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Michael Jäger

16. Mai 2010

Was ist ein Gesamtkunstwerk? Ein Gesamt aller Künste? Das wäre zu wenig und zu unscharf, zumindest für Michael Jäger. Man müsste eher an Verbindungen und Bezüge denken, die über das Ästhetische erfahrbar werden. Der Mensch im Raum denkt nicht an die drei Dimensionen, die ihm das Raumerlebnis ermöglichen, sondern er definiert sich durch seine Sinne: Er erblickt farbige Wände und kann sie fühlen, er hört Laute und kann sie sehen.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Jäger demonstriert diese Aussage, indem er beispielsweise im Salon Ornet (Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen 2006) eine “grenzenlose” Bilderserie installiert, die sich zusammenschließt zu einem homogenen Raumerlebnis. Versucht man, ein Einzelbild zu isolieren, geht der Raum verloren.

Vielleicht tauchte dieser Gedanke bereits im Jahre 1991 auf, als er im Düsseldorfer Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen die Ausstellung „Summe+Rest“ installierte. Um nicht “Rest” zu bleiben, musste sich der Besucher in das artistische Ambiente, nein, mehr noch: in das Bild selbst hineinbegeben.

Jäger provoziert das “Eintauchen ins Bild”. Man möchte zwischen den Zeilen lesen, um mehr über sich selbst, über sein Phantasie-Vermögen und über seine Sensibilität gegenüber Form und Farbe zu erfahren.

Blick durch den Flur auf Ornet, 2008  

Die Arbeiten Jägers stammen aus den letzten Jahren (2007-2010). Die unmittelbare Farb-Form-Präsenz ist unter anderem auch auf die Technik zurückzuführen: Acrylglas, Lack, Öl

Aus der Serie Nice Guys, 2009/2010

Als Nice Guys, hübsche Burschen, möchte man sie auch sehen, die abstrakt daherkommenden Gestalten in ihrer festlichen Kleidung und auf dem Weg zum Jäger-Farbfestival.

Die Geburtsstätte Ornet der Nice Guys, die sich bereits von der Kinderstube entfernt haben.

Man taucht ein ins Detail von Ornet 2007/2008 und nimmt den Stoff, aus dem die Bilder hervorgebracht werden, in Augenschein. Das Ornament war seit jeher Ideenträger für Motive und Bildgattungen: Rankenverzierungen mittelalterlicher Codices verselbstständigten sich zu Stillleben und Rokokodekor wuchs hinein in idyllische Schäferstücke.

Jägers Formenarsenal ist vielfältig und vielschichtig. Es gibt den artistischen Takt an zum rhythmischen Tanz der Figurengruppen – mal verschnörkelt und verspielt, mal streng aufgestellt und geordnet.

Vita

  • 1956 in Düsseldorf geboren.
  • Stipendien u.a. der Villa Romana/Florenz (1987), der Cité International des Arts/Paris (1997) und der Rainer Bartels Stiftung/Basel (2005/06).
  • 1993-1994 als Lehrbeauftragter für Malerei an der Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim tätig.
  • 1995-1996 als Gastprofessor an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.
  • 1999 Umzug als Artist in Residence an der Königlich Dänischen Akademie in Odense (Dänemark).
  • lebt und arbeitet in Köln.  

Ausstellungen der letzten Jahre (Auswahl)

2006:

  • Zwischenraum, Kunsthalle Recklinghausen (mit Krimhild Becker)
  • Salon Ornet, Wihelm-Hack-Museum Ludwigshafen n  Bloom und Ornet, Galerie Frank Schlag&Cie, Essen
  • Malabar Chartreuse, Galerie Katharina Krohn, Basel mit Ben Hübsch

2007:

  • IF Galerie Erhard Witzel, Wiesbaden
  • Die Zweite, Kunstagentur Melchior, Kassel mit Dorothee Rocke
  • PinkPink, Galerie Angus Broadbent, London

2008:

  • Händisch, Galerie Schneider/Bonn

Architekturkonzepte

Ein Gemälde von Michael Jäger – gerahmt und an die Wand gehängt – wirkt auf den ersten Blick befremdend, weil uns ein Konglomerat kräftig kolorierter Formen in scheinbar zusammenhanglosen Strukturen begegnet. Nach längerem Betrachten ist man versucht, das Bild umzugestalten, womit nicht der Bildgegenstand gemeint ist sondern das Bildumfeld, die freien Flächen jenseits des Bildrahmens. Gemeint sind die Wand, der Raum und die Architektur. Nun könnte man tätig werden und das Gemälde über die gesamte Wandfläche ziehen, hoch zur Decke und hinab zur Bodenleiste Den Abschluss rechter Hand versieht eine Tür. Es folgt eine freie Wandfläche und danach ein weiteres Architekturbild ...

Eine derartige Dekonstruktion und Neukonstruktion können wir im Geiste wahrscheinlich nur vornehmen, weil uns das Werk des Künstlers weitgehend vertraut ist.

Nice Guys von 2009/2010 (mit Ausschnitt von Ornet #15)

Ornet # 15, 2002

Die Kombination von Ornet # 15, 2002 mit den Nice Guys von 2009/2010 im Universitäts-Herzzentrum Freiburg ∙ Bad Krozingen soll eine derartige Wand vorstellen. Für Michael Jäger sind das Architekturkonzepte.

Auch die Bildfolge 6 Souvenirs (1996-2004, Station 5 des Universitäts-Herzzentrums) könnte als bildhafte Wandgliederung der Architektur Dynamik und Charme verleihen.

Zwischenraum, Kunsthalle Recklinghausen, 2006

Es verhält sich wahrscheinlich nicht so, dass für den Künstler die Architektur als Bildträger verwendet wird, um leere Wandflächen auszufüllen und bunt zu machen. Auch sollen seine Arbeiten nicht über das Label konstruierte Architekturmalerei laufen. Vielmehr sind Architektur und Malerei ein inniges Geschwisterpaar. Wenn der Künstler vor eine Wand tritt, fragt er sie wahrscheinlich, ob er sie mit einem Bild versehen darf. Die Architektur antwortet: Das darfst Du, weil Du Michael Jäger bist.  

Ein solcher Dialog hat in der Kunsthalle Recklinghausen stattgefunden. In dem aus dieser Perspektive fotografierten Zwischenraum tritt der mittlere Bildteil mit Konsole und Sockel aus der zweiten in die dritte Dimension. Diese Wirkung ist dem Farbkontrast und der Form geschuldet. Wenn man seinen Standpunkt in die andere Richtung verlegt, dann löst sich aus denselben Gründen die gebaute Raumecke auf und tritt zurück in die zweite Dimension. Die Architektur darf stolz auf ihre Schwester sein.

Nun handelt es sich in diesem Fall um eine illusionistische Spielerei. Warum nicht? Das macht doch Freude und erbringt den Beweis, dass Malerei die Architektur nicht nur schmückt, sondern sie auch mit gestaltet. Das ist wohl auch das Bestreben von Michael Jäger, im Dialog mit den Architekten ein Gebäude zu planen. Das ist ein Geben und Nehmen: Die Wandfläche, die der Künstler vom Architekten erhält und die artistische Gliederung, die der Architekt vom Künstler annimmt.

Eingangsbereich des Klinikums

Der Dialog zwischen Architektur und Malerei sollte nicht als Kunst am Bau verstanden werden, sondern eher als Kunst mit dem Bau. Das musste der Geschäftsführung des Schwarzwald-Baar-Klinikums Villingen-Schwenningen GmbH vorgeschwebt haben, als sie im Jahr 2011 die Einheit von Baugestaltung und bildender Kunst für den Neubau ihres Klinikums forderte. Eine Expertenkommission traf die entsprechenden Vorbereitungen, und eine Jury setzte sich zusammen. Sie entschieden sich für das von Michael Jäger vorgestellte Projekt Quartett, das für das Foyer und die Magistrale, einen 250 m langen Gang, der die verschiedenen Klinikbereiche erschließt, vorgesehen war.  

Die Gesamtlänge der Magistrale (Nord- und Südseite, je 2 Ebenen) beträgt 1.000 Meter. Jäger erarbeitete zusammen mit den Künstlern David Harley, Jürgen Palmtag und Volker Saul das malerische Konzept. Pünktlich zur Einweihung des Klinikums am 6. Juli 2013 waren die Wandflächen gestaltet.

Jürgen Palmtags gezeichnete Malerei, seine akribisch aufgetragenen Zeichen, stöbern im ikonischen Erinnerungs-Arsenal der Betrachter und können wohl nur über Stimmungen oder unvermittelt sich einstellende atmosphärische Klänge entschlüsselt werden.

Dagegen fordern die sfumatohaften Spray-Stücke von David Harley zum Anfassen oder Umgreifen auf, so als ob man Farbklänge nicht nur Sehen, sondern auch ertasten kann.

Die monochromen Gebilde von Volker Saul, entschieden flächenhaft und Gestänge oder Blasen suggerierend, haben sich als veritable Rätselformen etabliert.

Im Erdgeschoss der Magistrale. Übrigens ließen die Künstler mit diesem Bild eine Postkarte anfertigen. Sie trägt den Titel:  WE SURVIVED THE MAGISTRALE.

Michael Jägers Beiträge konzentrieren sich auf Farbfelder, die in quasi-räumlichen Dimensionen die Wände gliedern, sie öffnen und dadurch in eine scheinbare Bewegung versetzen. Dann bildet er den Kontrast in Form von weichen und irregulären Farbflächen, die von schwarzen langgezogenen Canyons und Kanälen durchzogen werden. Das sind Eingriffe in die wohlgeordneten Lineaturen, ähnlich, wie eine Krankheit die gewohnten und vertrauten Lebensstrukturen stört.

Blick durch Türen auf die Magistrale im Obergeschoss

Teil der Magistrale im Erdgeschoss