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Variables Immundefektsyndrom (CVID)

= Common Variable Immunodeficiency = CVID

Das variable Immundefektsyndrom (common variable immunodeficiency = CVID) ist eine chronische Erkrankung, die auf einer Fehlsteuerung des Abwehrsystems beruht. Wie der Name sagt, sind die Ursachen und Auswirkungen der Erkrankung variabel. In erster Linie können Antikörper nicht in ausreichender Menge und Qualität gebildet werden. Dies führt dazu, dass sich der Körper gegen Infektionen nicht so gut wehren kann. Das betrifft vor allem bakterielle Infektionen der Atemwege (Mittelohrentzündungen, Nebenhöhlenentzündungen, Entzündungen der Bronchien und der Lunge), manchmal aber auch Infektionen mit Viren (z.B. Herpes) oder Pilzen (z.B. Mundsoor oder Nagelpilz). Auch Durchfallerkrankungen sind häufig. Die Fehlsteuerung kann sich auch dadurch äußern, dass sich das Abwehrsystem gegen den eigenen Körper richtet. Es kommt dann zu Autoimmunerkrankungen, die vor allem gegen Blutzellen, manchmal auch gegen Haut, Gelenke, Augen oder die Schilddrüse gerichtet sind. Bei einigen Patienten schwellen Lymphdrüsen, Leber oder Milz an oder es bilden sich in verschiedenen Organen kleine (gutartige) Knötchen (Granulome). Vor allem im Erwachsenenalter ist auch das Risiko für Krebserkrankungen, insbesondere für Lymphdrüsenkrebs erhöht. Die CVID Erkrankung ist nicht bei jedem Patienten gleich. Der Beginn der Krankheitserscheinungen kann im Kindesalter oder aber erst im Erwachsenenalter liegen. Das Ausmaß der Infektneigung oder der Autoimmunerscheinungen kann sehr unterschiedlich sein. Auch der Verlauf der Erkrankung ist von Patient zu Patient sehr verschieden.

Die CVID Erkrankung ist komplexer als eine reine Antikörpermangelerkrankung, aber die Störung anderer Bereiche des Immunsystems (T-Zell Immunität) ist begrenzt. Wenn die T-Zell Immunität stärker betroffen ist, sprich man von kombinierten Immundefekten (combined immunodeficiency = CID). Diese haben einen schwereren Verlauf und erfordern eine andere Therapie. Der Übergang zwischen CVID und CID ist fließend und kann sich auch erst im Verlauf der Erkrankung ergeben.

CVID ist eine seltene Erkrankung, auch wenn sie unter den Immundefekten zu den häufigeren Erkrankungen gehört. Sie tritt in Deutschland ungefähr bei 1 von 100.000 Personen auf.

Die Ursachen der CVID Erkrankung sind noch nicht gut verstanden. Wahrscheinlich ist die Veranlagung zu der Erkrankung in den meisten Fällen angeboren, also genetisch bedingt. Das bedeutet, dass der Bauplan (Gen) für ein Eiweiß (Protein) einen Fehler hat und damit das Protein nicht mehr in der in der richtigen Form oder gar nicht mehr gebildet werden kann. Inzwischen kann man bei einem Teil der Patienten eine eindeutige genetische Erkrankung nachweisen. Es sind ganz verschiedene genetische Erkrankungen, die CVID auslösen können, was zur Variabilität des Krankheitsbildes beiträgt. Der Begriff CVID wurde geprägt, als man diese genetischen Ursachen noch nicht kannte. Wird ein Gendefekt bei einem CVID-Patienten nachgewiesen, benennt man die Krankheit nach dem Gendefekt (z.B. CTLA4-Defekt oder NFkB-assoziierte Erkrankung) und kann dann manchmal auch spezifischere Therapieansätze wählen. Bei der Mehrzahl der Patienten kann aber trotz intensiver Suche immer noch kein Gendefekt identifiziert werden. Bei diesen Patienten wird weiterhin der Begriff CVID eingesetzt.

Bei allen CVID-Patienten liegt ein Fehler in der Funktion der Abwehrzellen vor, die für die Bildung einer ausreichenden Menge hochwertiger Antikörper verantwortlich sind (B-Lymphozyten). Je nach Variante der Erkrankung sind in unterschiedlichem Ausmaß auch andere Zellen des Immunsystems von einer Funktionsstörung betroffen. Das sind insbesondere T-Zellen, die für die Abwehr von Virus- und Pilzinfektionen sowie für die Steuerung des Immunsystems verantwortlich sind. Bei CVID-Patienten überwiegt der Antikörperdefekt. Wenn der T-Zell Defekt überwiegt, ist die Diagnose CVID nicht richtig, solche Patienten werden dann als kombinierter Immundefekt (CID) klassifiziert. Bei allen Patienten mit Verdacht auf CVID muss daher eine sorgfältige Untersuchung der T-Zell Immunität erfolgen.

Wie oben erwähnt, kann nur in einem Teil der Fälle eine erbliche Ursache der CVID-Erkrankung festgestellt werden. Wenn eine Erbkrankheit vorliegt, bedeutet das, dass der Patient von Mutter und/oder Vater das fehlerhafte Gen geerbt hat. Jeder Mensch besitzt von jedem Gen zwei Stück, eines vom Vater und eines von der Mutter. Für viele Erbkrankheiten ist es nötig, dass beide Gene fehlerhaft sind, da ein gesundes Gen in der Regel ausreicht, genügend gesunde Proteine herstellen zu können. Bei der CVID-Erkrankung liegen aber oft genetische Störungen vor, bei denen eine Veränderung auf einem Gen ausreicht, um die Erkrankung auszulösen. Das bedeutet dann, dass für jedes Kind eines betroffenen Patienten 50% Wahrscheinlichkeit besteht, ebenfalls zu erkranken. Wenn eine auslösende genetische Erkrankung bei CVID-Patienten festgestellt wird, sollte in jedem Fall eine genetische Beratung erfolgen, um das Vererbungsrisiko genau zu besprechen.

Es gibt keinen einfachen Bluttest, um die CVID-Erkrankung festzustellen. In der Regel sind mehrere Blutuntersuchungen notwendig, deren Ergebnisse dann gemeinsam mit einer sehr sorgfältig erhobenen Krankengeschichte beurteilt werden müssen. Manchmal sind auch feingewebliche Untersuchungen z.B. an einem Lymphknoten erforderlich, gelegentlich ist es sinnvoll, eine Knochenmarksuntersuchung durchzuführen. Der erste Schritt ist, im Blut nachzusehen, ob Antikörper in ausreichender Menge vorhanden sind. Es muss dann festgestellt werden, ob der geringe Antikörperspiegel durch einen Verlust (über Urin oder Stuhl) oder tatsächlich durch eine verminderte Bildung verursacht wird. Zusätzlich wird geprüft, ob der Patient Antikörper bilden kann, wenn er sich mit einer Infektion oder einer Impfung auseinandersetzt. Hierbei wird oft eine Testimpfung mit anschließender Erfolgskontrolle durchgeführt. Im nächsten Schritt werden die Blutzellen, die an der Antikörperbildung beteiligt sind, im Reagenzglas untersucht. Es kann festgestellt werden, ob die Antikörper-bildenden B-Zellen in ausreichender Zahl vorhanden sind und ob ihnen ausreichend T-Zellen gegenüberstehen, die als Helfer-Zellen die Bildung von Antikörpern unterstützen. Oft werden noch weitere Blutuntersuchungen zur Funktionstestung des Immunsystems angeschlossen. Schließlich sind Gentests wichtig, um festzustellen, ob eine erbliche Form der Erkrankung vorliegt.

Neben den Untersuchungen, die auf die Ursache der Erkrankung ausgerichtet sind, müssen Untersuchungen durchgeführt werden, die sich mit den Folgen der Erkrankung auseinandersetzen. Dies sind in erster Linie Infektionen und entzündliche oder Autoimmunkrankheiten. Vor allem Untersuchungen der Lunge sind wichtig, hierzu gehören Röntgen- oder CT-Untersuchungen, Lungenfunktionsuntersuchungen, manchmal auch feingewebliche Untersuchungen. Aber auch Darmspiegelungen, Ultraschalluntersuchungen von Leber, Milz und Lymphknoten, Kernspinuntersuchungen des Kopfes und andere Untersuchungen können zum Programm gehören. All diese Befunde dienen dazu, die sehr heterogene CVID-Erkrankung beim individuellen Patienten richtig zu erfassen, um dann das richtige Konzept für Therapie und langfristige Verlaufskontrollen aufzustellen.

Die Behandlung bei der CVID-Erkrankung besteht in erster Linie aus dem Ersatz der fehlenden Antikörper durch Infusionen. Da die Antikörper nach einer gewissen Zeit im Körper abgebaut werden, müssen die Infusionen regelmäßig wiederholt werden. Die Infusionen können entweder über die Vene erfolgen (alle 4 Wochen) oder mit einer Pumpe unter die Haut verabreicht werden (in unterschiedlichen Intervallen von täglich bis monatlich). Die Handhabung der Pumpe kann für den Heimgebrauch erlernt werden. Die verschiedenen verfügbaren Präparate erlauben eine sehr individuelle Anpassung des Therapiekonzepts. Mehr Informationen zur Antikörperersatztherapie gibt es in einer separaten Immundefektinformation für Patienten. Bei vielen Patienten genügen die Antikörper-Infusionen, um die Infektneigung zu kontrollieren. Manchmal ist jedoch auch eine Dauerbehandlung (Prophylaxe) mit Antibiotika notwendig. Bei Infekten der oberen Atemwege einschließlich Nasennebenhöhlenerkrankungen können Spülungen mit Kochsalzlösung Beschwerden lindern. Bei chronischem Husten oder Lungenentzündungen können Inhalationen mit sekretlösenden Medikamenten helfen, vor allem in Verbindung mit krankengymnastischen Übungen. Bei einigen Patienten mit CVID stehen zusätzlich Autoimmunerkrankungen oder eine Vergrößerung von Milz, Leber oder Lymphknoten im Vordergrund. Für die Behandlung der mit CVID verbundenen Autoimmunerkrankungen ist oft eine Therapie mit Cortison notwendig. Um nicht zu lange Cortison verwenden zu müssen, kommen auch andere Medikamente zum Einsatz, die das fehlgesteuerte Immunsystem beeinflussen. Sie werden je nach betroffenem Organ, je nach der individuellen Konstitution des Immunsystems und je nach vorliegendem genetischen Defekt ausgewählt. Oft sind mehrere Medikamente notwendig, um die fehlgesteuerte Immunität zur Ruhe zu bringen. Auch die Lymphknoten- oder Organvergrößerung kann solche Ausmaße annehmen, dass man mit Medikamenten versuchen muss, die Größe wieder zu reduzieren. Manchmal ist eine operative Milzentfernung notwendig.

Die Prognose der CVID-Erkrankung ist durch die Möglichkeit der Antikörperersatztherapie insgesamt gut. Die meisten Betroffenen haben eine normale Lebenserwartung. Probleme bereiten langfristig vor allem chronische Lungenerkrankungen auf dem Boden der wiederholten Infektionen. Es sollten regelmäßige Lungenuntersuchungen (Lungenfunktionsuntersuchungen, Röntgen- oder MRT-Untersuchungen) durchgeführt werden. Auch chronische Virusinfektionen können problematisch sein und sind oft schwer zu therapieren. Wenn Autoimmunerkrankungen auftreten, können diese hartnäckig sein und eine langfristige medikamentöse Therapie notwendig machen. Es besteht bei CVID-Patienten auch ein erhöhtes Risiko, an Lymphdrüsenkrebs oder an Magenkrebs zu erkranken. Entsprechende Vorsorgeuntersuchungen bei einem mit diesen Erkrankungen vertrauten Arzt sind daher notwendig. Bei schweren Verläufen, die eher in das Spektrum der kombinierten Immundefekte fallen, kann unter sorgfältigem Abwägen von Chancen und Risiken auch eine Knochenmarkstransplantation sinnvoll sein.

Die entscheidende Wirkung von Impfungen besteht darin, die Bildung von Antikörpern anzuregen. Auch wenn diese Antikörperbildung (wie bei CVID-Erkrankungen) gestört ist, können Impfungen von Nutzen sein. Dies liegt daran, dass nicht nur Antikörper, sondern auch T-Zellen zum Infektionsschutz nach Impfungen beitragen. Außerdem sind schädliche Wirkungen durch Totimpfstoffe nicht zu befürchten. Aus diesem Grund wird die jährliche Influenzaimpfung bei CVID empfohlen. Neben der Impfung des Patienten ist auch eine Impfung von engen Kontaktpersonen mit dem Influenza-Impfstoff sinnvoll. Bei entsprechenden regionalen Empfehlungen wird die FSME-Impfung empfohlen. Die HPV-Impfung sollte durchgeführt werden. Impfungen gegen SARS-CoV2 sollten mit Todimpfstoffen unbedingt durchgeführt werden. Manchmal wird eine Impfung mit einem Todimpfstoff auch diagnostisch eingesetzt und kann wichtige Hinweise für die Einschätzung der CVID-Erkrankung geben. Impfungen mit Lebendimpfstoffen (Masern, Mumps, Röteln, Varizellen-Lebendimpfstoff, BCG) sollten nur nach sehr sorgfältiger Abwägung durch einen Immundefektspezialisten durchgeführt werden, da sie bei geschwächtem Abwehrsystem auch schaden können.

Kinder mit CVID-Erkrankung können Kindergarten und Schule uneingeschränkt besuchen. Bei ausgeprägter Vergrößerung der Milz sollten bestimmte Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden, die im Einzelnen mit dem behandelnden Arzt besprochen werden sollten.

Die CVID-Erkrankung kann bisher nicht geheilt werden. Die Erkrankung ist chronisch, d.h. sie dauert lebenslang. Durch die Antikörperersatztherapie können aber die meisten CVID-Patienten als Erwachsene ein ganz normales Leben führen.

Stand
Oktober 2021

Hinweis
Wir möchten mit unseren Patientenbroschüren gerne dazu beitragen, dass betroffene Patienten, Eltern und ihr Umfeld die Erkrankung und ihre Behandlung besser verstehen. Die Broschüren sind sorgfältig erstellt und beschreiben die Erkrankung und deren Behandlung. Auch wenn Sie viele Informationen in den Broschüren finden, können diese vorliegenden Informationen keinen Arztbesuch ersetzen.

Autor
Henrike Ritterbusch

+49 (0)761 270-45240

henrike.ritterbusch@uniklinik-freiburg.de


Wissenschaftliche Begleitung
Prof. Dr. Stephan Ehl

+49 (0)761 270-77300

stephan.ehl@uniklinik-freiburg.de


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