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Vom Ansatz bis in die Spitzen

Rechtsmedizin

(02.01.2017) Was nach einem Werbeversprechen für Shampoos klingt, ist in der Forensischen Toxikologie Alltag: Bei einer Haaranalyse wird eine möglichst lange, bleistiftdicke Menge Haare in Segmente geteilt und auf verschiedene Substanzen untersucht. Die Segmente sind dabei wie Perioden auf einem Zeitstrahl zu betrachten – so können faszinierende Dinge festgestellt werden

Als Mia* morgens zu ihrer Tagesmutter ging, war sie fröhlich und lebhaft. Nachmittags wirkte sie ruhig, fast apathisch. Mias Mutter kam das komisch vor, denn sie stellte nicht zum ersten Mal diese Wesensveränderung an ihrer Tochter fest. Sie ging schließlich mit Mia zum Arzt. Im Blut des Mädchens wurden Reste von Beruhigungsmitteln gefunden. Eine anschließende Haaranalyse bestätigte den Befund, mehr sogar: Unterteilt in Segmente ließen sich im Haar genau die Zeitabschnitte ausmachen, in denen Mia in den Ferien war und in denen sie von der Tagesmutter betreut wurde – nur in diesen Haarsegmenten wurde der Wirkstoff nachgewiesen. Die Tagesmutter hatte Mia mit Medikamenten ruhig gestellt, sie wurde angezeigt.

Moderne Verfahren

„Das ist schon ein sehr ungewöhnlicher Fall, der mit Hilfe einer Haaranalyse gelöst werden konnte“, sagt Professor Dr. Volker Auwärter, Leiter des Bereichs Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Freiburg. Auwärter ist Spezialist für Haaranalysen. Die meisten Betäubungsmittel, aber auch viele andere Stoffe, können er und seine Forensiker dank moderner Verfahren im Haar nachweisen.

Die Haaranalyse ist beliebt, denn sie hat gegenüber der Urin- und Blutanalyse einen großen Vorteil: In Urin und Blut sind die meisten Substanzen nur ein paar Tage nachweisbar. Im Haar hingegen können die Substanzen oder deren Abbauprodukte über mehrere Wochen bis Monate nachgewiesen werden, auch wenn die Konzentrationen oft extrem niedrig sind und sehr aufwendige Verfahren eingesetzt werden müssen.

Haariger Coup

Dass ein Stoff gefunden wird, heißt nicht unbedingt, dass er konsumiert wurde. Erst im Oktober ist Auwärter ein haariger Coup gelungen: Mit seinem Forscherteam konnte er zeigen, dass Abbauprodukte des Cannabiswirkstoffs (THC) auch durch engen Körperkontakt über Schweiß und Talg übertragen werden können. Das bedeutet, dass ein positiver Befund im Haar den Konsum von Cannabis nicht eindeutig beweist. Bisher ging man davon aus, dass die Droge beziehungsweise ihr Abbauprodukt über den Blutkreislauf ins Haar gelangt. Doch es gibt eben auch die Möglichkeit der Übertragung durch Rauch, Schweiß und Talg.

„Nach unseren Erkenntnissen ist eine Cannabinoid-Übertragung bei engem Körperkontakt besonders wahrscheinlich und kann zu völlig falschen Rückschlüssen führen“, warnt Auwärter. Ein positives Testresultat kann nicht nur bei Abstinenzkontrollen für Fahreignungsüberprüfungen schwere Folgen haben. „Vor allem in Sorgerechtsfragen bei der Analyse von Kinderhaar könnte der Übertragungsweg relevant sein“, so Auwärter. Deshalb sei es wichtig, Testergebnisse differenziert in Bezug zur jeweiligen Substanz und im Kontext aller weiteren verfügbaren Informationen zu betrachten und zu bewerten. „Während im klinisch-diagnostischen Bereich eine Treffsicherheit von 99 Prozent schon sehr gut ist, kommt es in der Forensischen Toxikologie oft auf das eine fehlende Prozent an“, sagt Auwärter. Schließlich werden die Gutachten häufig vor Gericht verwendet.

Weitere Studien

Diese neuen Erkenntnisse könnten ebenfalls für den Haarnachweis von Stoffen wie Kokain oder Heroin von Bedeutung sein. Auwärter will in weiteren Studien untersuchen, ob auch Amphetamine, Opiate und andere Drogen beziehungsweise deren Abbauprodukte durch Körperkontakt übertragen werden können und so im Haar nachweisbar sind. Für die Studie wird er einen Förderantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) stellen.

*Name von der Redaktion geändert

 

Komplexe Haaranalyse

Eine Haaranalyse ist ein komplizierter Prozess. Damit sie möglichst genaue Ergebnisse liefert, müssen die Experten viele Faktoren bedenken. Zunächst wird ein bleistiftdickes Bündel Haare direkt an der Kopfhaut am Hinterkopf abgeschnitten, da dort das Haar besonders gleichmäßig wächst. Dann muss das individuelle Haarwachstum berechnet werden, damit das Haarsegment, in dem zeitlich die Einnahme eines Stoffes vermutet wird, ausgemacht werden kann. In diesem Segment lässt sich voraussichtlich die höchste Konzentration des Stoffes finden.

Da Haare einen Wachstumszyklus durchlaufen, zu dem vor dem Ausfallen des Haares und dem Nachwachsen eines neuen auch eine Phase gehört, in der das Haar nicht wächst, ergibt sich eine gewisse Unschärfe. Ebenso können Färben, eine Dauerwelle oder häufiges Haarewaschen das Ergebnis beeinflussen. Aber auch die natürliche Haarfarbe kann für die Interpretation der Ergebnisse eine Rolle spielen. Die einzelnen Segmente werden gereinigt und die gesuchten Substanzen mithilfe chemischer Mittel extrahiert. Es folgen die chromatographische Auftrennung des Extrakts in die Einzelbestandteile und eine massenspektrometrische Analyse. Frühestens nach ein bis zwei Tagen liegt das Ergebnis vor. In einem zugehörigen Experten-Gutachten werden die Befunde erläutert. 

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(IS)

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