Zu den Inhalten springen

Angst vor Kinderlähmung

Infektiologie

Es sind beunruhigende Nachrichten aus Syrien – die Kinderlähmung, kurz auch Polio genannt, ist dort wieder ausgebrochen. Zum ersten Mal seit fast 15 Jahren bestätigt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bislang zehn Fälle der lebensgefährlichen Krankheit in Syrien. Zwölf Verdachtsfälle werden überprüft. Aus Somalia werden sogar über 170 Fälle gemeldet. Diese Nachrichten lassen fast vergessen, dass die WHO kurz vor einem lange erwarteten großen Ziel steht: Anfang 2014 kann wahrscheinlich ganz Südostasien als poliofrei zertifiziert werden.

Die Kinderlähmung ist eine von Polioviren hervorgerufene Infektionskrankheit, die die muskelsteuernden Nervenzellen des Rückenmarks befällt und zu bleibenden Lähmungserscheinungen bis hin zum Tod führen kann. Polioviren werden mit dem Stuhl ausgeschieden und so auf andere Menschen übertragen. Überwiegend sind Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren, gelegentlich auch ältere Personen bis ins Erwachsenenalter betroffen. In Deutschland gehört die Impfung gegen die Kinderlähmung zum empfohlenen Impfprogramm der Ständigen Impfkommission (STIKO). Europa gilt seit Jahren als poliofrei.

„Um einen lang anhaltenden Impfschutz zu erzielen, sollte nach der vollständigen Grundimmunisierung im Säuglings-, bzw. im Kindesalter eine Auffrischimpfung im Alter von 9-17 Jahren erfolgen. Wurde die Grundimmunisierung im Erwachsenenalter durchgeführt, so sollte eine Auffrischimpfung nach 10 Jahren erfolgen“, sagt Prof. Dr. Philipp Henneke, Leiter der Sektion Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie des Zentrums für Kinderheilkunde und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg.

Meistens wird die Infektion gar nicht bemerkt. Etwa jeder 10. Infizierte erlebt nach ein bis zwei Wochen Fieber, Halsschmerzen, Durchfall und Erbrechen. „Etwa die Hälfte der Patienten mit Krankheitssymptomen machen nach 3 bis 7 Tagen einen zweiten Krankheitsschub mit Kopfschmerzen und Fieber durch, von denen wiederum bei der Hälfte Lähmungserscheinungen auftreten. Wenn die Atemmuskulatur oder das Gehirn betroffen sind, dann kann die Erkrankung tödlich verlaufen“, sagt Prof. Henneke. Krankensäle mit so genannten „Eisernen Lungen“ fanden sich in der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts in allen Kinderkliniken. Die meisten Betroffenen mit Lähmungen behalten Restschäden und sind damit lebenslang behindert. „Wichtig ist außerdem: Polio ist keine Kinderkrankheit, sie kann jeden treffen. Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt erkrankte mit 39 Jahren und war dann lebenslang an den Rollstuhl gebunden.“

Ist die Erkrankung einmal ausgebrochen, können nur die Symptome behandelt werden, z.B. in Form einer Beatmungstherapie. Darüber hinaus gibt es keine Medikamente, mit denen diese Erkrankung geheilt werden kann. Vor der Kinderlähmung schützt nur die rechtzeitige und konsequent durchgeführte Impfung!

Die Impfung ist deswegen so wichtig, weil Polio hochinfektiös ist. Aus einem Fall werden schnell viele, wenn nicht jeder geimpft ist. Bis zur Einführung der Impfung in den 1950er Jahren gehörten wegen Polio geschlossene Schwimmbäder und unterbrochene Kinderfreizeiten zum Alltag. „Wie segensreich ein umfassender Impfschutz ist, zeigt sich gegenwärtig in Israel“, sagt Prof. Henneke. Dort wurde in über 100 Abwasserproben und in Dutzenden von Stuhluntersuchungen Poliovirus nachgewiesen. Es gibt also auch in Israel infizierte Polioausscheider! Wegen der hohen Impfquoten ist es bisher jedoch nicht zu Erkrankungen gekommen.

Die Impfung erfolgt in Deutschland mit einem Totimpfstoff durch eine Injektion in den Oberarm. Der Impfstoff ist sehr effektiv und wird hervorragend vertragen. Leichte Poliosymptome ohne Lähmungen, die bei der bis 1998 durchgeführten Schluckimpfung mit abgeschwächtem Lebendimpfstoff (Impfpoliomyelitis) gelegentlich auftraten, werden nicht mehr beobachtet.

In Zeiten der Globalisierung kann sich jede Infektion schnell ausbreiten. Da bei Polio zwischen Infektion und Erkrankungsausbruch Wochen vergehen, wird die Infektion über große Distanzen weiter verbreitet. So kann sie über Reisende auch wieder nach Deutschland kommen. „Es gibt keinen Grund für Angst, da die Impfung sicher schützt“, sagt Prof. Henneke. Das zeigt wie erwähnt das Beispiel Israel, das laut WHO übrigens zur Region Europa zählt. Wer unsicher über den eigenen Impfstatus oder den seiner Kinder ist, der sollte sich an Hausarzt oder Hausärztin wenden.

Zurück