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Neurochirurgische Epilepsieforschung

Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den anatomischen und pharmakologischen Grundlagen des epileptogenen Geschehens. Insbesondere geht es um die Signalübertragung von Nervenzellen im epileptischen Hirngewebe. Ziele sind ein besseres Verständnis des epileptogenen Geschehens und die Entwicklung neuer Ansätze zur operativen und medikamentösen Behandlung von Epilepsien.

Es bestehen enge Kooperationen mit der Sektion Grundlagen epileptischer Erkrankungen (Frau Prof. Dr. Haas) und dem Epilepsiezentrum (Prof. Dr. Schulze-Bonhage).

Zur Zeit werden zwei Forschungsprojekte bearbeitet:

Projekt 1: Verschaltung der Nervenzellen im epileptischen Gewebe (s. nachstehend)

Projekt 2: Anwendbarkeit lokaler Antikonvulsivagabe in vivo (s. nachstehend)

Im Verlauf der Temporallappenepilepsie (TLE) kommt es durch Axonsprossung zu einer Veränderung der normalen Konvektivität der Hippocampusformation. Da diesen Sprossungsprozessen eine große Bedeutung für die Pathogenese der Erkrankung zugeschrieben wird, wurden sie in den letzten Jahren mit Hilfe von Tiermodellen untersucht. Es ist völlig unklar, inwieweit sich die im Tiermodell erhobenen Daten tatsächlich auf die menschliche Situation übertragen lassen, da vergleichbare Daten für den gesunden und den an TLE erkrankten menschlichen Hippocampus fehlen.

Hierfür ursächlich ist, dass moderne neuroanatomische Methoden zur Aufklärung der Konvektivität der menschlichen Hippocampusformation aus ethischen Gründen nicht in vivo zum Einsatz kommen können. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten Untersuchungen von Hippocampi, die bei epilepsiechirurgischen Eingriffen gewonnen wurden. Von diesen Hippocampi können hippokampale Schnittpräparate hergestellt werden. Mit anterograden Markierungsverfahren können die lokalen Faserbahnen aufgeklärt werden. Durch die Kombination von anterogradem Tracing mit immunzytochemischen Methoden können die Zielzellen der Faserbahnen erfasst und synaptische Verbindungen elektronenmikroskopisch nachgewiesen werden. Ziel dieses Vorhabens ist es, die anatomische Konvektivität des "normalen" menschlichen Hippocampus aufzuklären (Hippocampi, die tumorassoziiert entfernt wurden), die veränderte Konvektivität des an TLE erkrankten Hippocampus zu charakterisieren (Hippocampi mit Ammonshornsklerose; AHS) und diese Daten mit den Daten der Tiermodelle (Kainatmodell, Pilocarpinmodell) zu vergleichen.

Abb. 1. (A) Neurobiotin Injektion in der Körnerzellschicht des menschlichen Hippocampus (B). Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Moosfaser (C). Calretinin-immunreaktives Interneuron wird von einer Moosfaser (Pfeile) innerviert. Messbalken (A) 50 µm, (B) 0,5 µm, (C) 20 µm.

Zielsetzung des Projektes 1

(1) Lokale Konnektivität: Zur Aufklärung der lokalen Verbindungen sollen mit einem anterograden Tracer (Neurobiotin) in hippokampale Schnittpräparate injiziert werden. Hierzu werden Mikroinjektionen von Tracer (kleine Gruppen von 10-50 Zellen können markiert werden) in die verschiedenen Regionen und Schichten des Hippokampus durchgeführt. Ein entscheidender technischer Vorteil dieser Mikroinjektionen ist, dass auch die lokale axonale Arborisation der injizierten Neurone innerhalb einer hippokampalen Region (z.B. Pyramidenzellen innerhalb von CA1) aufgeklärt werden kann.

(2) Identifikation der Zielzellen: Durch die Kombination von anterogradem Tracing am Schnittpräparat mit morphologischen Methoden (Golgi-Imprägnationstechnik; intrazelluläre Injektionen von Einzelzellen) und Immunzytochemie sollen die Zielzellen der lokalen Projektionsbahnen aufgeklärt werden. In diesem Zusammenhang sind die Verbindungen von Prinzipalzellen mit anderen Prinzipalzellen als auch Verbindungen zwischen Prinzipalzellen und den verschiedenen GABAergen Interneuronen von großem Interesse (z.B. Parvalbumin, Calretinin, NPY und Somatostatin-immunreaktive Interneurone in der Fascia dentata). Durch eine geeignete Fixierung der Schnittpräparate können schließlich die synaptischen Verbindungen der anterograd markierten Faserbahnen mit ihren immunzytochemisch identifizierten Zielzellen elektronenmikroskopisch nachgewiesen werden.

(3) Sogenannte extrazelluläre Matrixproteine (ECM) steuern die Neuausbildung und Aussprossung von Axonen. Die Arbeitsgruppe untersucht deren Rollen bei der krankhaften Faserverbindung im epileptischen Hippocampus sowie im Tiermodell.

Eingeworbene Drittmittel für Projekt 1

Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Transregio-Sonderforschungsbereiches (SFB) TR 3 und des Graduiertenkollegs 843 gefördert.

Bei der Epilepsie handelt es sich um die häufigste neurologische Erkrankung. Betroffen ist fast 1% der Bevölkerung der Bundesrepublik. Die meisten dieser Menschen sprechen auf orale Gabe von Antikonvulsiva gut an. Bei 160.000 Menschen in Deutschland besteht jedoch eine pharmakoresistente Epilepsie. Bei einigen dieser Patienten gehen die Anfälle von einem Focus im Gehirn aus, der operativ entfernt werden kann. Bei manchen Patienten aber liegt dieser Focus in einem Gehirnareal, das mit einer wichtigen Funktion belegt ist, z.B. Broca- oder Wernicke Sprachareal, oder motorische Gehirnrinde. Würde man dieses Areal entfernen, so käme es zu entsprechenden irreversiblen Ausfällen wie Aphasie oder Halbseitenlähmung.

Zwar sind in den letzten Jahren viele neue Antiepileptika auf den Markt gekommen. Die Situation für Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie hat sich dadurch aber kaum geändert. Es besteht das Problem, dass durch systemische Gabe eines Antikonvulsivums nicht ausreichend hohe Wirkstoffkonzentrationen im Epilpesiefocus erreicht werden. Zudem sind einige in vitro hochwirksame Substanzen klinisch nicht einsetzbar, da sie die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können.

Eine lokale Wirkstoff-Applikation eröffnet hier neue Möglichkeiten der Therapie bisher unbehandelbarer Epilepsien. Indem der Wirkstoff direkt auf den Epilepsieherd aufgebracht wird, können dort hohe Konzentrationen erreicht werden, ohne dass gleichzeitig eine höhere Belastung des Körpers und der nicht-betroffenen Hirnareale in Kauf genommen werden muss.

Eine Polymermatrix, in die der Wirkstoff eingebettet ist, soll direkt auf das identifizierte Cortexareal aufgebracht werden. Dadurch, dass der Wirkstoff bereits direkt vor Ort ist, reicht schon eine geringe Wirkstoffmenge aus, um eine hohe Konzentration im Focus zu erreichen. Das Prinzip einer langen und kontinuierlichen Freisetzung des Wirkstoffs aus der Matrix findet schon Anwendung in anderen Bereichen. So ist bereits ein Implantat zur hormonellen Empfängnisverhütung (Implanon®) auf dem Markt, welches seinen Wirkstoff über drei Jahre lang kontinuierlich freisetzt.

Abb. 2. (A) Schematische Zeichnung der Blut-Hirn-Schranke (Quelle: 'Löscher und Potschka, The Journal of Pharmacology 2002'). (B) Dreidimensionales Modell des Tetanus-Toxin-Moleküls. (C) EEG nach Injektion von Tetanustoxin.

Zielsetzung des Projektes 2

In diesem Versuchsvorhaben soll bewiesen werden, dass die lokale Gabe von Antikonvulsiva einen Epilepsiefocus in vivo gezielt beeinflussen kann. Hierfür soll Ratten ein kortikaler Epilepsiefokus mit Tetanus-Toxin gesetzt werden, der dann mit einem wirkstoffhaltigem Polymer behandelt wird. Die Anfallsfrequenz soll mit Video-EEGs kontrolliert werden.

Leitung
Dr. Christian Scheiwe

Dr. Christian Scheiwe
Oberarzt

Epilepsie-Sprechstunde