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Start-Studie

Studie zur ambulanten Rehabilitation bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (START)

Rückenschmerzen gehören wegen ihrer hohen Prävalenz und den durch sie verursachten gravierenden direkten und indirekten Kosten zu den teuersten Krankheitssymptomen in den Industrienationen. Der Einsatz von wirksamen und möglichst kostengünstigen Interventionen bei Rückenschmerzen hat daher einen herausragenden Stellenwert.

Die AOK Baden-Württemberg strebt nach einer Verbesserung der Versorgungssituation ihrer Versicherten mit chronischen Rückenschmerzen und hat deshalb beim Hochrhein-Institut für Rehabilitationsforschung und bei der Abteilung Qualitätsmanagement und Sozialmedizin des Universitätsklinikums Freiburg eine Studie in Auftrag gegeben, welche die Wirksamkeit der Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP), der Ambulanten Rehabilitation (AR) und der Medizinischen Trainingstherapie (MTT) bei chronischen Rückenschmerzen im Rahmen eines Modellprojektes vergleichend untersuchen sollte.

Die Studie basierte auf dem Verfahren der Clusterrandomisierung, d.h. in sieben verschiedenen Regionen in Baden-Württemberg wurde jeweils eine der drei Interventionsformen angeboten. In die Studie aufgenommen wurden insgesamt 1274 Patientinnen und Patienten, die folgende Einschlusskriterien erfüllten: Rückenschmerzen über mehr als drei Monate, keine Indikation zu einer Bandscheibenoperation, keine vorausgegangene Bandscheibenoperation und keine Hinweise auf spezifische Ursachen der Rückenschmerzen.

Die zentralen Ergebnisse der Studie sind nachfolgend gelistet:

  • Die Patienten, die in den drei Versorgungsangeboten behandelt wurden, weisen gravierende Einschränkungen in der körperlichen Dimension des Gesundheitszustandes und in der Funktionsfähigkeit in Alltag und Beruf auf und berichten häufig zusätzlich über erhebliche psychosoziale Belastungen. In keiner der drei Untersuchungsgruppen gab es Hinweise auf eine relevante Überinanspruchnahme der Maßnahmen.
  • Die drei Interventionen führen zu einer signifikanten und relevanten Abnahme der Schmerzintensität und einer Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die Effekte sind auch sechs Monate nach der Intervention noch nachweisbar. Zwischen den einzelnen Versorgungsmodellen bestehen keine gravierenden Unterschiede in der Wirksamkeit.
  • Die Patienten der AOK Baden-Württemberg sind mit den durchgeführten Leistungen hoch zufrieden. Die Zufriedenheit ist nicht unterschiedlich in den drei Modelltypen.
  • Die Gesamtdauer der Therapie ist in der MTT mit etwa 15 Wochen deutlich länger als in der AR und in der EAP (etwa 5 bzw. 8 Wochen).
  • Ein Therapiebeginn innerhalb von einer Woche ist in der MTT mit 59% deutlich häufiger möglich als in der AR (10%) und in der EAP (23%).
  • Im Unterschied zur AR und z.T. auch zur EAP kann die Therapie bei der MTT auch berufsbegleitend durchgeführt werden.
  • Es gibt Hinweise, dass die vertraglich vereinbarte tägliche Therapiedauer von vielen Leistungsanbietern unterschritten wird.
  • Verhaltensempfehlungen und Hinweise auf weiterführende Maßnahmen erhalten die Versicherten in der MTT deutlich seltener als in den anderen Angeboten.
  • Die Aufnahmeuntersuchung durch den Therapeuten in der MTT wird von den Versicherten als gründlicher wahrgenommen als diejenige durch die Ärzte in den anderen beiden Angebotsformen.
  • Während der Behandlung in dem MTT-Modell erhalten die Versicherten oftmals zusätzliche therapeutische Leistungen aus dem Bereich der Heilmittel.
  • Die durchschnittlichen Brutto-Therapiekosten liegen für die MTT mit 291 € deutlich niedriger als für die EAP (1.194 €) oder für die AR (1.584 €).

Bei der Bewertung der Ergebnisse müssen einige Einschränkungen berücksichtigt werden. Ein Teil der Patienten erfüllte nicht die Einschlusskriterien bzw. erfüllte die Ausschlusskriterien. Auf Grund der Ausschreibung wurden MTT-Einrichtungen ausgewählt, deren Strukturqualität deutlich höher ist als diejenige der MTT-Einrichtungen insgesamt. Hierdurch – sowie durch die häufigen zusätzlichen Therapien während des MTT-Zeitraumes – könnten die MTT-Ergebnisse zu optimistisch eingeschätzt worden sein. Trotz dieser Einschränkungen lassen sich unseres Erachtens aus den Studienergebnissen folgende Schlussfolgerungen ableiten:

  • Die MTT ist bei Patienten mit Rückenschmerzen ein sinnvolles Therapiekonzept, das sich durch einen raschen Beginn und – im Vergleich zu den anderen untersuchten Angeboten – niedrigere Therapiekosten auszeichnet. Sie stellt einen sinnvollen Therapiebaustein auch in neuen Versorgungsformen wie der integrierten Versorgung dar.
  • Patienten mit gravierenden psychosozialen Belastungen sollten einer interdisziplinären Therapie zugewiesen werden, wie sie von ambulanten und stationären Rehabilitationseinrichtungen angeboten wird. Für eine effektive differentielle Zuweisung zu den verschiedenen Angeboten ist die Durchführung eines standardisierten Reha-Assessments eine wichtige Voraussetzung.

Als zusammenfassende Empfehlung kann festgehalten werden, dass es nach den Ergebnissen der START-Studie keinen Grund gibt, Patienten mit chronischen Rückenschmerzen nicht auch eine Behandlung in einer entsprechend qualifizierten MTT-Einrichtung anzubieten, wenn die Patienten dies akzeptieren oder sogar wünschen – z.B. weil diese Therapieform relativ leicht auch berufsbegleitend durchgeführt werden kann. Damit könnte die AOK die Palette ihrer Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit chronischen Rückenschmerzen um ein wirksames und kostengünstiges Angebot erweitern.

Literatur:

  • Kainz B, Gülich M, Jäckel, WH (2003): Beurteilung dreier Therapieangebote für chronische Rückenschmerzen aus der Patientenperspektive -Zwischenergebnisse einer clusterrandomisierten Studie. Abstract in: Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (Hrsg.). 12. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium vom 10. - 12. März 2003 in Bad Kreuznach. Rehabilitation im Gesundheitssystem. DRV-Schriften, Frankfurt. Band 40: 329-331.
  • Kainz B, Gülich M, Jäckel WH (2003): Patientenzufriedenheit mit drei verschiedenen ambulanten Therapiekonzepten zur Behandlung von Rückenschmerzen. Phys Med Rehab Kuror 2003, 13: 233
  • Kainz B, Gülich M, Jäckel WH (2004): Vergleich dreier ambulanter Therapieformen zur Behandlung chronischer Rückenschmerzen - Ergebnisse einer multizentrischen Studie. DRV-Schriften, 2004; 52: 124-126. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2000 (Hrsg.)
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