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Depression im Alter erkennen

Psychiatrie und Psychotherapie

(15.07.2022) Bei Menschen im höheren Alter werden Depressionen eher übersehen als bei Jüngeren. Im Interview erklärt eine Expertin, woran das liegt und ob sich die Therapie unterscheiden sollte.

Interview mit Prof. Dr. Elisabeth Schramm, Sektionsleiterin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg.

Bei einer Depression im Alter kann Psychotherapie genauso gut wirken wie bei jüngeren Menschen. (c) Pixabay

Im Fokus: Frau Professor Schramm, warum werden Depressionen im höheren Alter eher übersehen?

Prof. Schramm: Ältere neigen dazu, sich emotionale Symptome wie Traurigkeit nicht anmerken zu lassen, während sich Verstimmungen eher über körperliche Symptome wie beispielsweise Rückenschmerzen äußern. Wenn ein älterer Mensch depressiv ist, wird das häufig einer veränderten Lebenssituation zugeschrieben. Das Umfeld hält die Traurigkeit sozusagen für eine normale Reaktion auf die Bitternisse im Alter. 

Wie kann sich eine Depression im Alter äußern?

Während bei Jüngeren zum Beispiel berufsbezogene Probleme im Vordergrund stehen, sind es bei älteren Menschen häufig gesundheitsbezogene. Sie klagen mehr über körperliche, oft chronische Symptome. Etwa über Schmerzen verschiedener Art, Verdauungsprobleme oder Schlafstörungen. Auch Ängste, zum Beispiel an Corona zu erkranken oder Zukunftsängste spielen hier eher eine Rolle – oder Klagen über Gedächtnisprobleme.

Ab wann sprechen Sie als Wissenschaftlerin und Therapeutin von einer Depression?

Depressive Episoden sind gekennzeichnet durch spezifische Symptome, die über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen jeden Tag und fast den ganzen Tag über bestehen. Zu den Kernsymptomen gehören Niedergeschlagenheit oder Gefühlsleere, Interessenverlust oder Verlust der Freude, und Antriebslosigkeit. Auch körperliche Beschwerden, zum Beispiel Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Verlangsamung oder Agitiertheit, Konzentrationsprobleme, Gedanken an den Tod.

Ab wann ist man alt genug für die Diagnose „Altersdepression“?

In der Regel ab 65 Jahren. Manche Wissenschaftler*innen definieren es aber auch schon ab 60 Jahren.

Welche Rahmenbedingungen können im Alter anfällig für eine depressive Erkrankung machen?

Es ist so, dass es im höheren Alter häufiger belastende Ereignisse wie der Verlust nahestehender Menschen oder andere Veränderungen, etwa den Auszug aus der gewohnten Umgebung, gibt. Abnehmende Mobilität und eine höhere Abhängigkeit von anderen Menschen setzt vielen Älteren emotional zu. Außerdem geht das Altern oft mit körperlichen Erkrankungen einher. All das zusammengenommen sind die Rahmenbedingungen, die ältere Menschen bei einer entsprechenden Veranlagung anfällig für eine depressive Erkrankung machen. Depression gehört neben dementiellen Erkrankungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im höheren Lebensalter. Zudem steigt das Suizidrisiko mit zunehmendem Alter an, insbesondere bei Männern. Ein wichtiger Faktor ist auch Einsamkeit. Zu diesem Thema haben wir eine Studie gemacht, die wir gerade auswerten.

Inwieweit hängen Depression und Demenz zusammen?

Die mit Depression einhergehenden Konzentrations- und Auffassungsstörungen sind nicht selten mit der Sorge verknüpft, möglicherweise an einer Alzheimer Demenz erkrankt zu sein. Wird durch die Ärzt*in nicht nach den psychischen Symptomen einer Depression, wie Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken, Schuldgefühlen etc. gefragt, kann die Depression als eigentliche zugrundeliegende Erkrankung übersehen werden. Depressive Störungen können im Alter auch durch Sprech- und Denkhemmung, durch Konzentrationsstörungen und durch Klagen über Gedächtnisstörungen einhergehen, die Ähnlichkeiten mit einer Demenz aufweisen Depressive Patient*innen sind aufgrund der Konzentrationsstörungen leicht überfordert, was sich in Aussagen wie „ich weiß nicht“ äußern kann. Dies erfordert im Alter die Abgrenzung von einer Demenz.

Wie sollten sich Angehörige oder andere Kontaktpersonen beim Verdacht auf eine Depression verhalten?

Nehmen Sie die Beschwerden der betroffenen Person ernst. Im Umgang mit altersdepressiven Patient*innen ist es besonders wichtig, dass Angehörige und andere Kontaktpersonen die Beschwerden als Erkrankung anerkennen und nicht als Jammern oder auf die Person beziehen. Ein Anhaltspunkt kann sein, dass sich der oder die Betroffene vernachlässigt, zum Beispiel nicht regelmäßig isst oder trinkt. Das geht häufig mit einer Depression einher. Die Diagnostik wird von medizinischer oder therapeutischer Seite aus vorgenommen. Erste Anlaufstelle sollte die hausärztliche Praxis sein. Auch körperliche Erkrankungen wie zum Beispiel Schilddrüsenerkrankungen oder Parkinson müssen ausgeschlossen werden.

Brauchen ältere Menschen eine spezifische Psychotherapie – und nehmen sie therapeutische Hilfe überhaupt an?

Eine Depression im Alter ist – wie bei jungen Menschen auch – mit den beiden Hauptinterventionen Medikation und Psychotherapie gut behandelbar. Die gute Nachricht ist, dass Psychotherapie bei Älteren genauso gut wirkt wie bei jüngeren Menschen. Unsere Studie hat gezeigt, dass ältere Menschen nicht unbedingt eine spezifische, aufs Alter angepasste Therapie benötigen, sondern auch von unterstützenden Gesprächen profitieren. Lange ging man davon aus, dass sie Psychotherapie eher ablehnen. Aber inzwischen wissen wir, dass viele der Patient*innen sie doch annehmen und davon profitieren.

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