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Red Flags bei Rückenschmerzen - erkennen und richtig handeln

Orthopädie und Unfallchirurgie

(22.11.2023) Interview mit dem Ärztlichen Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg und Leiter der Sektion Wirbelsäulenchirurgie Prof. Dr. Hagen Schmal

Zwei Drittel aller Menschen haben irgendwann in ihrem Leben mit derart heftigen Rückenschmerzen zu kämpfen, dass sie Hilfe aufsuchen. © Kerrick /iStock © italianestro /iStock

Professor Schmal, Probleme mit dem Rücken gelten längst als Volkskrankheit. Stimmt diese Wahrnehmung?

Ja, Rückenschmerz an sich ist inzwischen ein Allerweltsproblem. Man kann davon ausgehen, dass zwei Drittel aller Menschen irgendwann in ihrem Leben mit derart heftigen Rückenschmerzen zu kämpfen haben, dass sie Hilfe aufsuchen. Wir suchen dann nach bestimmten Red Flags, also Hinweisen darauf, ob es ein spezifischer Rückenschmerz ist.

Welche sind das?

Wenn der Betroffene zum Beispiel Fieber hat oder zusätzlich zu den Schmerzen Nervenaus- fälle, dann müssen wir genauer hinschauen. Es könnten Strukturen gestört oder entzündet sein. Fehlen solche Hinweise, handelt es sich in den allermeisten Fällen um unspezifische, also funktionelle Rückenschmerzen. Ursachen dafür können beispielsweise Fehlhaltungen oder Muskelverspannungen sein.

Wie können Sie dann helfen?

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine recht gute Leitlinie herausgegeben, die ist für uns maßgebend in Diagnostik und Therapie. Eine wichtige Empfehlung lautet, bei funktionellen Rückenschmerzen – wenn überhaupt – so kurz wie möglich zu Hause zu bleiben. Das Liegen an sich führt eher zur Symptomatik, als dass es hilft. Die WHO rät auch von übermäßiger Bildgebung ab, denn ein gewisser Verschleiß gehört einfach zum Leben dazu. Da entdecken wir gerade bei Patienten ab 40 Jahren eine Menge, das aber mit den Rückenschmerzen nichts zu tun hat. Eine große Rolle spielt bei funktionellen Rückenschmerzen die konservative Therapie, also die Behandlung mit physiotherapeutischen Maßnahmen. Wir überlegen sogar, Krankengymnast*innen direkt in der Notaufnahme einzusetzen. Dort sollen die Patient*innen dann möglichst nicht komplett liegen, sondern zum Beispiel halb sitzen. Die aktive Komponente ist bei der Behandlung oft entscheidend. Und auch wenn wir einen chirurgischen Eingriff vornehmen mussten, schauen wir, dass wir die Patient*innen so früh wie möglich wieder mobilisieren

Sie versuchen aber immer erst, Rückenbeschwerden konservativ zu behandeln?

Genau, vorausgesetzt natürlich, es ist kein Notfall mit Nervenausfällen oder Fraktur. Aber wenn wir Zeit haben, versuchen wir, die Beschwerden mit Physiotherapie wegzubekommen. Erst wenn man damit länger keinen Erfolg hat, kommt ein chirurgischer Eingriff in Frage. Ein schönes Beispiel dafür ist die Spinalkanalstenose, eine Verengung des Rückenmarkskanals. Eine Indikation für eine OP ist nur die absolute spinale Enge und immer muss man die Dynamik und den Anspruch des Patienten im Blick behalten: Will er Bergwandern gehen oder einfach nur zu Hause halbwegs mobil sein?

Welche Veränderungen wird es in Ihrem Fachbereich in naher Zukunft geben?

Sehr wichtig ist die 3-D-Bildgebung, deren Qualität immer besser wird. Damit können wir während einer Operation direkt scannen, ob die sogenannten Pedikelschrauben, die wir zur Stabilisierung der Wirbelsäule verwenden, korrekt sitzen. Das ist vor allem für Operationen in den mittleren und oberen Bereichen der Wirbelsäule sinnvoll, denn je höher man kommt, umso dünner werden die Pedikel – so nennt man den Stiel eines Wirbelbogens. Auch Fehlstellungen wie Skoliosen können problematisch sein. Hier ist also äußerste Präzision gefragt, um nichts zu verletzen. Genau das bietet der intraoperative 3-D-Scan, auch wenn er zeitaufwändiger ist. Momentan wird außerdem viel an der Bandscheibe geforscht – wie sie sich regeneriert, wenn sie mal beschädigt ist, oder ob man mit Medikamenten den Verschleiß lindern kann. Auch haben wir vor zwei Jahren die endoskopische Versorgung für ausgewählte Fälle in unser Portfolio aufgenommen.

Prof. Hagen Schmal: Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg und Leiter der Sektion Wirbelsäulenchirurgie. ©Universitätsklinikum Freiburg

Gibt es Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

 

Die Navigation an der Wirbelsäule und auch die 3-D-Bildgebung sind wichtige Entwicklungen, mit denen wir Schritt halten sollten, da passiert gerade viel. Spannend finde ich zudem die Robotik. Man kann am Bildschirm planen und die Führungshülsen richten sich automatisch aus, was die Sicherheit für die Patient*innen noch einmal erhöht. So etwas gibt es schon, hoffentlich bald auch bei uns. Außerdem gibt es zahlreiche kleinere technische Entwicklungen bei den Implantaten, die wir aufmerksam verfolgen.

Zum Beispiel?

Wenn ein Wirbelkörper zerstört worden ist, zum Beispiel von einem Tumor zerfressen, dann kann man an dieser Stelle einen Titankorb einbringen, der die Bandscheiben und den Wirbelkörper ersetzt. Das gilt auch für einzelne Bandscheiben, und alles kommt der natürlichen Form immer näher.

Was kann man tun, damit die eigene Wirbelsäule möglichst lange gesund bleibt?

Ein aktiver Lebensstil verhindert ganz gut Beschwerden an der Wirbelsäule. Wenn jemand gerne schwimmt, super, das tut dem Rücken sehr gut. Fahrrad fahren hingegen verkürzt die Hüftbeuger und fördert so das Hohlkreuz. Hier ist eine funktionelle Ausgleichsgymnastik wichtig.

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