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Erfindergeist hilft Blase und Prostata

Urotechnologie

(26.01.2017) Die Schmerzen begannen schlagartig und waren so stark, dass sich Michael B. beinahe übergeben musste. Wellenförmig breiteten sie sich von der linken Körperseite in Richtung Unterbauch aus. Der Hausarzt bestätigt schließlich, was Michael B. schon vermutet. Ein Nierenstein, nur wenige Millimeter groß, hat sich in seinem Harnleiter festgeklemmt und muss entfernt werden – nicht das erste Mal.

Harnsteine müssen jährlich etwa 750.000 Mal in Deutschland behandelt werden. Immer häufiger werden die Steine mit Hilfe eines Endoskops zerkleinert und über den Harnleiter entfernt. Das Verfahren ist an sich sehr schonend und wirksam. Oft bleiben aber winzige Bruchstücke im Nierenbecken zurück, die wiederum zu Kristallisationskernen für neue Ablagerungen werden können. „Mit diesem Ergebnis wollten wir uns nicht zufrieden geben“, sagt Dr. Arkadiusz Miernik, Leiter der Sektion Urotechnologie an der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Freiburg.

Gemeinsam mit seinem Freiburger Kollegen Dr. Martin Schönthaler, Oberarzt an der Klinik für Urologie, und Forschern des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen fand der 32-jährige Oberarzt einen gänzlich neuen Lösungsansatz. Wenn der Stein per Laser zerkleinert ist und die großen Stücke entfernt sind, wird ein biokompatibler, wasserfester Klebstoff ins Nierenbecken eingespritzt. Dieser verklebt die übrig gebliebenen winzigen Steinfragmente und bildet ein elastisches Gel, welches sich dann im Ganzen endoskopisch entfernen lässt.

Heute – nur fünf Jahre nach der ersten Idee – wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit knapp zwei Millionen Euro gefördert und steht kurz vor dem Einsatz beim Menschen. „Wenn alles gut geht, könnte das Gel schon bald bei Patienten getestet werden“, hofft Miernik, der Ende 2015 als jüngster Urologe Deutschlands habilitierte und für seine Arbeit die höchste Ehrung der Deutschen Gesellschaft für Urologie erhalten hat. „Das Durchdenken solcher Probleme und neuer Ideen ist für mich wie Musik im Kopf“, sagt der Arzt.

Von der Idee bis zum marktreifen Produkt  

Doch der Klebstoff ist kein Zufallsprodukt, sondern vielmehr ein Paradebeispiel dafür, wie die Mitglieder der Ende 2014 gegründeten Sektion Urotechnologie arbeiten. Sie entwickeln neue Ideen zu klinisch einsetzbaren Behandlungskonzepten – für die Behandlung von Nierensteinen, Prostataleiden und vielen weiteren Erkrankungen. „Die Sektion bietet Ärzten einen strukturierten Rahmen bei der Forschung und Entwicklung. Sie werden von der Idee über die Entwicklung von Prototypen bis zur Markteinführung von uns unterstützt“, erklärt Professor Dr. Ulrich Wetterauer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie. Am Anfang jedes neuen Projekts steht eine ausgefallene Idee. „Wir treffen uns im Team regelmäßig zu Brainstorming-Runden und diskutieren neue Vorschläge ganz offen“, erklärt Miernik. Hat sich ein Projekt konkretisiert, bemühen sich die Wissenschaftler um eine öffentliche Förderung und um einen universitären oder außeruniversitären Forschungspartner mit hoher technologischer Kompetenz. „Für die Entwicklung eines Prototypen brauchen wir großen Spielraum für ungewöhnliche Ideen. Hier haben sich industrielle Kooperationen eher nicht bewährt“, sagt Wetterauer.

„Denn viele Unternehmen scheuen das Risiko.“ Umso wichtiger seien aber die Unternehmen beim nächsten Schritt, wenn es darum gehe, die Erfindungen bis zur Marktreife voranzutreiben. Schon in kurzer Zeit konnte die Sektion ein internationales Netzwerk forschender und industrieller Kooperationspartner aufbauen. „Wir schließen damit die Lücke zwischen Technologie- und Anwenderseite“, sagt Wetterauer. Die translationale Forschung hat noch einen weiteren Vorteil: Durch sie können die Freiburger Ärzte Erfindungen aktiv mitgestalten, statt erst mit dem Endprodukt konfrontiert zu werden. Mittlerweile sind neben Leiter Miernik fünf weitere Ärzte und fünf Doktoranden mit neuen Projekten beschäftigt.

Die Ideenschmiede läuft auf Hochtouren

Die Forscher arbeiten an vielen Erfindungen gleichzeitig: an intelligenten Lasersystemen, körpernahen Sensoren zum Nachweis von Blut im Urin und selbst an Robotern, die sich eines Tages selbstständig durch den Harntrakt bewegen sollen. In letzter Zeit haben sie vier Patente angemeldet und zahlreiche Erfindungsmeldungen geschrieben. Besonders große Hoffnungen setzen die Urologen in ein Analysesystem, mit dem Ärzte nach der Operation innerhalb weniger Minuten die Zusammensetzung der Nierensteine bestimmen können sollen: Enthält der Stein beispielsweise viel Kalziumoxalat, sollte der Patient zuckerhaltige Softdrinks meiden und dafür kohlensäurehaltiges Mineralwasser und Zitrussäfte trinken. Bislang haben nur Speziallabore diese Analyse angeboten. Arzt und Patient mussten Wochen auf die Ergebnisse warten. „Oft haben wir die Patienten nach der Operation aber nie zur Nachsorge wiedergesehen. Mit dem neuen System könnten wir sofort eine Ernährungsempfehlung geben und so das Risiko einer nochmaligen Steinbildung verringern“, erklärt Miernik.

Ob Michael B. eines Tages noch einmal Hilfe bei Nierensteinen benötigt, wird sich zeigen. Die Chancen stehen in jedem Falle gut, dass er dann schon von einer der Erfindungen der Sektion Urotechnologie profitieren kann.

(JF)

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