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Borderline: Emotionen an der Grenze

Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter

(10.06.2025) Es gibt eine eiserne Regel in der Psychiatrie: Persönlichkeitsstörungen werden erst ab dem 18. Lebensjahr diagnostiziert. Und es gibt genau eine Ausnahme von dieser Regel: die emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus.

„Wir haben in den vergangenen Jahren festgestellt, dass die Patientinnen zwischen 20 und 30 Jahren oft erzählen, dass sie sich erinnern können, wie die ersten Symptome bei ihnen mit 14, 15 Jahren auftraten“, erzählt Professor Dr. Christian Fleischhaker, kommissarischer Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter am Universitätsklinikum Freiburg. Das sei der Grund dafür, die Grenze in diesem Fall zu unterschreiten. 

Je früher eine Borderlinestörung bei Jugendlichen erkannt und behandelt wird, desto besser stehen die Chancen auf Heilung. ©ketchum

In Freiburg kann Betroffenen schon früher geholfen werden

Den Mediziner*innen ist durchaus bewusst, wie heikel das ist. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ist schon für Erwachsene etwas, mit dem sie und ihr Umfeld oft schwer umgehen können. Jugendliche trifft das vermutlich noch härter. „Aber“, sagt Christian Fleischhaker, „die Borderline-Störung ist relativ gut behandelbar.“ Den Betroffenen kann somit früher geholfen werden, sie müssen nicht erst jahrelang leiden, bis die Diagnose gestellt und adäquat therapiert werden kann. Ein Argument, das für eine zeitige Diagnose spricht. In der Freiburger Klinik kann sie bei Jugendlichen ab 16 Jahren, in Ausnahmen auch schon ab 14 Jahren, gestellt werden.

Betroffene leiden unter einer extremen inneren Anspannung

Die Borderline-Störung ist eine Persönlichkeitsstörung, die vor allem durch die Instabilität von Emotionen, Stimmung und zwischenmenschlichen Beziehungen gekennzeichnet ist. Betroffene leiden aufgrund der heftigen Gefühlsschwankungen unter einer extremen inneren Anspannung. Um diese zu lindern, greifen sie häufig auf selbstschädigende Verhaltensweisen zurück. Selbstverletzungen, hochriskante Aktivitäten und Drogenkonsum senken die Anspannungen sofort, werden dadurch jedoch schnell zu einer Art „Sucht“. Das Selbstbild der Betroffenen ist gestört, sie fühlen sich zerrissen und leiden unter massiven Ängsten vor dem Verlassenwerden.

Borderline-Therapie wirkt bei Jugendlichen sehr effektiv

Die Therapie der Wahl bei Borderline-Störung ist die sogenannte dialektische Verhaltenstherapie oder auch dialektisch-behaviorale Therapie, kurz DBT. Lange hat man den Patientinnen vor allem mit tiefenpsychologisch orientierten Therapien zu helfen versucht, seit wenigen Jahrzehnten zeigt sich jedoch, dass die DBT weitaus besser wirkt als unspezifische Standardverfahren. „Als etwa um das Jahr 2000 herum die Zahl der jungen Betroffenen rasant anstieg, haben wir uns entschlossen, die DBT auch bei Jugendlichen auszuprobieren – und haben überrascht festgestellt, dass sie bei ihnen noch effektiver wirkt als bei Erwachsenen“, sagt Fleischhaker. Es handelt sich dabei um ein hochkomplexes Therapieprogramm, das wir vor allem ambulant durchführen. 

Die Chancen auf Heilung stehen gut, je früher die Störung erkannt und behandelt wird

DBT-A beinhaltet eine Einzeltherapie und ein Gruppentraining, zudem stehen die Therapeutinnen den Patientinnen im Notfall telefonisch zur Verfügung. In der Einzeltherapie wird in hierarchischer Abfolge an den verschiedenen Problemen des Betroffenen gearbeitet. Ganz oben steht dabei suizidales und therapiegefährdendes Verhalten. Die Therapeutinnen versuchen, die Balance zwischen dem Verstehen und Wertschätzen der Probleme der Patient*innen und dem Anschub nötiger Veränderungen zu finden. Wie solche Fertigkeiten aussehen können, die ein Verhalten ändern, wird in der Gruppentherapie trainiert.

Eine effektive medikamentöse Therapie der Borderline-Störung gibt es nicht. In Deutschland ist lediglich ein Psychopharmakon zur Behandlung der Depression für Jugendliche unter 18 Jahren zugelassen. In manchen Fällen kommt zur Borderline-Störung eine schwere Depression, dann wäre das Medikament angebracht. „Ansonsten aber erzielen wir sehr gute Erfolge mit der Psychotherapie, da braucht es keine Medikamente“, sagt Fleischhaker.

Die Prognose bei einer Borderline-Störung ist günstig. Denn die Krankheit selbst ist so instabil wie ihre Symptome. Nach fünf Jahren erfüllen nur noch 30 bis 40 Prozent der betroffenen Jugendlichen die Diagnosekriterien, sagt Fleischhaker. Die Chancen, dass die Therapie erfolgreich ist, stehen umso besser, je früher die Störung erkannt und behandelt wird. Das ist ein klares Argument für die Diagnose ab 16.

Diagnose

Wenn sich fünf der folgenden Kriterien über einen Zeitraum von einem Jahr stabil halten, kann es sich um eine Borderline-Störung handeln: 

  • Hektisches Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.
  • Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen.
  • Ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
  • Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (zum Beispiel Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“).
  • Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
  • Affektive Instabilität durch eine ausgeprägte Orientierung an der aktuellen Stimmung (z. B. hochgradige episodische Misslaunigkeit [Dysphorie], Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
  • Chronisches Gefühl von Leere.
  • Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (zum Beispiel häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).
  • Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

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