Beiträge neurobiologischer Forschung zur Entwicklung von Cochlear Implantaten (CI's) für den Menschen
NeurobiologieGibt es inhibitorische Synapsen an Neuronen der Cochlea? Die Beantwortung dieser Frage ist wichtig um zu verstehen, auf welche Weise die Cochlea an der neuronalen Integration der Sinnesreize beteiligt ist. Bei der Anwendung von Cochlea Implantaten werden - unter Umgehung der Haarzellen - die Neurone der Cochlea direkt stimuliert. Wenn es in der Cochlea inhibitorische Synapsen gibt, würde ein Cochlea Implantat auch diese direkt erregen. Mit diesen Überlegungen haben wir uns auf die Suche nach Evidenz für inhibitorische Vorgänge an Neuronen der Cochlea gemacht. Als Versuchsmodell diente uns zunächst die Ratte.
Die Zellen des Spiralganglions sind nicht die einzigen Neurone der Rattencochlea. Im Nervus acusticus der Ratte befinden sich große Neurone, die zum Nucleus nervus cochlearis oder, englisch, zum Cochlear Root Nucleus (CRN) gehören. Dieser Kern erstreckt sich von der Cochle bis zum Nucleus cochlearis des Hirnstamms und umfasst etwa 70 Neurone. Die strategische Position dieser Zellen mitten im akustischen Nerven ist einzigartig, denn sie erlaubt ihnen, den Verkehr auf dieser Nervenautobahn genau zu registrieren, vorausgesetzt, dieser Kern erhält synaptische Kontakte. Dass dies der Fall ist können wir nachweisen durch die immunhistochemische Darstellung von Synaptophysin. Synaptophysin ist ein Eiweißmolekül, das in allen präsynaptischen Endigungen enthalten ist, also die Gesamtheit der Synapsen zeigt. Mit dem Nachweis dieses Proteins in histologischen Schnitten durch den CRN können wir zeigen, dass diese Zellen eine Vielzahl synaptischer Eingänge erhält. Ein erheblicher Teil dieser Synapsen enthät GABA, wie man in Präparaten sehen kann, in denen der Nachweis für GABA-Immunreaktivität geführt wurde.
Im auditorischen System gibt es neben GABA noch einen zweiten prominenten inhibitorisch wirkenden Neurotransmitter, nämlich Glycin. Nach Darstellung des Glycinreceptors können wir zeigen, dass die Zellen des CRN auch von glycinergen Fasern innerviert werden. Wir finden in der Cochlea der Ratte also Evidenz für massive inhibitorische Wechselwirkungen an Neuronen. Die Zellen des CRN selbst sind glutamaterg.
Dies ist aber nicht die einzige Beobachtung, die wir im Zusammenhang mit der oben gestellten Frage gemacht haben. Untersuchungen mit dem Elektronenmikroskop haben ergeben, dass sich der Glycinrezeptor in globulären Kompartimenten von etwa einem halben Mikrometer Durchmesser befinden. Dieser Befund scheint anzudeuten, dass die Spiralganglionzellen inhibitorische, glycinerge Signale enpfangen. Entweder wird der Glycinrezeptor synthetisiert um zu anderen Teilen der Spiralganglionzellen transportiert zu werden. Oder es handelt sich bei dem, was wir hier sehen, um internalisierte oder intrazelluläre Rezeptoren, wie sie für verschiedene Steroidhormone, aber auch neuroaktive Substanzen wie Serotonin, Dopamin, Substance P, Somatostatin und Neurotensin bekannt sind. In jedem Falle werden wir die Möglichkeit bedenken müssen, dass die Spiralganglionzellen der Ratte inhibitorische Signale empfangen können. Einen äquivalenten Befund haben wir am Spiralganglion des Menschen erheben können. Auch am menschlichen Material konnten wir den Glycinrezeptor, wie in der Ratte, in intrazellulären Kompartimenten darstellen.
In der Cochlea der Ratte jenseits der Haarzellen haben wir also zwei Orte identifiziert, an denen neuronale Inhibition stattfindet bzw. stattfinden könnten. Unter der Voraussetzung, dass ähnliche Verhältnisse beim Menschen bestehen, müssen wir bei der Anwendung von Cochlea Implantaten die Möglichkeit einräumen, dass die Stimulation von erregenden Zellen mit der synchronen Stimulation von hemmenden Strukturen einhergeht. Dieser Umstand könnte für den Betrieb von Cochlea Implantaten von erheblicher Bedeutung sein.
Dr. rer. nat. Nicole Roßkothen-Kuhl
Laborleiterin