Tiefe Hirnstimulation (DBS)

Ihr DBS-Experten-Team Freiburg
Liebe Patientin, lieber Patient!
Mit dieser Broschüre möchten wir Ihnen einen umfassenden Einblick in die
Behandlungsmöglichkeiten mit der Tiefen Hirnstimulation (DBS) geben*. Das
Verfahren ist seit mehr als 30 Jahren etabliert und es gibt weltweit Erfahrung mit
der Behandlung der Parkinson-Erkrankung des Tremors, der Dystonie, der Epilepsie,
neuropathischer Schmerzen und anderer Indikationen. Die DBS stellt einen wesentlichen
Teil der Behandlung verschiedener neurologischer Erkrankungen dar, bei
denen die konservative und medikamentöse Therapie nicht mehr greift oder zu
Nebenwirkungen führt.
Wir haben uns bemüht, die Informationen für Sie so zusammenzustellen, dass
sie leicht verständlich sind und Ihnen helfen, gemeinsam mit Ihrem Ärzteteam
eine fundierte Entscheidung über Ihre Behandlungsmöglichkeiten zu treffen.
Ihr Behandlungsteam aus Stereotaktischer Neurochirurgie, Neurologie und
Neuroradiologie steht Ihnen für weiterführende Fragen gern zur Verfügung.
Wir wünschen Ihnen gute Besserung!
WAS IST DIE TIEFE HIRNSTIMULATION (DBS)?
Die Tiefe Hirnstimulation (THS oder Englisch Deep Brain Stimulation, DBS) ist ein
neurochirurgisches Verfahren, bei dem dünne Elektroden präzise in bestimmte
Bereiche des Gehirns eingeführt werden (Abbildung 1). Diese Elektroden sind
mit einem Impulsgeber verbunden, der ähnlich einem Herzschrittmacher unter
der Haut (meist unterhalb des Schlüsselbeins) platziert wird. Das Gerät sendet
schwache elektrische Impulse an die Zielbereiche im Gehirn, um die Aktivität in
diesen Regionen zu modulieren.

Abb 1: Das DBS-System besteht aus drei Hauptkomponenten. Elektroden: Dünne, isolierte Drähte mit mehreren Kontakten an der Spitze. Verlängerungskabel: Verbinden die Elektroden mit dem Impulsgeber. Impulsgeber (Neurostimulator): Enthält die Batterie und die Elektronik zur Steuerung der Impulse.
WIE FUNKTIONIERT DBS?
Die elektrischen Impulse beeinflussen die Aktivität der Nervenzellen in den
Zielgebieten. Sie können überaktive Nervenzellen beruhigen oder unteraktive
anregen und so gestörte Netzwerke im Gehirn normalisieren. Die Stimulationsparameter
(Frequenz, Pulsdauer, Spannung) werden individuell angepasst, um
die beste Wirkung für den Patienten zu erzielen.
KRANKHEITSBILDER UND ZIELGEBIETE
Wenn bestimmte Erkrankungen mit medikamentösen Maßnahmen nicht mehr
ausreichend behandelbar sind oder diese Medikamente zu unerträglichen Nebenwirkungen
führen, kann die DBS eine Option sein. Im Folgenden erklären wir Ihnen
das Verfahren in der Anwendung bei den wichtigsten Erkrankungen.
MORBUS PARKINSON
Morbus Parkinson ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die
durch den Verlust von Nervenzellen im Gehirn entsteht, die den Botenstoff Dopamin
produzieren. Die klassischen Symptome sind Zittern (Tremor), Muskelsteifheit
(Rigor), verlangsamte Bewegungen (Bradykinese) und Haltungsinstabilität. Im fortgeschrittenen
Stadium leiden viele Patienten unter starken Schwankungen ihrer
Beweglichkeit (sogenannte ON-OFF-Fluktuationen) und unwillkürlichen Überbewegungen
(Dyskinesien) trotz optimierter meidkamentöser Therapie.
Die DBS-Therapie kommt bei Parkinson-Patienten in Betracht, die grundsätzlich
noch gut auf die medikamentöse Therapie mit L-Dopa ansprechen, aber unter
erheblichen Fluktuationen, Dyskinesien oder anderen Nebenwirkungen leiden.
Eine typgerechte Diagnosestellung und ein Erkrankungsalter unter 70 Jahren
ZIELGEBIETE BEI MORBUS PARKINSON:
1. NUCLEUS SUBTHALAMICUS (STN):
◼ Der am häufigsten gewählte Zielort bei Morbus Parkinson
◼ Meist eingesetzt bei Wirkfluktuationen
◼ Besonders wirksam gegen alle Kardinalsymptome (Tremor, Rigor, Bradykinese)
◼ Ermöglicht oft eine deutliche Reduktion der Medikamentendosis (30-60%)
◼ Kann gelegentlich Stimmungsschwankungen oder kognitive Veränderungen
auslösen
2. GLOBUS PALLIDUS INTERNUS (GPI):
◼ Besonders wirksam gegen Dyskinesien
◼ Geringere Möglichkeit zur Medikamentenreduktion im Vergleich zum STN
◼ Geringeres Risiko für psychiatrische Nebenwirkungen
◼ Bevorzugt bei älteren Patienten oder bei bereits bestehenden kognitiven
Einschränkungen
3. NUCLEUS VENTRALIS INTERMEDIUS THALAMI (VIM):
◼ Wirkt hauptsächlich gegen den Tremor
◼ Weniger Effekt auf andere Parkinson-Symptome
◼ Wird heute seltener verwendet, außer bei Patienten mit tremordominantem
Parkinson
◼ Kann auch beim Essentiellen Tremor eingesetzt werden
Die Wahl des Zielgebiets erfolgt individuell und berücksichtigt die dominierenden
Symptome, das Alter, die kognitiven Fähigkeiten und weitere patientenspezifische
Faktoren. Die DBS kann die Lebensqualität signifikant verbessern, indem
sie die motorischen Symptome um durchschnittlich 60-70% reduziert und die
behandlungsbedingten Komplikationen vermindert.
ESSENTIELLER TREMOR

Abb 2: Typischer Therapieeffekt auf den Tremor unter Behandlung mit der DBS
Der Essentielle Tremor ist die häufigste Bewegungsstörung und betrifft etwa
4-5% der Bevölkerung über 65 Jahre. Im Gegensatz zum Parkinson-Tremor tritt er
typischerweise bei Bewegung oder Haltung auf (Halte- und Aktionstremor) und
bessert sich in Ruhe. Am häufigsten sind die Hände betroffen, aber auch Kopf,
Stimme, Zunge und andere Körperteile können betroffen sein. Die Erkrankung
verläuft oft familiär gehäuft und wird häufig vererbt. Oft bemerken Patienten
eine Besserung schon bei der Einnahme geringer Mengen Alkohol.
Der Essentielle Tremor kann sehr belastend sein und alltägliche Aktivitäten wie
Essen, Trinken, Schreiben oder feine Handarbeiten erheblich beeinträchtigen. Viele
Patienten erleben auch soziale Isolation aufgrund von Schamgefühlen. Die medikamentöse
Therapie mit Propranolol (ein Betablocker) oder Primidon (ein Antiepileptikum)
ist bei etwa 50% der Patienten wirksam, lässt aber mit der Zeit oft nach oder
verursacht unerwünschte Nebenwirkungen.
Die DBS ist bei medikamentös therapieresistentem Essentiellen Tremor eine besonders
wirksame Option. Hauptsächlicher Zielort ist der Nucleus ventralis intermedius
des Thalamus (Vim). Die Stimulation kann das Zittern um 80-90% reduzieren,
was zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität führt. Die Wirkung bleibt
in der Regel über viele Jahre bestehen, kann aber bei einigen Patienten mit der Zeit
nachlassen (Habituation). Typische Kandidaten für eine DBS sind Patienten mit
schwerem, behindertem Tremor, der auf Medikamente nicht ausreichend anspricht
und den Alltag erheblich einschränkt. Das Alter spielt eine geringere Rolle als bei
Parkinson, solange der allgemeine Gesundheitszustand eine Operation zulässt.
Abb 2:
DYSTONIE
Dystonie ist eine neurologische Bewegungsstörung, die durch anhaltende oder
wiederkehrende Muskelkontraktionen gekennzeichnet ist. Diese führen zu unwillkürlichen
Drehbewegungen, abnormen Körperhaltungen oder wiederholten
Bewegungen. Dystonien können einen einzelnen Körperteil betreffen (fokale
Dystonie), mehrere benachbarte Körperteile (segmentale Dystonie) oder den
gesamten Körper (generalisierte Dystonie).
BEISPIELE FÜR FOKALE DYSTONIEN SIND:
◼ Cervikale Dystonie (Torticollis): Verdrehung des Halses und / oder des Kopfes
◼ Blepharospasmus: Unwillkürliches Augenschließen
◼ Oromandibuläre Dystonie: Kiefer- und Gesichtskrämpfe
◼ Schreibkrampf: Verkrampfung der Hand beim Schreiben
Die primäre Dystonie ist oft genetisch bedingt, wobei die DYT1-Genmutation die
häufigste Ursache für früh beginnende generalisierte Dystonien ist. Die Symptome
beginnen oft in der Kindheit oder Jugend an einem Körperteil und breiten sich
dann aus.
Die DBS hat sich bei schweren, medikamentenresistenten Dystonien als wirksame
Behandlungsoption erwiesen. Der Globus pallidus internus (GPi) ist dabei
das bevorzugte Zielgebiet. Im Gegensatz zu Parkinson oder Essentiellem Tremor
tritt die volle Wirkung der DBS bei Dystonie oft erst nach Wochen oder Monaten
ein, da sich die neuronalen Netzwerke langsamer umorganisieren.
Die Erfolgsaussichten sind besonders gut bei primären generalisierten oder segmentalen
Dystonien mit DYT1-Mutation (Verbesserung um 60-90%). Bei fokalen
Dystonien wird in der Regel zunächst eine Behandlung mit Botulinumtoxin
versucht, bevor eine DBS in Erwägung gezogen wird.
SEKUNDÄRE DYSTONIE
Sekundäre Dystonien unterscheiden sich von den primären Dystonien dadurch,
dass sie durch identifizierbare Ursachen wie Hirnverletzungen, Schlaganfälle,
Sauerstoffmangel bei der Geburt, Infektionen, bestimmte Medikamente oder
metabolische Störungen verursacht werden. Die häufigste Form ist die zerebrale
Bewegungsstörung nach frühkindlicher Hirnschädigung.
Das klinische Bild ist oft komplexer als bei primären Dystonien und kann mit
anderen Bewegungsstörungen wie Spastik, Chorea oder Athetose kombiniert
sein. Die Symptome können sich im Tagesverlauf deutlich verändern und durch
Müdigkeit, Stress oder bestimmte Körperpositionen verstärkt werden.
Die DBS bei sekundären Dystonien ist komplizierter und die Ergebnisse sind
weniger vorhersehbar als bei primären Formen. Der Erfolg hängt stark von der
Grunderkrankung, dem Alter bei Erkrankungsbeginn und der Dauer der Erkrankung
ab. Bei dystonischer Zerebralparese können Verbesserungen der motorischen
Funktionen um 20-30% erreicht werden, während tardive Dystonien
(medikamenteninduziert) besser auf DBS ansprechen mit Verbesserungen um
50-70%.
Der Globus pallidus internus (GPi) ist auch hier das bevorzugte Zielgebiet. Bei
Patienten mit sekundärer Dystonie ist eine besonders sorgfältige Patientenauswahl
und Beratung wichtig, um realistische Erwartungen zu schaffen. Häufig
steht die Verbesserung der Pflegesituation und die Schmerzreduktion im Vordergrund,
nicht die vollständige Wiederherstellung der Funktion.
FOKALE EPILEPSIE
Die Epilepsien behandeln wir üblicherweise gemeinsam mit dem Behandlungsteam
des Epilepsiezentrums. Auch hier sind regelmäßige ambulante Kontrollen
notwendig.
Epilepsie ist eine chronische neurologische Erkrankung, die durch wiederkehrende,
unprovozierte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Anfälle
entstehen durch abnorme, synchronisierte elektrische Aktivität im Gehirn. Etwa
50 Millionen Menschen weltweit leiden an Epilepsie, wobei die Häufigkeit im
Kindesalter und im höheren Lebensalter statistisch ansteigt.
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Die Standardbehandlung besteht aus Antiepileptika, die bei etwa 70% der Patienten
die Anfälle kontrollieren können. Bei medikamenten-resistenter Epilepsie
(fortbestehende Anfälle trotz adäquater Therapie mit zwei verschiedenen Antiepileptika)
kommen resektive chirurgische Verfahren in Betracht, bei denen der
anfallsauslösende Herd entfernt wird.
Die DBS wird bei Patienten mit medikamenten-resistenter Epilepsie eingesetzt,
bei denen eine resektive Operation nicht möglich ist, weil:
◼ der Anfallsursprung nicht sicher lokalisiert werden kann
◼ mehrere Anfallsherde bestehen
◼ der Anfallsherd in einem funktionell wichtigen Bereich liegt
◼ frühere Operationen nicht erfolgreich waren
Als Zielgebiete haben sich der anteriore Nucleus des Thalamus (ANT), der
Nucleus centromedianus des Thalamus, der Hippocampus und das Kleinhirn
etabliert. Besonders gut untersucht ist die Stimulation des ANT, die in der SANTE-
Studie zu einer medianen Anfallsreduktion von 56% nach zwei Jahren führte,
wobei circa die Hälfte der Patienten eine Anfallsreduktion von mindestens 50%
erreichten.
Die Wirkung der DBS bei Epilepsie entwickelt sich oft langsam über Monate bis
Jahre und kann bei manchen Patienten im Laufe der Zeit zunehmen. Anders als
bei der Parkinson-Krankheit oder dem Essentiellen Tremor ist eine sofortige
Anfallskontrolle durch Einschalten der Stimulation nicht zu erwarten. Die
antiepileptische Medikation wird in der Regel fortgeführt, kann aber bei gutem
Ansprechen oft reduziert werden.
Einen noch umfassenderen Einblick in die Behandlungsmöglichkeiten mit der Tiefen Hirnstimulation (DBS) erhalten Sie in dieser Broschüre.