Zu den Inhalten springen

22q11 Deletions-Syndrom

Die Bezeichnung 22q11 Deletions-Syndrom steht übergeordnet für eine Gruppe von Syndromen mit unterschiedlich stark ausgeprägten Krankheitszeichen, zu denen das DiGeorge-Syndrom (DGS), das velokardiofasziale (oder Sphrintzen-) Syndrom (VCFS), sowie die CHARGE Assoziation gerechnet werden. Das Wort Syndrom umschreibt eine Ansammlung von Krankheitszeichen, Fehlbildungen oder Anomalien, die bei einem Krankheitsbild immer gemeinsam auftreten. Es wird bei verschiedenen Erkrankungen als Sammelbegriff für einen bestimmten Symptomkomplex verwendet. Die hier genannten Syndrome werden alle durch einen kleinen Defekt, einer sogenannten Mikrodeletion des Chromosoms 22 in der Region q11verursacht. Dieser Chromosomendefekt führt zu einer komplexen frühen embryonalen Entwicklungsstörung, die sehr variabel ist.

Da  die betroffenen Kinder hierdurch eine Vielzahl von Problemen haben können, ist eine Betreuung durch Ärzte aus mehreren Fachbereichen von Beginn an wünschenswert und erforderlich. In der Regel stehen zunächst kardiale Probleme und die Störung des Calciumhaushaltes im Vordergrund der medizinischen Behandlung. Da aber auch das Abwehrsystem mehr oder weniger stark beeinträchtigt sein kann, sollte auch früh eine richtungweisende immunologische Diagnostik durchgeführt werden, um bei vorliegender Abwehrschwäche entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen zu können.

In dieser Broschüre möchten wir einen Einblick vermitteln, wie sich das 22q11 Deletions-Syndrom auf das Abwehrsystem auswirken kann und welche Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Das menschliche Immunsystem setzt sich aus verschiedenen Organen und Blutzellen zusammen. Die Hauptaufgabe des Immunsystems ist die Abwehr von Infektionserregern, ohne dabei dem eigenen Körper Schaden zuzufügen. Noch bevor das Abwehrsystem in Aktion tritt, ist die erste natürliche Barriere für Infektionserreger z.B. die Haut, Tränenflüssigkeit, die Flimmerhärchen der Atemwege, der Schleim oder die Magensäure. Wenn diese Barrieren überwunden werden, wird das Immunsystem aktiviert. Die Immunabwehr wird zum größten Teil von bestimmten Blutzellen, den weißen Blutkörperchen (Leukozyten) getragen. Diese werden unterteilt in Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten.

Man unterscheidet zwei Arme des Immunsystems. Über die unspezifische angeborene Immunabwehr kann der Organismus rasch auf eingedrungene Erreger reagieren, indem diese durch Granulozyten, Makrophagen und dendritische Zellen phagozytiert („aufgefressen“) werden. Diese Antwort erfolgt schnell, ist aber nur mäßig effektiv.

Viel effektiver ist die spezifische Abwehr, die sich wiederum in eine humorale (in „Körperflüssigkeit“ vorliegende) und eine zelluläre (von Blutzellen getragene) Abwehr einteilen lässt. Zu den Blutzellen der spezifischen Abwehr gehören B- und T-Lymphozyten, die an ihrer Oberfläche hochspezialisierte „Fühlarme“ (Rezeptoren) tragen, die in der Lage sind, Erreger zu binden. Eine wichtige Eigenschaft dieser Zellen ist ihr „Gedächtnis“, d.h. die Fähigkeit einer stärkeren Reaktion beim zweiten Kontakt mit Erregerbestandteilen. Dies macht man sich bei jeder Impfung zunutze.

Die T-Lymphozyten werden je nach ihrer Funktion unterschieden in T-Helferzellen, und T-Killerzellen. Sie sind v.a. für die Kontrolle von Virusinfektionen verantwortlich, „helfen“ aber auch vielen anderen Zellen des Immunsystems bei deren Aufgaben, so dass sie die Schlüsselzellen des Immunsystems sind.

Die B-Zellen sind in der Lage, nach Kontakt mit einem Erreger speziell gegen diesen Erreger gerichtete Antikörper (Immunglobuline) zu bilden. Die Immunglobuline (Ig) können anhand ihrer Eigenschaften in verschiedene Klassen (IgG, IgM, IgD, IgA, IgE) und Subklassen eingeteilt werden. Antikörper sind fähig, Erreger zu binden und diese dadurch unschädlich zu machen.

Die wichtigsten Organe, die am Immunsystem beteiligt sind, sind die Mandeln (Tonsillen), die Lymphknoten, das lymphatische Gewebe in Darm und Lunge, die Milz, das Knochenmark und der Thymus. Im Knochenmark werden die Blutzellen gebildet, in Milz und Thymus erreichen sie ihre volle Reife und in den anderen Lymphorganen sind die optimalen Strukturen vorhanden, die für ihr Zusammenspiel im Rahmen einer Infektantwort notwendig sind. Das führt zum Beispiel zum Anschwellen von Lymphknoten im Rahmen von Infekten.

Der Thymus liegt mit seinen beiden ovalen Lappen hinter dem Brustbein, oberhalb des Herzbeutels. Im Säuglings- und Kindesalter ist er voll entwickelt, bildet sich dann aber mit dem Einsetzen der Pubertät langsam zurück. Das Thymusgewebe selbst hat keine unmittelbare Abwehrfunktion sondern ist notwendig für die Reifung von Lymphozyten. Sie werden als T-Lymphozyten bezeichnet, da sie im Thymus für ihre späteren Aufgaben geprägt werden.

T- Zellen werden im Knochenmark als unreife Vorläuferzelle gebildet und wandern dann in den Thymus, um dort für ihre spätere Funktion „geschult“ zu werden. Einerseits vermehren sie sich im Thymus andererseits „lernen“ sie, zwischen körpereigenen Bestandteilen (Antigenen) und Fremdantigenen (Erregern) zu unterscheiden. Erst wenn die T-Lymphozyten die „Thymusschule“ durchlaufen haben, sind sie in der Lage, Ihre spezifischen Aufgaben im Immunsystem zu übernehmen. Bei vollständigem Fehlen jeglichen Thymusgewebes können keine T-Zellen gebildet werden und es folgt eine schwere Infektanfälligkeit.

Das 22q11 Deletions-Syndrom führt zu einer gestörten Entwicklung der dritten und vierten Kiemenbogentasche in der Embryonalzeit, d.h. es kommt bereits in den ersten Monaten der Schwangerschaft zu einer Anlage- oder Entwicklungsstörung der Organe, die später aus diesen Strukturen hervorgehen.

Hiervon ist unter anderem der Thymus betroffen. Das Ausmaß der Störung der Thymusentwicklung ist von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. In Abhängigkeit von dem Ausmaß dieser Störung kann man verschiedene Formen des DiGeorge-Syndroms unterscheiden. Ein Großteil der Patienten mit 22q11 Deletion hat eine weitgehend normale Thymusanlage mit einer ausreichenden Funktion des Immunsystems. Bei dem sogenannten partiellen DiGeorge-Syndrom (<10 % der Patienten) ist der Thymus angelegt aber nicht vollständig entwickelt (hypoplastisch). Von einem kompletten DiGeorge-Syndrom spricht man bei fehlender Anlage des Thymus, der Thymusaplasie (<1% der Patienten). Ein fehlender Thymus auf dem Röntgenbild oder auch bei einer Herzoperation ist aber nicht unbedingt mit einer Thymusaplasie gleichzusetzen. Oft gibt es auch in diesen Fällen noch versprengtes Rest-Thymusgewebe, was noch eine hinreichende T-Zell Reifung erlaubt.

Eine Thymushypoplasie führt zu einer verminderten Anzahl von T-Zellen im Blut. Diese kann sehr variabel sein und zu einer mehr oder weniger erhöhten Infektanfälligkeit führen. Es ist daher wichtig, bei allen Kindern mit DiGeorge-Syndrom direkt nach Diagnosestellung die T-Zellzahlen zu bestimmen. Hierbei sind altersentsprechende Normwerte zu berücksichtigen.

Wird eine Erniedrigung festgestellt, können Schutzmaßnahmen wie spezielle Hygienemaßnahmen, eine Abweichung vom üblichen Impfprogramm und auch eine vorzubeugende Antibiotikagabe nötig sein. Dies muss im Einzelfall mit einem Spezialisten besprochen werden und hängt neben der Thymushypoplasie auch von anderen Faktoren ab, die eine zusätzliche  Infektanfälligkeit  verursachen können, wie z.B. Herzfehler oder eine Refluxkrankheit. Bei Thymushypoplasie steigen in den meisten Fällen die T-Zellzahlen dann innerhalb des ersten Lebensjahres spontan auf Werte an, die keine Infektanfälligkeit mehr nach sich ziehen.

Die gestörte Reifung von T-Zellen bei Thymushypoplasie führt nicht nur dazu, dass zu wenig T-Zellen gebildet werden, sondern auch die „Erziehung“ dieser Zellen verläuft nicht optimal. Die Unterscheidung zwischen „Selbst“ und „Fremd“ ist gestört, es lässt sich eine erhöhte Neigung zu Autoimmunerkrankungen beobachten. Hierbei richtet sich das Abwehrsystem gegen körpereigene Strukturen, insbesondere gegen die eigenen Blutzellen oder die Gelenke.

Das komplette DiGeorge-Syndrom ist durch das vollständige Fehlen des Thymus charakterisiert. Die Häufigkeit dieser Form liegt unter 1% aller Kinder mit 22q11 Deletions-Syndrom.

Da aufgrund der fehlenden Anlage des Thymus keine Immunität aufgebaut werden kann und durch die fehlenden T-Zellen auch die Funktion der B-Zellen (Antikörperproduktion) beeinträchtigt ist, kommt es zu einer schweren kombinierten Störung im Abwehrsystem. Zu den frühen Krankheitszeichen gehören bei dieser seltenen Form schwere Infektionen des Magen-Darm-Traktes mit Durchfällen bis hin zur Gedeih- und Entwicklungsstörung. Daneben kommt es zu wiederkehrenden Atemwegsinfektionen, häufig mit Erregern, die für den gesunden Organismus ohne Bedeutung sind. Nicht selten ist ein hartnäckiger Soorbefall (meist im Mund beginnende, sich über den Magen-Darm-Trakt in den Windelbereich ausbreitende Pilzinfektion). Ansonsten eher harmlose Infektionen mit Viren, wie z.B. den Varizellen (Windpockenerreger), können zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen führen.

Das klinische Bild ist vergleichbar mit einem schweren kombinierten Immundefekt (SCID) und stellt einen immunologischen Notfall dar.

Sobald die Diagnose eines 22q11 Deletions-Syndroms gestellt worden ist, sollte eine immunologische Laboruntersuchung erfolgen, um entsprechende Maßnahmen ergreifen und Komplikationen vermeiden zu können.

Hierzu sind mehrere Basisuntersuchungen im Blut erforderlich. Zur Diagnostik gehören orientierende Untersuchungen, wie die Bestimmung der Leukozyten durch das Erstellen eines Blutbildes (auf Lymphozytenzahlen achten), die Bestimmung der Immunglobuline (beim Neugeborenen aufgrund des Übertritts mütterlicher Antikörper auf das Kind zunächst nur begrenzt aussagefähig) und einer Durchflusszytometrie. Diese „automatisierte“ Untersuchungsmethode des Blutes ermöglicht es, durch spezielle Markierung bestimmter Merkmale der Blutzellen, die T-Zellen zu identifizieren und zu zählen. Sind zu wenig T-Zellen vorhanden, sollte in weiterführenden Bluttests die Funktonalität und das Repertoire (die Vielfalt) der verbleibenden T-Zellen überprüft werden.

Zudem sollte bei jedem Säugling mit 22q11 Deletions-Syndrom eine Ultraschalluntersuchung mit einer Bestimmung des Thymusvolumens durchgeführt werden.

Die Notwendigkeit prophylaktischer Maßnahmen hängt vom Ausmaß des T-Zell Mangels ab. Bei 90% der Kinder mit 22q11 Deletions-Syndrom sind keine besonderen Maßnahmen erforderlich. Bei T-Zell Mangel sollten die Maßnahmen mit einem immunologischen Experten individuell abgesprochen werden. Einen Anhalt (aber kein „Rezept“) gibt Tabelle 1.

Partielles DiGeorge-Syndrom (CD4+-T-Zellzahlen < 400/μl im ersten Lebensjahr)

Expositionsprophylaxe Händedesinfektion
Eingeschränkter Kontakt zu infizierten Personen
Infektionsprophylaxe Cotrim 5 mg/kg in 1 ED, 3 ×/Woche
VZV-IgG bei Varizellenexposition
RSV-Prophylaxe durch Palivizumab in den Wintermonaten
Impfplant Normaler Impfplan bezüglich Totimpfstoffen
Impfungen gegen Pneumokokken, Meningokokken und Influenza (+Familie!)
Kontrolle der Impferfolge gegen Tetanus und Pneumokokken
Immunologische Basisuntersuchung vor Lebendimpfstoffen

Komplettes DiGeorge-Syndrom (naive CD4+-T-Zellzahlen < 50/μl)

Alle Kinder Alle Maßnahmen wie oben
Isolation
Nur bestrahlte und CMV-negative Blutprodukte
Ggf. Immunglobulinersatztherapie
Bei HLA-id. Geschwistern Adoptiver Transfer von reifen T-Zellen
Bei fehlendem Spender Transplantation von Thymusgewebe

Tabelle 1 - Immunologische Prophylaxe und Therapie bei DiGeorge-Syndrom (Empfehlungen des Autors, es gibt bisher keine evidenzbasierten Leitlinien.)

Maßnahmen beim partiellen DiGeorge-Syndrom

Expositionsprophylaxe

  • Der Kontakt zu erkrankten Personen im engeren Umfeld sollten vermieden werden.
  • Einhaltung  von  Hygienemaßnahmen wie das Händewaschen und Desinfizieren, sowie das Tragen eines Mundschutzes bei Infekten der betreuenden Person.

Infektionsprophylaxe

  • In den Wintermonaten ist eine Behandlung mit Synagis zu erwägen, um schweren Atemwegserkrankung, durch das RS-Virus zu verhindern.
  • Nach Kontakt mit Varizellen (Windpockenerreger) sollten die Kinder intravenös, d.h. über eine Infusion mit speziellen Windpocken- Antikörper behandelt werden um mögliche Komplikationen durch die Infektion zu vermeiden.
  • Um das Risiko einer Lungenentzündung mit dem Pneumozystis-Erreger zu verringern und auch die Anzahl sonstiger bakterieller Infektionen möglichst gering zu halten kann eine dauerhafte Gabe von Antibiotika notwendig sein.

Impfungen

  • Totimpfstoffe können nach Impfempfehlung ohne Risiko verabreicht werden. Bei fehlenden T-Zellen sind diese Impfungen allerdings wirkungslos.
  • Über den Standardimpfplan hinaus sollte gegen Pneumokokken, Meningokokken und Grippe geimpft werden. Auch alle engen Kontaktpersonen sollten eine jährliche Grippeimpfung erhalten.
  • Kontrolle des Impferfolges durch Bestimmung der Impfantikörper.
  • Vor Impfungen mit Lebendimpfstoffen (Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, BCG) müssen immunologische Basisuntersuchungen durchgeführt werden. Diese Impfungen setzen eine Mindestanzahl von T-Zellen voraus.

Allgemein gilt

  • Für Kinder mit einer Abwehrschwäche können Krankheitserreger, die für eine Person mit einem gesunden Immunsystem ohne Bedeutung sind, krankheitserregend sein und somit eine Gefahr bedeuten.
  • Die prophylaktischen Maßnahmen werden in Abhängigkeit von dem Ausmaß der Störung und den klinischen Befunden durchgeführt. Kinder die keinerlei Beeinträchtigung ihres Immunsystems aufweisen bedürfen keiner weiteren Behandlung durch einen Immunologen.
  • Bei spontaner Erholung der T-Zell-Zahlen können die prophylaktischen Maßnahmen beendet werden.

Maßnahmen beim kompletten DiGeorge-Syndrom

Beim kompletten DiGeorge-Syndrom sind alle Maßnahmen wie beim partiellen DiGeorge-Syndrom durchzuführen.

Zusätzlich

  • Strenge Isolation als Schutz vor Infektionen
  • Strikte Einhaltung der Hygienerichtlinien
  • Antimykotische Prophylaxe, (vorbeugende Gabe von Medikamenten gegen Pilzinfektionen)
  • Gegebenenfalls Verabreichung von Immunglobulinen (Antiköperersatztherapie übe eine Infusion)
  • Rasche und konsequente Diagnostik und Therapie bei Infektionen

Diese vorbeugenden Maßnahmen sind bei dem kompletten DiGeorge-Syndrom jedoch nur eine vorübergehende Therapieansatz, um die Zahl von Infektionen möglichst gering zu halten. Der einzige langfristig erfolgreiche Therapie ist die Transplantation von Thymusgewebe, die bislang lediglich in den USA und seit kurzem auch in England durchgeführt wird. Eine weitere Therapiemöglichkeit, die allerdings ein „immunologisch passendes“ Geschwisterkind voraussetzt, ist die regelmäßige Transfusion von reifen T-Zellen.

 

Nur ca. 10% der Patienten mit Mikrodeletions-Syndrom 22q11 haben bedingt durch die gestörte Thymusentwicklung eine echte Abwehrschwäche im Sinne eines angeborenen Immundefekts, der je nach Schwere der Thymushypoplasie unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Diese Kinder leiden durch die Störung des Immunsystems an gehäuften Infekten. Diese, durch einen Immundefekt verursachte Abwehrschwäche, muss von der natürlichen Infektanfälligkeit, der besonders im Kleinkindalter auftretenden vermehrten Häufung von Infektionen, unterschieden werden.

Das gesunde Neugeborene kommt mit einem „unreifen“ und noch nicht geschulten Immunsystem zur Welt und ist zunächst nur durch zuerst über die Plazenta, dann über die Muttermilch übertragenen mütterlichen Antikörper vor Infektionen geschützt. Dieser „Nestschutz“ verleiht dem Neugeborenen in den ersten Lebensmonaten einen Schutz vor Infektionen. Nach der Geburt fängt das Neugeborene an, eigene und zunächst noch „unerfahrene“ Antikörper zu bilden. Mit zunehmenden Lebensalter und dem Abbau der mütterlichen Antikörper (bis etwa zum sechsten Lebensmonat), muss sich das Kind aktiv mit verschiedenen Infektionserregern auseinanderzusetzen und beginnt seine eigene Immunität aufzubauen. Mit jeder Infektion lernt das Immunsystem einen neuen „Auslöser“ kennen und kann speziell gegen diese Antikörper bilden. Dies ermöglicht es, bei wiederholtem Kontakt schneller zu reagieren, so dass es gar nicht erst zu einer Infektionskrankheit kommt.

Bis das Immunsystem Erfahrung mit den verschiedenen Krankheitsauslösern gesammelt hat erkrankt dass Kind sehr oft.

Normale Infektanfälligkeit

Alter (Jahre) Atemwegsinfekte pro Jahr Maximum
< 1 6,0 11,3
1 - 2 5,0 11,7
3 - 4 4,0 10,5
5 - 9 5,0 8,7
10 - 14 2,7 7,2

Tabelle 2 -  Normal Infektanfällikeit, Häufigkeit von Infekten pro Jahr bei Kindern und Jugendlichen (Quelle: Am. J. Epidemiol. 94:269 Pediatrics 79:55)

Zu dieser natürlichen, „physiologischen“ Infektanfälligkeit, kann es bei Kindern mit einer Grunderkrankung wie z.B. einen Herzfehler oder einer chronischen Lungenerkrankung zu einer vermehrten Infektanfälligkeit kommen, die aber nicht durch eine von dem Immunsystem bedingte Abwehrschwäche verursacht wird. So haben auch Kinder mit dem Mikrodeletions-Syndrom 22q11 verschiedener Faktoren, die zu gehäuft auftretenden Infektionen führen können.

Wiederkehrende Infekte der Atemwege können durch einen Herzfehler begünstigt werden oder auch durch wiederholte kleine Aspirationen, verursacht durch die Probleme bei der Nahrungsaufnahme (Gaumenspalte, Schluckstörung und Reflux). Zudem kann die durch die Fehlbildung hervorgerufene schlechte Belüftung des Mittelohres zu gehäuften Entzündungen des Mittelohres beitragen.

Diese gehäuften Infektionen können ebenso wie ein echter Immundefekt, immer wieder eine Vorstellung bei dem behandelnden Arzt erforderlich werden lassen und müssen ursächlich behandelt werden. Vorbeugende Maßnahmen zur Stärkung des Immunsystems umfassen Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten (danach enthält die Muttermilch praktisch keine Antikörper mehr), Vermeidung von Rauchexposition, ausreichende körperliche Aktivität und Frischluft, eine ausgewogene Ernährung und eine normale Trinkmenge, ausreichend Schlaf und Vermeidung von Stresssituationen und Reizüberflutung.

Wesentlich ist vor allem die Durchführung der Schutzimpfungen, die bei Vorliegen eines echten Immundefekts individuell angepasst werden sollten. Immunstimulierende Substanzen zeigen in großen Studien nur einen geringen Effekt, am ehesten können Bakterienextrakte die Infektrate etwas senken.

Das Immunsystem sollte bei Kindern mit 22q11 Deletions-Syndrom frühzeitig abgeklärt werden, steht aber nur in wenigen Fällen im Vordergrund der Behandlung. Die Prognose ist in den allermeisten Fällen gut, in der Regel kommt es zu einer spontanen Erholung des Abwehrsystems im Verlauf des ersten Lebensjahres.

Beim partiellem DiGeorge-Syndrom ist die Einhaltung der notwendigen Maßnahmen, die der Vorbeugung einer Infektion dienen, für den positiven Behandlungsverlauf unbedingt erforderlich. Bei einem Großteil der Patienten ist nach Erholung der T-Zellen keine weitere, regelmäßige Betreuung durch einen Immunologen erforderlich. Es bleibt allerdings ein erhöhtes Risiko einer späteren Autoimmunerkrankung.

Das komplette DiGeorg-Syndrom ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, bei der die Prognose wesentlich durch die Abwehrschwäche bestimmt wird. Die Schwierigkeiten frühzeitig einen geeigneten Spender von T-Zellen oder Thymusgewebe zu finden, überschatten häufig die Aussicht auf eine erfolgreiche Therapie.

Stand
2010

Hinweis
Wir möchten mit unseren Patientenbroschüren gerne dazu beitragen, dass betroffene Patienten, Eltern und ihr Umfeld die Erkrankung und ihre Behandlung besser verstehen. Die Broschüren sind sorgfältig erstellt und beschreiben die Erkrankung und deren Behandlung. Auch wenn Sie viele Informationen in den Broschüren finden, können diese vorliegenden Informationen keinen Arztbesuch ersetzen.

Autor
Henrike Ritterbusch

+49 (0)761 270-45240

henrike.ritterbusch@uniklinik-freiburg.de


Wissenschaftliche Begleitung
Prof. Dr. Stephan Ehl

+49 (0)761 270-77300

stephan.ehl@uniklinik-freiburg.de


UNIVERSITÄTSKLINIKUM FREIBURG
Centrum für Chronische Immundefizienz
Mathildenstraße 1
79106 Freiburg
www.uniklinik-freiburg.de/cci