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Kunst & Kultur

Künstlerinnen und Künstler

Verleihung des Kulturpreises
der Stadt Tuttlingen an Roland Martin

Laudatio von OB Michael Beck - 4. Juli 2007

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
lieber Roland Martin,

erst vor ein paar Tagen machte sie Schlagzeilen: Eine Mammut-Skulptur, gerade mal vier Zentimeter lang und 7,5 Gramm schwer, gefunden ganz in der Nähe von uns, auf der Schwäbischen Alb. 35.000 Jahre ist das Fundstück alt - und somit nach Einschätzung der Tübinger Archäologen das älteste Kunstwerk der Menschheit.

Für mich wird dadurch eines deutlich: Kultur ist ein menschliches Grundbedürfnis. Auch in Zeiten, die noch meilenweit von dem entfernt waren, was wir heute als Zivilisation bezeichnen, waren Menschen kulturell tätig:

Sie schufen Kunstwerke.

Sie machten Musik.

Sie erzählten sich Geschichten oder stellten diese szenisch dar.

Und sie trennten sicher noch nicht zwischen Hochkultur und Alltagskultur. Denn jede neue Kenntnis, jede Errungenschaft, jede neue Äußerungsform und neue Technik wurde bis weit in die Neuzeit als Teil der Kultur wahrgenommen - was sich sprachlich bis heute niederschlägt, wenn wir von Kulturtechniken sprechen oder auch von Kulturkreisen.

Als der Gemeinderat 2005 beschloss, künftig einen Kulturpreis zu vergeben, hatte er so einen weit gefassten Kulturbegriff vor Augen. Unser Preis soll kein klassischer Kunstpreis oder Literaturpreis sein, der die ausschließliche künstlerische Leistung in den Mittelpunkt stellt. Vielmehr ist er ein Preis, der eine ganzheitliche kulturelle Leistung würdigt. Eine Leistung, die sich auch im Gesellschaftlichen niederschlägt. Wir wollen Persönlichkeiten ehren, die sowohl durch ihr Werk als auch durch ihr Wirken zur Kultur unserer Stadt beitragen. Zur Lebenskultur, zur Diskussionskultur - wenn es sein muss auch zur Streitkultur.

Künftige Träger dieses Preises müssen also nicht unbedingt Vertreter der Disziplinen sein, die wir seit der Aufklärung als "schöne Künste" bezeichnen, also der Bildenden Kunst, der Darstellenden Kunst, der Musik und der Literatur. Lassen Sie sich überraschen.

Der Mann, den wir heute ehren, sagte einmal über sein Werk:

"Ich versuche der Wirklichkeit eine ästhetische Form zu geben. Die Interpretation des Menschen und seiner Umwelt ist mein Anliegen."

Den Anspruch, den Roland Martin selbst an sein Werk stellt, entspricht also dem, was uns für den Kulturpreis vorschwebte: Gesellschaftliche Relevanz, Bezug zum Leben, eine enge Verbindung zu unserer Stadt.

Und wenn wir heute Roland Martin ehren, dann spielt all dies eine Rolle:

- Roland Martin ist Ur-Tuttlinger, seine Familiengeschichte ließe sich sicher bis ins Mittelalter verfolgen, wenn der Stadtbrand nicht die Archive vernichtet hätte. Und bis heute verkörpert er wie kaum ein anderer eine tiefe Identifikation mit unserer Stadt.

- Er hat sich als Kulturschaffender einen Ruf geschaffen, der weit über Tuttlingen hinausstrahlt, der erheblich dazu beigetragen hat, dass der Name Tuttlingens einen guten Klang hat.

Dabei war die Laufbahn als Künstler bei ihm nicht vorgezeichnet. Und wenn man einen Blick in die Biographie wirft, eröffnet sich einem das Bild eines Lebens das von Ehrgeiz, Mut, Tatkraft und Geradlinigkeit gekennzeichnet ist.

Roland Martin kam am 29. Juli 1927 in Tuttlingen zur Welt. Seine Eltern waren bodenständige Tuttlinger und Inhaber eines Milchgeschäfts in der Bergstraße. Und wie bei vielen Menschen seiner Generation prägte der Zweite Weltkrieg die späte Jugend: Mit 17 Jahren musste er in den Krieg, wurde Luftwaffenhelfer, musste Arbeitsdienst ableisten und geriet in Gefangenschaft.

Nach dem Krieg machte er 1946 das Abitur. Und von da an führte sein weiterer Weg zielstrebig zur Kunst.

- Von 1946 bis 1951 studierte er bei Hans Ludwig Pfeifer an der Bernsteinschule - jener Keimzelle der Nachkriegsmoderne im Südwesten, an der auch Lehrer wie HAP Grieshaber unterrichteten und die neben Roland Martin auch Persönlichkeiten wie Franz Bucher und Emil Kiess hervorbrachte.

- 1948 schob er ein Semester an der Kunstakademie Freiburg bei Professor Wilhelm Gerstel ein

- Und von 1951 bis 1952 war er Schüler von Professor Fritz Nuss.

1952 kehrten er dann nach Tuttlingen zurück - und startete eine Karriere, die bis heute andauert. Eine Karriere als freischaffender Künstler.

Denn während seiner ganzen Laufbahn arbeitete er immer komplett auf eigene Verantwortung. Nie nahm er eine öffentliche Beschäftigung an. Nie war er Kunsterzieher, Kulturreferent oder Dozent. Immer war er auf sich alleine gestellt.

Und vor allem die Anfangsjahre waren nicht leicht. Denn in den Jahren nach dem Krieg war die Zahl der potenziellen Kunstkäufer eher gering. Roland Martin wagte es trotzdem. Er bezog eine Wohnung in der Königstraße und richtete in Tuttlingen sein erstes Atelier ein - im ehemaligen Leichenhaus des Krankenhauses.

Dass ein junger Mensch an einem Ort des Todes arbeitet, hatte pragmatische Gründe - der Raum war billig. Aber einen Todesbezug hatten auch die ersten Arbeiten, die Roland Martin im Auftrag von Städten und Gemeinden anfertigte. Denn wenn man in diesen Jahren aus öffentlichen Geldern Kunst finanzierte, dann waren es meist Gedenkstätten:

Denkmäler für die Toten, Verwundeten, Vermissten und Verschleppten des Krieges.

Den Wünschen der Auftraggeber entsprechend waren diese Arbeiten noch sehr naturalistisch. Doch in den folgenden Jahren wurden seine Arbeiten abstrakter. Ein prägte einen eigenen Stil, der weit über Tuttlingen hinaus Aufmerksamkeit erregte. Große Aufträge folgten - zum Beispiel eine bewegte Stele für das olympische Dorf in München.

Doch schon wenige Jahre später setzte er zu einer radikalen Kehrtwende an. Er machte wieder einmal deutlich, dass er einen eigenen Kopf besitzt. Und dass er diesen auch durchsetzt:

Mitte der 70er Jahre, als jede Form von Gegenständlichkeit absolut verpönt war, begann Roland Martin plötzlich mit Figurationen. Er schuf die ersten jener Figuren und vor allem Figurengruppen, mit denen er heute identifiziert wird. Er stellte wieder das Abbild des Menschen in den Mittelpunkt - Jahre vor dem neuen Realismus, der heute wieder die Kunstszene prägt.

Heute sind Roland Martins Arbeiten aus dem öffentlichen Raum nicht wegzudenken. Auch in Tuttlingen. Sei es der Medizintechniker auf dem Marktplatz, sei es der "Kannitverstan", den wir in verkleinerter Form als Ehrengeschenk überreichen. Seien es die zahlreichen Arbeiten in Firmen oder Behörden - ob bei Aesculap, Paul Leibinger oder natürlich bei uns im Rathaus.

Seine Arbeiten gehören zu uns. Sie gehören zu Tuttlingen. Sie gehören zu unserem Leben.

Und genau das gleiche gilt auch für den Menschen Roland Martin.

Langjährige Freunde und Weggefährte bezeichnen ihn als "den Tuttlinger an sich". Er sei wie diese Stadt:
- Mit Ecken und Kanten
- direkt und unverblümt
- schaffig, auch noch im hohen Alter
- und gleichzeitig geradlinig und absolut verlässlich.

Anders gesagt: Wenn man für "den Tuttlinger" einen Prototyp schaffen wolle, käme vermutlich ein Mensch heraus, der auffallende Ähnlichkeiten mit Roland Martin trägt.

- Er ist ein Mensch, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält. Der sich auch in öffentlichen Diskussion immer wieder einmischt und dabei niemanden schont. Das macht es nicht immer einfach. Aber wer mit Roland Martin zu tun hat, der weiß auch, wo er dran ist. Denn er ist kein Mensch, der aus Gründen der Diplomatie Dinge glatt bügelt, wo es nichts glatt zu bügeln gibt.

- Er ist ein geselliger Mensch, der Freundschaften pflegt - und das über Jahrzehnte. Mit Hermann Binder, Siegfried Gagstatter und Helmut Hauser ist er zum Beispiel seit der Schulzeit verbunden - und das ist ja nun auch schon über 70 Jahre her.

- Und er bringt sich ein, ist hilfsbereit, auf ihn ist Verlass. Denn für Roland Martin ist Tuttlingen nicht nur Geburts-, Wohn- und Arbeitsort. Für ihn ist Tuttlingen auch eine ständige Aufgabe.

Das war schon in den 50er Jahren so. Roland Martin gehörte zu den Leuten, die den Jazz nach Tuttlingen holten, den "Schützenkeller" zum "Club d'or" machten und Legenden wie Dizzy Gillespie oder Joachim-Ernst Berendt in die Stadt holten. Und die Liebe zum Jazz und zur Musik und Kunst gab er ja auch an seine Kinder weiter.

Am nachhaltigsten für Tuttlingen wirkt sich allerdings sein Engagement im Kunstring aus, aus dem später der Kunstkreis Tuttlingen hervorging. Zusammen mit Künstlern wie Manfred Wahrmuth, Udo Braitsch und Gerhard Opitz, dem Buchhändler Willi Kuder, dem Kunsterzieher Wurzberger und Pfarrer Helmut Ensslin baute er den Verein mit auf, der bis heute mit vier Ausstellungen pro Jahr das Programm in diesen Räumen hier mit prägt.

Und nicht nur das: Durch sein Engagement hat sich die Rolle der Kunst und der Kultur überhaupt geändert.

Er lehrt die Menschen sehen.

Er eröffnet neue Blickwinkel auf scheinbar Bekanntes.

Er kann Menschen begeistern und für neue Ideen und Projekte gewinnen.

Früher hat man in Tuttlingen g'schafft, für Kultur hatte man weder Zeit noch Geld. Oder glaubte es zumindest.

Dass man heute in Tuttlingen schafft und gleichzeitig einen ausgeprägten Sinn für Kultur hat - das ist auch Roland Martins Verdienst.

Er hat die Kultur dieser Stadt mitgeprägt.

Er hat unser Leben bereichert.

Mit dem heutigen Preis möchten wir ihm etwas davon zurückgeben. Und was liegt näher, als einen Kulturpreis von einem Künstler gestalten zu lassen. Die Grafik, die unseren Kulturpreis darstellt, ist Teil einer Serie. Die beiden anderen Teil werden wir im Laufe des Jahres als Sozial- und als Sportpreis vergeben.

Alle drei Preise werden künftig von verschiedenen Künstlern gestaltet. Den Auftakt macht in diesem Jahr Hans-Uwe Hähn, der Leiter unserer Jugendkunstschule.

Meine Damen und Herren, wie ich bereits vorhin erwähnte, halten Freundschaften mit Roland Martin lange. Ein weiterer seiner Weggefährten ist der Komponist und Musikpädagoge Siegfried Burger, von dem wir vorhin bereits ein Stück hören durften.

Exklusiv für Roland Martin wird das Baynov-Ensemble nun ein weiteres Werk für Klavier vortragen, bevor ich Sie dann einlade, am Buffet auf eine kulinarische Weltreise zu gehen.

 

aus: www.tuttlingen.de/showobject.phtml, 12.8.2008

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