Robert Schad
VitaIm Atelier
Variantenreiche Modelle der vierten Dimension: Zeichnungen und Skulpturen
Kurven und Schraffuren; dazwischen dicke Balken und Gitter. Eine einfache und prägnante Formenwelt, die unvermutet ihre räumliche Dimension entfaltet, verweilt man längere Zeit vor dem Bild. Denn um ein Bild handelt es sich – ohne Titel, Graphit auf Papier, entstanden im Jahre 1985. Bald kann man diese entschieden flach gearbeitete Emotions-Skizze nur noch als plastische Form sehen, als Modell für eine gerüsthafte Skulptur oder als eine Art abstraktes Skelett.
Mit diesem Bild schickt Robert Schad den Betrachter auf den Weg in einen Assoziationsraum, dessen Dimensionierung sich in einem Filgranwerk aus Stäben, Stangen und Winkeln konkretisiert. Es geht nicht um Begrenzung und Transparenz wie im gotischen Raumgefüge, sondern um Durchdringung und Markierung unsichtbarer Raumachsen. Die Visualisierung des Nicht-Sichtbaren war eine der wesentlichen Aufgaben des Expressionismus und der Konkreten Kunst. Paul Klee war der Auffassung, dass unter der „Hülle der sichtbaren Welt“ die wirkenden Gestaltungskräfte anschaulich werden. Diese gilt es, zu studieren und zu artikulieren. Nach einem ähnlichen Modell geht Robert Schad vor. Er versucht, die Dimension von Raum und Zeit als formales System zu begreifen und zu gestalten. Der Zeitfaktor äußert sich allerdings nicht in nachvollziehbaren Bewegungsabläufen, sondern in der Sukzession der Raumschichtungen, die durch die Bildstruktur visualisiert wird.
In der genannten Graphitzeichnung sind bereits Merkmale enthalten, die sich in späteren Skulpturen äußern. Zugleich deuten sie auf Perspektivität seiner Arbeit: Die Konstruktion von Blickachsen mit dem Ziel, Raumvolumina zu definieren, um Zeitlichkeit im Raum anschaulich zu machen. Sein Material: Massiver Vierkantstahl. Die Form: Gerüststrukturen.
Robert Schad wurde im Jahre 1953 im oberschwäbischen Ravensburg geboren. In den Jahren von 1974 bis 1980 studierte er bei Albrecht von Hancke und Wilhelm Loth an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Nach seinem Studienabschluss erhielt er für ein Jahr ein Stipendium des DAAD für einen Arbeitsaufenthalt an der Escola Superior de Belas Artes in Porto/Portugal. 1984 folgte ein Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg, 1987 ein Arbeitsstipendium des Kunstfonds e.V. Bonn und 1988 ein Stipendium der Cité International des Arts in Paris.
Unter der langen Liste der öffentlichen Auszeichnungen tritt der Große Preis der II. Internationalen Biennale für Bildhauerei in Obidos, Portugal von 1989/90 hervor. In diesem Zeitraum übernahm Robert Schad eine Gastprofessur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart.
Heute lebt der Künstler zusammen mit seiner Frau, der Musikerin Erika Stauss, in Larians, einem malerischen Flecken in der Franche Comté. Dort gründete er im Jahre 2000 das „Terrain de Sculpture de Larians“, wovon gleich die Rede sein wird.
Skulptur im Garten, 1998
Zurück zum Bild im Attikageschoss des Herzzentrums! Der plastische Charakter der Graphitzeichnung und seine spiralförmige Torsion verweisen auf ein monumentales Skulpturenprojekt, das Schad in den Jahren von 1986/87 in Stuttgart verwirklichte. Es ging um den sogenannten „Stuttgarter Weg“, einen 136 m langen Verbindungstunnel zwischen dem Parlamentsgebäude und dem Abgeordnetenhaus des Landtags von Baden-Württemberg. Auf den ersten Blick wirkt das raumgreifende Geflecht aus massiven Vierkantstahlstäben bizarr. Doch unvermittelt wird der Tunnelweg als Raum wahrgenommen. So, wie das gerüsthafte Ensemble sich Raum verschafft, so mag sich die den Tunnel passierende Person als „Figur im Raum“ empfinden. Sie selbst wird als Akteur einer vorgegebenen und von ihr mitzugestaltenden Choreographie aufgerufen. Schads Tunnel-Gestaltung trägt zur Sensibilisierung der Wahrnehmung bezüglich des persönlichen Raumgefühls bei: Die Sukzession der Bewegung im Raum wird am „Ablesen“ der Tunnelinstallation bewusst gemacht.
Der Stuttgarter Weg, 1986/87
Die Verschränkung von Zeit und Raum kristallisiert sich in der ästhetischen Nähe von Bewegung und Skulptur. Eine Körperbewegung konkretisiert sich in einer bestimmten Aufgabe, wie etwa laufen, bücken oder greifen. Gliedern wir diese Bewegung in einzelne Phasen auf, erscheinen sie uns als abstrakte Kalküle. Die Bewegungsanalyse eines Tanzschritts oder einer komplexen Choreographie kann ebenfalls als ein abstraktes Geflecht gedacht werden. Schads Skulpturen dürften in diesem Kontext als konkrete Modelle einer solchen Bewegungssequenz verstanden werden. Besser noch: Seine Skulpturen folgen einer vorher geplanten und ausgearbeiteten Choreographie.
Das angedeutete Raum-Zeit-Gefüge in Schads Arbeiten erfuhr im Jahre 1989 eine faszinierende Offenbarung: In der Berliner Akademie der Künste bewegte sich der Tänzer und Choreograph Gerhard Bohner in eigenen Figuren im Spannungsfeld skulpturaler Fragmente. Die Raum-Installation entstand in Zusammenarbeit mit Bohner, der durch seine Körperbewegungen immer wieder neue Bilder schuf, die durch das Medium der Skulptur als Augenblickserfahrungen wahrnehmbar wurden.
Bohner-Schad-Projekt, 1989
TRI-RULM, 1997
Im Lauf, Freiburg, 1996
Zurück zur Zeichnung im Herzzentrum! Wenn wir die Komposition als kristallisierten Bewegungsablauf im Sinne einer Choreographie-Skizze verstehen, haben wir uns den „inneren Figuren“ Schads genähert. Ich glaube, dass seine Skulpturen Ausdruck einer Bewegungs-Harmonie sind, deren unsichtbaren Gestus er im Außenraum tatsächlich wahrnimmt und ihn mit Hilfe seiner Gerüst-Konstruktionen für uns zur Erscheinung bringt. Das Wechselverhältnis von Zeichnung und Skulptur weist jedenfalls in diese Richtung.
Die Emotions-Skizze von 1985 ist in späteren Jahren der „gebauten“ Zeichnung, die mit Lack auf Stahlblech gearbeitet ist, gewichen. Der Vergleich zu seinen Skulpturen eröffnet neue Perspektiven. Es geht nicht mehr um Fläche oder Raum, sondern um die Erfahrbarkeit der ästhetischen Struktur in der Zeit. Im Raum können die Skulpturen flächig wirken - räumlich die Zeichnungen an der Wand. Das liegt am grellen Schwarz-Weiß-Kontrast und an den scharf-gratigen Stahlelementen. Ob man die Skulptur vor städtischer oder landschaftlicher Kulisse betrachet, in den meisten Fällen ist sie in einen – wenn auch begrenzten – Himmelsbereich eingebunden. So verklammert sie die Nähe mit der Ferne. Sie wirkt als Raumskulptur und Himmelszeichnung gleichermaßen.
Seine Vierkantstahl-Skulptur TRI-RULM von 1997, aufgestellt im Museion Bozen in den Talferauen, schließt den Wiesenvordergrund mit den Büschen und Bäumen des Mittelgrundes sowie mit der imposanten Bergkulisse und dem pathetisch bewölkten Himmel zu einem einheitlichen Bild zusammen. TRI-RULM wirkt wie ein artistischer Generator, der eine Art ästhetische Raumraffung hervorruft, um die „Bild-Dimensionalität“ des Alpenszenariums auf die Bühne der Wahrnehmung zu heben.
SULOT, 1997
Bekanntlich wird die vierte Dimension als Raum-Zeit bezeichnet und mit dem Vorstellungsmodell „Zeitachse im dreidimensionalen Raum“ umschrieben. Schads Skulpturen als metaphorische Zeitachsen zu charakterisieren, wäre zu wenig. Sie sind konkrete und variantenreiche Modelle der vierten Dimension, insofern die Zeitachse nicht als abstrakte Gerade oder Diagonale begriffen werden muss, sondern als differenziertes Geflecht, das die unterschiedlichen Phasen des Zeitlichen und deren Schichtungen im Raum markiert.
Im Jahre 2000 gründete Robert Schad in seinem Wohnort Larians das „Terrain de Sculpture de Larians“. Im Park winden sich Stelen in die Höhe und zeichnen sich in den Himmel. Es öffnen sich Stahlkreise und definieren mit jedem Positionswechsel das Park- und Landschaftsambiente neu. Die Strukturen der Natur, seien es nahe Bodenwellen oder ferne Höhenzüge, werden durch das Medium der Skulptur als artistisches Ornament wahrgenommen. Die Kontur eines Obstbaums drückt sich ab in einem benachbarten Stahlgerüst, das in dieser Gegenüberstellung filigran wirkt. Der Dialog zwischen Kunst und Natur ist an diesem Ort der Zeitlichkeit unterworfen. So, wie das Licht der Tageszeiten und die Farben der Jahreszeiten über das Terrain ziehen, verändern sich die Skulpturen und mit ihnen die Bilder, die sie in unserer Wahrnehmung erzeugen.
Zeichnung, Lack auf Stahlblech, 2001