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Neuronale Mechanismen, State Effekte und Trait Korrelate von meditationsbasierten Veränderungen im Selbsterleben

Ein zentraler Aspekt menschlichen Erlebens ist das Gefühl ein wahrnehmendes, denkendes, fühlendes und handelndes Subjekt zu sein, verbunden mit einer persönlichen Identität sowie einem biographischen Narrativ. Aktuelle Konzeptualisierungen dieses vielseitigen Phänomens konvergieren in Bezug auf eine duale Differenzierung: Das minimale Selbst beschreibt das unmittelbare erlebende und Subjekt, welches den Körper bewohnt und Urheber von Gedanken und Handlungen ist. Das narrative Selbst wiederum beinhaltet ein reflektiertes Wissen dessen was es bedeutet „Ich“ zu sein. Während Störungen des Selbsterlebens vermutlich verschiedenen psychischen Erkrankungen zugrunde liegen, wird auch angenommen, dass eine Veränderung im Selbst einen zentralen Mechanismus darstellt, welcher Effekte von Achtsamkeitsmeditation auf das Wohlbefinden sowie auf soziale Fähigkeiten vermittelt. Um zu einem umfassenderen mechanistischen Verständnis dieser Prozesse beizutragen, untersucht dieses Projekt meditationsinduzierte Veränderungen im Selbsterleben.

In einem ersten Projekt werden Daten, die in einer Untersuchung an der Universität Haifa, Israel (s. Kooperationspartner/innen) mit 46 geschulten Meditierenden aufgezeichnet wurden, analysiert. Dabei handelt es sich um MEG (Magnetoencephalographie) Daten, die gemessen wurden, während die Teilnehmer/innen  durch die Meditation das minimale Selbsterleben beeinflussen sollten. Detaillierte Beschreibungen des subjektiven Erlebens (auf Basis sogenannter mikrophänomenologischer Interviews) sprechen dafür, dass verschiedene Dimensionen des minimalen Selbst dabei abgeschwächt oder ganz suspendiert waren, unter anderem die räumliche Verankerung im Körper sowie das (mental) Handelnde Selbst. In der Auswertung der Daten werden diese phänomenologischen Beschreibungen differenziert zu verschiedenen neuronalen MEG Markern in Beziehung gesetzt (spezifische Frequenz- und Konnektivitätswerte sowie Ereignis-korrelierte magnetische Felder), welche in Bezug zu den genannten Aspekten des minimalen Selbst stehen. Wir verfolgen damit den Ansatz der Neurophänomenologie, nach dem die Erforschung geistiger Prozesse explizit subjektive Beschreibungen mit einbezieht und diese wechselseitig mit neuronalen Daten in Beziehung setzt. In einer weiteren Studie, ebenfalls in Kooperation mit der Universität Haifa werden Zusammenhänge in Trait Markern von Achtsamkeit, minimalem und narrativen Selbst und sozialer Interaktion (Identität und Mitgefühl) untersucht.

In einem in Freiburg basierten Pilotprojekt verfolgen wir aufbauend auf den vorherigen Untersuchungen die Hypothese, dass Meditation multisensorische Integrationsprozesse beeinflusst, die auf Basis aktueller theoretischer Modelle dem minimalen Selbst zugrunde liegen. Dazu sollen bestehende experimentelle Verfahren, die es ermöglichen, multisensorische Integrationsprozesse mit Hilfe virtueller Realität (VR) zu manipulieren, adaptiert und angewendet werden.

Außerdem soll in einem von der BIAL Stiftung geförderten Projekt Neurofeedback eingesetzt werden, um die in der zuerst genannten Studie gemessenen neuronalen Marker in Echtzeit an geschulte Meditierende zurück zu melden. Dieser Ansatz soll es erlauben, die (kausale) Implikation dieser Marker im Meditationsprozess zu untersuchen und gleichzeitig das Verständnis der neuronalen Prozesse, die zum minimalen Selbsterleben beitragen, zu verfeinern.

Als übergreifenden theoretischen Rahmen des Projekts verwenden wir den Active Inference Ansatz. Dieser steht eng in Zusammenhang mit computationalen Modellen des Gehirns (Predictive Processing). In diesem Zusammenhang lässt sich Meditation als eine Suspension erwartungsgesteuerter geistiger und körperlicher Prozesse verstehen, was ermöglicht qualitativ neue Erlebens- und Handlungsweisen hervorzubringen. Insgesamt hoffen wir mit diesen Untersuchungen die Wirkmechanismen von Achtsamkeitsmeditation neu zu beleuchten und gleichzeitig zu einem umfassenderen Verständnis des verkörperten Selbst beizutragen.

Projektleitung:

Dr. Fynn-Mathis Trautwein

Masterstudenten:

Niklas Hein

Externe Kooperationsparter/innen:

Prof. Dr. Aviva Berkovich-Ohana
Prof. Dr. Yochai Ataria
Prof. Dr. Bigna Lenggenhager

Funding:

DFG Fellowship (2018-2019)
DFG Rückkehrstipendium 2020
BIAL Foundation

Relevante Publikationen und Ergebnisse:

Nave, O., Trautwein, F.-M., Ataria, Y., Dor-ziderman, Y., Schweitzer, Y., Fulder, S., & Berkovich-Ohana, A. (2021). Self-boundary dissolution in meditation: A phenomenological investigation. Brain Sciences, 11(819), 1–32.https://doi.org/10.3390/brainsci11060819

Berkovich-Ohana, A., Dor-Ziderman, Y., Trautwein, F.-M., Schweitzer, Y., Nave, O., Fulder, S., & Ataria, Y. (2020). The hitchhiker’s guide to neurophenomenology – The case of studying self
boundaries with meditators. Frontiers in Psychology, 11. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.01680/full.

Millière, R., Carhart-Harris, R. L., Roseman, L., Trautwein, F.-M., & Berkovich-Ohana, A. (2018). Psychedelics, Meditation and Self-Consciousness. Frontiers in Psychology, 9(September), 1475. https://doi.org/10.3389/FPSYG.2018.01475

Trautwein, F.-M., Naranjo, J. R., & Schmidt, S. (2016). Decentering the Self? Reduced Bias in Self- vs. Other-Related Processing in Long-Term Practitioners of Loving-Kindness Meditation. Frontiers in Psychology, 7, 1–14. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2016.01785

Trautwein, F.-M., Naranjo, J. R., & Schmidt, S. (2014). Meditation Effects in the Social Domain: Self-Other Connectedness as a General Mechanism? In S. Schmidt & H. Walach (Eds.), Meditation – Neuroscientific Approaches and Philosophical Implications (pp. 175–198). Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-319-01634-4