welches das sogenannte WAS-Protein (WASP) kodiert. Dieses Protein ist wesentlich für die Funktion des inneren Gerüsts, das den Zellen ihre Form gibt, dem sogenannten Zytoskelett. Ein funktionierendes Zytoskelett ist wichtig für die Entstehung von Thrombozyten aus ihren Vorläuferzellen, den Megakaryozyten. Bei einem Mangel an WASP sind die entstehenden Thrombozyten vermindert und bleiben zu klein, so dass sie ihre Aufgage in der Blutstillung nicht richtig wahrnehmen können.

Ein funktionierendes Zytoskelett ist aber auch wichtig, wenn verschiedene Immunzellen miteinander in Kontakt kommen, um Signale auszutauschen. Das Zytoskelett dient hierbei der Stabilisierung der Kontaktfläche zwischen zwei Zellen. Zell-Zell Kontakte sind für viele Immunreaktionen von entscheidender Bedeutung. So ist die Aktivierung von Immunzellen kontaktabhängig und auch die Reifung mancher Zellen, die Voraussetzung für bestimmte Immunfunktionen ist. Ohne einen stabilen Signalaustausch bei Fehlen von WASP, ist die Bildung von Antikörpern und auch die Funktion von T-Zellen ist gestört. Schließlich ist das Zytoskelett auch wichtig für die gerichtete Bewegung von Immunzellen. Dies trifft vor allem sogenannte dendritische Zellen. Diese Zellen können Bestandteile von Infektionserregern aufnehmen und in die Lymphknoten transportieren, wo dann die Aktivierung von Immunzellen stattfinden kann.

Durch die gestörte Bildung von Antikörpern kommt es beim WAS zu vermehrten bakteriellen Infektionen. Vor allem Bakterien, die eine Kapsel tragen (Pneumokokken, Hämophilus), können schlecht abgewehrt werden. Die Störung der Aktivierung von T-Zellen führt zu schwereren Verläufen von Virusinfektionen. Während die Funktion der B-Lymphozyten häufig bereits schon im ersten Lebensjahr deutlich beeinträchtigt ist, nimmt die T-Zell Funktion mit zunehmendem Alter ab, was die Infektionsneigung deutlich verstärkt. Die eingeschränkte Fähigkeit von Immunzellen, Signale auszutauschen, führt zu einer gestörten Regulation von Immunantworten. Dies führt zur ekzematösen Hauterkrankung, Autoimmunerkrankungen und häufig einer Erhöhung des IgE Wertes.

Bei manchen Kindern ist die Störung des Bauplans für WASP so gering ausgeprägt, dass nicht das Vollbild der Erkrankung auftritt, sondern nur eine Blutungsneigung besteht. Die Erkrankung wird dann als X-chomosomal vererbte Thrombozytopenie oder XLT bezeichnet. Welche der Verlaufsformen vorliegt, kann nur durch immunologische und/oder genetische Untersuchungen geklärt werden.

Wenn eine Erbkrankheit vorliegt, bedeutet das, dass der Patient von Mutter und/ oder Vater das fehlerhafte Gen geerbt hat. Jeder Mensch besitzt von jedem Gen zwei Stück, eines vom Vater und eines von der Mutter. Für die meisten Erbkrankheiten ist es nötig, dass beide Gene fehlerhaft sind, da ein gesundes Gen in der Regel ausreicht, genügend gesundes Protein herstellen zu können.

Beim Wiskott-Aldrich-Syndrom handelt es sich um einen genetischen Defekt, der X-chromosomal rezessiv, d.h. geschlechtsgebunden vererbt wird. Das bedeutet, dass das betreffende Gen (WASP-Gen) auf dem Geschlechtsbestimmenden X-Chromosom liegt. Die Krankheit wird bei diesem Erbgang in der Regel durch die Mütter übertragen. Sie sind klinisch gesund, da sie das kranke X-Chromosom durch ihr zweites, gesun- des X-Chromosom ausgleichen können. Söhne betroffener Mütter können nun entweder das kranke oder das gesunde X-Chromosom erben. Männer besitzen nur ein X-Chromosom, so dass ein Sohn, der das kranke X-Chromosom erbt, nicht in der Lage ist, den Fehler auszugleichen.

Dies bedeutet, dass von einer Mutter mit einem fehlerhaften WASP-Gen die Hälfte aller Söhne an WAS erkrankt, die andere Hälfte aber gesund ist. Alle Töchter sind gesund, aber die Hälfte aller Töchter erbt ein krankes Gen und kann daher wiederum die Erkrankung an die Hälfte ihrer Söhne weitergeben. In manchen Fällen hat die Mutter eines betroffenen Sohnes auch 2 gesunde WASP-Gene; dann hat sich der genetische Fehler bei der Entwicklung des Kindes ergeben und weitere Kinder dieser Mutter sind nicht betroffen. Jedenfalls sollte bei Diagnose eines WAS eine genetische Untersuchung und Beratung der erweiterten Familie erfolgen, um das Risiko des erneuten Erkrankungsfalls einschätzen zu können.

In der Regel wird der Verdacht eines Wiskott-Aldrich-Syndroms aufgrund des typischen klinischen Erscheinungsbildes mit Ekzemen, kleinen Hautblutungen und gehäuften Infektionen geäußert. Mit Hilfe von weiterführenden Blutuntersuchungen kann dieser Verdacht erhärtet werden. Ein wesentlicher Laborbefund ist die geringe Anzahl der Blutplättchen sowie ihre verminderte Größe. Bei weiteren Blutuntersuchungen zeigen sich typischerweise Auffälligkeiten der Antikörperspiegel, wobei die IgA- und IgE-Werte erhöht sind, IgG meist normal und IgM häufig erniedrigt ist. Die Antikörperbildung gegen Impfstoffe ist meist beeinträchtigt, ebenso die Bildung von Antikörpern gegen bestimmte Blutgruppenbestandteile den sog. Isohämagglutininen. Bei älteren Patienten lässt sich zusätzlich häufig eine fortschreitende Erniedrigung und Funktionsstörung der T-Lymphozyten diagnostizieren. Die endgültige Diagnose kann durch den Nachweis eines Fehlers (Mutation) im WAS- Gen gesichert werden. Eine Diagnosestellung noch während der Schwangerschaft ist möglich. In der Regel lässt sich nach einer genetischen Untersuchung auch voraussagen, ob das Vollbild eines WAS zu erwarten ist oder eher eine XTL.

Es sind zwei Behandlungsansätze zu unterscheiden. Der eine Ansatz ist darauf ausgerichtet, die Folgen des Gendefekts zu bekämpfen, der andere, schwierigere Ansatz zielt auf eine ursächliche Behandlung des Gendefekts. Wenn die Diagnose WAS gestellt worden ist, gilt es zunächst, die akuten Krankheitserscheinungen zu behandeln. Die Behandlung orientiert sich dabei an der Ausprägung der einzelnen Krankheitszeichen.

Infektionen bei WAS Patienten müssen zügig, ausreichend dosiert und ausreichend lange antibiotisch behandelt werden. Auch eine dauerhafte vorbeugende (prophylaktische) Antibiotikagabe kann je nach Häufigkeit  von Infektionen sinnvoll sein. Bei Nachweis einer Störung der Bildung von Antikörpern wird als vorbeugende Maßnahme vor schweren Infektionen eine regelmäßige intravenöse (über die Vene, zwei bis vier Mal wöchentlich) oder subkutane (unter die Haut, wöchentlich) Zufuhr von Antikörpern (Immunglobulinen) durchgeführt.

Die Thrombozytopenie beruht auf einer Bildungsstörung, die aber immunologisch verstärkt werden kann. In diesen Fällen kann eine immunologisch orientierte Therapie mit Cortison oder Hochdodisimmunglobulin hilfreich sein. Thrombozytenkonzentrate sollten nur in lebensbedrohlichen Situationen (z.B. schweren Blutungen) gegeben werden. Aspirin darf Kindern mit WAS nicht gegeben werden, weil sich hierbei die Plättchenfunktion nochmals verschlechtert. Eine operative Entfernung der Milz (Splenektomie) kann die Thrombozytopenie positiv beeinflussen, muss aber in ihrem Nutzen gegen das dadurch erhöhte Infektionsrisiko sorgfältig abgewogen werden.

Um das Ekzem zu verbessern, kommen lokale Behandlungsmöglichkeiten, wie rückfettende und z.T. cortisonhaltige Salben zum Einsatz. Oft tragen bakterielle Infektionen zum Ekzem bei, so dass Antibiotika eingesetzt werden. Bei Pilzbefall kommen Pilzmedikamente zum Einsatz. Häufig können auch dietätische Maßnahmen (z.B. Ei- und Kuhmilchfreie Diät) den Hautbefund positiv beeinflussen. Cortisonpräparate sind in ihrer Wirkung sehr gut bekannt und sind ein wichtiges Element der Akutbehandlung, sind aber für die Dauerbehandlung weniger gut geeignet. Daher kommen auch Medikamente zum Einsatz, die langfristig gezielter die fehlgesteuerte Immunreaktion unterdrücken können (z.B. Elidel oder Protopic).

Als ursächliche Behandlung steht die Knochenmarktransplantation zur Verfügung. Hierbei wird durch eine Chemotherapie das eigene Knochenmark des Kindes zerstört und anschließend gesundes Knochenmark infundiert (sh. Merkblatt zur Knochenmarkstransplantation). Da der Gendefekt bei WAS ausschließlich Blutzellen betrifft, kann hierdurch die Erkrankung geheilt werden. Die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn die Transplantation frühzeitig durchgeführt wird (vor dem 5. Lebensjahr). Nach einer erfolgreich durchgeführten Transplantation kommt es zu einer Normalisierung der gestörten Blutwerte, ebenso wie zu einem Rückgang des Exanthems. Eine weitere ursächliche Behandlungsmöglichkeit ist die Gentherapie, die in Deutschland bereits für WAS durchgeführt wird. Dieses viel versprechende neue Verfahren ist noch experimentell und kann derzeit bezüglich seiner Risiken noch nicht abschließend bewertet werden.

Wird ein geeigneter Spender für die Transplantation gefunden und diese erfolgreich durchgeführt, ist die Heilungschance des Wiskott-Aldrichs-Syndroms heutzutage sehr hoch. Ohne Transplantation liegt die Lebenserwartung heutzutage bei einem durchschnittlichen Alter von 20 Jahren. Nicht-transplantierte WAS-Patienten haben auch ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. Entsprechende regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen bei einem mit diesen Erkrankungen vertrauten Arzt sind daher notwendig.

Patienten mit WAS sollten alle empfohlenen Todimpfstoffe erhalten. Diese Impfstoffe stellen kein Risiko dar, spezielle Nebenwirkungen von Impfungen bei der WAS Syndrom sind nicht bekannt. Nicht immer sind aber die Impfungen auch wirksam und das Ansprechen auf Impfstoffe sollte daher kontrolliert werden. Lebendimpfstoffe (Masern, Mumps, Röteln, Windpocken, Rotavirus, BCG) sollten nicht gegeben werden, hier besteht ein Erkrankungsrisiko aufgrund des Immundefekts. Umso wichtiger ist es aber, dass Familienangehörige sowie  enge- re Kontaktpersonen das volle Impfprogramm nach den aktuellen Empfehlungen erhalten.

Der Besuch von Kindergarten und Schule ist möglich, die entsprechenden Betreuungspersonen sollten über die Erkrankung, insbesondere über Infektanfälligkeit und Blutungsneigung informiert werden.

Das Wiskott-Aldrich-Syndrom kann durch eine erfolgreiche Transplantation bei einem Großteil der betroffenen Patienten geheilt werden. Eine Genersatztherapie kann in der Zukunft ebenfalls eine erfolgreiche Behandlungsform sein.

Stand
2009

Hinweis
Wir möchten mit unseren Patientenbroschüren gerne dazu beitragen, dass betroffene Patienten, Eltern und ihr Umfeld die Erkrankung und ihre Behandlung besser verstehen. Die Broschüren sind sorgfältig erstellt und beschreiben die Erkrankung und deren Behandlung. Auch wenn Sie viele Informationen in den Broschüren finden, können diese vorliegenden Informationen keinen Arztbesuch ersetzen.

Autor
Henrike Ritterbusch

+49 (0)761 270-45240

henrike.ritterbusch@uniklinik-freiburg.de


Wissenschaftliche Begleitung
Prof. Dr. Stephan Ehl

+49 (0)761 270-77300

stephan.ehl@uniklinik-freiburg.de


UNIVERSITÄTSKLINIKUM FREIBURG
Centrum für Chronische Immundefizienz
Mathildenstraße 1
79106 Freiburg
www.uniklinik-freiburg.de/cci