Erstellung einer Abhandlung über Behandlung von Harninkontinenz in der Urologie
Autor: Dr. Arndt Katzenwadel | Oberarzt | Sektionsleiter Harninkontinenz / Urogynäkologie
Trotz medizinischer Fortschritte bleibt die Harninkontinenz ein ernstes Problem für viele Männer nach einer Prostataoperation.
Oberarzt Dr. Arndt Katzenwadel diskutiert die Herausforderungen und Behandlung von Harninkontinenz nach Prostataoperationen sowie die Bedeutung von präoperativer Beratung, postoperativer Physiotherapie und geeigneten Therapienetzwerken. Ein Interview mit unserer Physiotherapeutin Theresa Nock bietet Einblicke in spezifische Behandlungsansätze.
Häufigste Ursache für eine Belastungsharninkontinenz des Mannes sind operative Behandlungen des Prostatakarzinoms. Sicherlich wurden in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in den operativen Techniken bezüglich Kontinenz- und Erektionserhalt gemacht. Dennoch werden in der Literatur immer noch signifikante Harninkontinenzraten 12 Monate postoperativ zwischen 5 und 20% angegeben. Einflussnehmend ist hierbei, dass immer häufiger auch Patienten mit fortgeschritteneren Tumoren im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzepts mit z.B. adjuvanter pelviner Radiatio therapiert werden.
Unser Bereich Harninkontinenz der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Freiburg arbeitet eng mit der Zentralen Physiotherapie des Universitätsklinikums zusammen. Unseres Erachtens ist die Physiotherapie – trotz divergierender Studienlage bezüglich der langfristigen Kontinenzverbesserung bei Harninkontinenz nach radikaler Prostatektomie – ein sehr wichtiges postoperatives therapeutisches Instrument. Es ist auch evident, dass es durch eine adäquate Physiotherapie zu einer schnelleren Wiederherstellung der Kontinenz kommt als ohne solche Maßnahmen. Für die Patienten ist hierbei auch psychologisch von Vorteil, aktiv in die eigene Therapie mit eingebunden zu sein. Auch in der aktuellen „AMWF-S3-Leitlinie Prostatakarzinom“ (2021) ist aufgenommen, dass die postoperative Harninkontinenz nach radikale Prostatektomie mit Hilfe multimodaler Konzepte therapiert und im Mittelpunkt des Kontinenztrainings bei Belastungsinkontinenz die Physiotherapie stehen soll.
Eine postoperative Harninkontinenz bedeutet für die meisten Patienten eine starke Einschränkung der Lebensqualität. Umso bedeutsamer ist es, die Patienten bereits präoperativ gut über ein solches Komplikationsrisiko zu informieren und Weiterbehandlungsmöglichkeiten im Vorfeld anzusprechen. Für eine weitere adäquate Versorgung von Patienten mit postoperativer Harninkontinenz sollte ein funktionierendes Netzwerk aus niedergelassen Ärzten, Klinik und betreuender Physiotherapie bestehen.

Theresia-Maria Nock | UKF
Grundsätzlich existieren viele unterschiedliche Konzepte zur physiotherapeutischen Behandlung einer postoperativen Harninkontinenz. Im Folgenden sollen in einem Interview mit der Physiotherapeutin Frau Maria-Theresia Nock (Mitarbeiterin der Zentralen Physiotherapie ZPT am Universitätsklinikum) ihre Erfahrungen und Verfahrensweisen auf diesem Gebiet dargestellt werden:
1. Frau Nock, können oder sollen die Patienten Ihrer Ansicht nach auch schon vor einer Prostataoperation Beckenboden - Physiotherapie bekommen?
Durchaus, denn eine gute präoperative Aufklärung, eine Wahrnehmungsschulung des Beckenbodens, eine Anleitung, den Beckenboden bewusster und differenzierter ansteuern, wahrnehmen, anspannen und entspannen zu können, kann dem Patienten mehr Sicherheit und Zuversicht geben und möglicherweise für eine schnellere postoperative Wiederherstellung der Kontinenz sorgen.
2. Haben Sie eine spezielle Behandlungsstrategie für die Physiotherapie während des stationären Aufenthalt von Patienten nach radikaler Prostatektomie?
Spätestens 48 Stunden nachdem der transurethrale Katheter entfernt wurde, sollte mit Physiotherapie begonnen werden. In der Urologie der Uniklinik bekommt der Patient noch am gleichen Tag ein Hand-out und eine erste Physiotherapie, ein erstes Kontinenztraining, womit er die Zeit bis zur stationären oder ambulanten Reha überbrücken kann.
3. Sehen Sie einen Unterschied in der Behandlung von robotisch operierten Prostatakarzinompatienten zu offen über Unterbauchinzision operierten Prostatakarzinompatienten?
Bei Patienten, die robotisch operiert wurden kann der transurethrale Katheter 2 Tage früher entfernt werden, wodurch sich der Aufenthalt im Krankenhaus verkürzt.
4. Wie sollten die Patienten nach dem stationären Aufenthalt therapiert werden? Und wann ist eine zusätzliche Elektrotherapie sinnvoll?
Auf den Aufenthalt im Krankenhaus folgt ca.1 Woche, die die Patienten zuhause verbringen. Anschließend folgt die stationäre oder ambulante Reha-Behandlung. Da die Wiedererlangung der Kontinenz länger als 6 Wochen oder 3 Monate dauern kann, erfordert dies ggfs. eine weitere physiotherapeutische Begleitung.
Eine Elektrotherapie halte ich initial insbesondere dann für sinnvoll, wenn Patient und oder die Therapeut*in noch mehr Informationen benötigen über die Wahrnehmungsfähigkeit, die Kraftqualitäten oder die Entspannungsfähigkeit der betroffenen Region. Die Elektrotherapie bietet einerseits eine Stimulation entsprechender Beckenbodenmuskulatur sowie ein zusätzliches sensorisches Feedback.
5. Wie viele postoperative Behandlungen werden bei Kassenpatienten von der Krankenkasse übernommen?
Im Regelfall sind zwei Mal je 6 Einheiten mit einer Frequenz von zwei Mal pro Woche vorgesehen.
6. Was raten Sie den Patienten bei ausbleibender Besserung nach Physiotherapie?
Es sollte dann unbedingt eine erneute Rücksprache mit dem behandelndem Arzt oder der behandelnden Ärztin gehalten werden
7. Gibt es spezielle Anleitungen für ein eigenständiges Beckenbodentraining der Patienten?
Das physiotherapeutisch angeleitete Kontinenztraining ist ein den Wundheilungsphasen angepasstes Übungs- und Bewegungsprogramm, je nach individueller Situation (Alter, Compliance, Bewegungseinschränkungen, Adipositas, Nebendiagnosen wie z.B. COPD) und alltäglichen Anforderungen. Anfänglich muss das differenzierte Ansteuern und Kontrollieren des M. sphinkter urethrae externus geübt werden; damit sollen mehr slow-twitch-Muskelfasern aufgebaut werden. Später wird auch im Verbund mit den gesamten Schließ- und Haltestrukturen des Beckenbodens und seiner Synergisten wie z.B. dem m. transversus abdomini oder dem diaphragma thorakale trainiert. Es folgt die Überprüfung und Einbindung in das Haltungs- und Bewegungsverhalten des Patienten. Dadurch entwickelt sich ein Übungsprogramm, dessen Ergebnisse durch wiederholte Miktionsprotokolle objektiviert werden.
8. Ist es auch möglich, dass der Patient zu viel und zu intensiv Beckenbodentraining ausübt, also gewissermaßen „übertrainiert“?
Der Beckenboden ist die prozentual aktivste Muskelgruppe bei Bewegungsanforderungen des Alltags.“ (Schulte-Frei 2007) und der Patient soll postoperativ in Bewegung kommen. Das tägliche Bewegen beansprucht den Beckenboden eh schon und das spezielle Trainingsprogramm kann darin eingebaut werden und sich auf ca. 20 Minuten täglich beschränken 6 Tage die Woche. Wie schon erwähnt, die Belastung sollte den Wundheilungsphasen angepasst werden, bezogen auf z.B. Kraftintensität oder darauf, dass Anspannung und Entspannung gleichermaßen ins tägliche Programm aufgenommen werden.
Eine Überbeansprachung des Beckenbodens durch zu forciertes und zu häufiges Training kann tatsächlich den Trainingseffekt reduzieren und sollte vermieden werden.
9. Abschließend noch eine Frage zur Harninkontinenz bei Frauen: Für Patientinnen mit nachgewiesener Belastungsharninkontinenz aufgrund hypermobiler Harnröhre sollte vor jeglicher operativer Therapie ja grundsätzlich ein konservativer Therapieversuch mit Beckenbodentraining erfolgen. Wie lange und mit welcher Behandlungsfrequenz sollte Ihrer Meinung nach das Training mindestens durchgeführt werden. Halten Sie ein weiteres Beckenbodentraining auch postoperativ (z.B. nach TVT/TOT-Band-Einlage wegen Belastungsharninkontinenz) für sinnvoll?
Je nach Befund, ermittelt durch standardisierte Befundbögen, wird ein Trainingsprogramm erstellt. Auch hier gilt bei Kassenpatientinnen 2mal 6 Einheiten im Regelfall. Die Behandlungsfrequenz kann eine 2malige Physiotherapieeinheit die Woche sein, in der die Patientinnen eine individuelle Schulung erfahren, je nach Alter, alltäglicher Belastung wie Heben und Tragen von Kindern und Gegenständen, sportlichen Aktivitäten, Nebendiagnosen wie COPD (es gibt Hustenstrategien) usw. Ergänzt werden könnte dies später durch ein med. Trainingsprogramm (Fitnessstudio, z.B. Unifit) für den Aufbau des Beckenbodens in Kombination mit Gesamtkörpermuskelaufbau als Trainingsziel, so dass evtl. 1 Physiotherapieeinheit die Woche und 2mal Fitnesstudio folgen und später nur noch das Fitnessprogramm selbstständig durchgeführt wird. Erfolgreicher Muskelaufbau benötigt allerdings ca. 4. Monate.
Generell gilt für die postoperative Physiotherapie von Mann und Frau: Da der Beckenboden die prozentual aktivste Muskelgruppe bei Bewegungsanforderungen des Alltags ist, ein sogenanntes Kraftzentrum, welches größtenteils autonom und oft unbewusst eingesetzt wird, lohnt es sich dieser Muskelgruppe mehr Aufmerksamkeit zu schenken, auch nach Erreichen der Kontinenz nach radikaler Prostatektomie oder einer Operation wie der TVT/TOT-Band-Einlage. Bestenfalls ist der Patient/die Patientin genügend geschult, so dass er/sie selbstständig trainieren kann. (siehe auch WHO-Leitlinien 2020 zu körperlicher Aktivität und sitzendem Verhalten)
Optionen für die operative Behandlung der Harninkontinenz nach radikaler Prostataoperation:
Bei Persistenz einer signifikanten Belastungskontinenz trotz konservativer Therapie auch noch 1 Jahr postoperativ oder völlig ausbleibender Besserungstendenz bis zu ½ Jahr postoperativ sollte bei Bedarf mit betroffenen Patienten auch die grundsätzlichen Optionen einer operativen Kontinenztherapie angesprochen werden. Bei grundsätzlichem Therapiewunsch sollte dann eine gezielte weitere Diagnostik (Miktions/Kontinenz-Tagebuch, Sonographie u. a.) und insbesondere eine urethrozystoskopische Beurteilung der Sphinkterregion erfolgen. Ist bereits endoskopisch eine eindeutige Läsion des Sphinkter externus urethrae nachweisbar, kann keine wesentliche Besserung der Kontinenz durch weitere konservative Maßnahmen erwartet werden.
Wir halten das komplette Spektrum der operativen Kontinenztherapie vor: als Goldstandard bei stärkerer Belastungsharninkontinenz wurde bei vielen Patienten erfolgreich ein artefizieller Sphinkter (AMS800) implantiert. Bei leichtern Formen von postoperativer Belastungsinkontinenz kann häufig auch eine suburethrale Bandeinlage (AdvanceXP-Band) zum Erfolg führen.
Seit Kurzen wird unser Bereich Kontinenz durch eine Mitarbeit von Frau Susan Eschborn verstärkt. Als Gesundheits- und Krankenpflegerin hat sie mittlerweile eine Weiterbildung zur Urotherapeutin absolviert. Frau Eschborn wird uns mit Beratungsangeboten (Blasentraining, Hilfsmittelberatung), Mitwirkung in der Diagnostik , Anleitung zur Selbstkatheterisierung von Patienten und vielem mehr unterstützen.
Kontaktdaten:
Dr. Arndt Katzenwadel
Oberarzt
Leiter Sektion Harninkontinenz / Urogynäkologie
Tel +49 761 270-28930 / Fax -28780
arndt.katzenwadel@uniklinik-freiburg.de