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Meditation als Erste-Person Methode in der Neurowissenschaft des Bewusstseins: Ein Vergleich des Informationsgehalts und der Zuverlässigkeit von mit Meditierenden und Nicht-Meditierenden gemessenen Erste-Person Daten in einem neuen Libet Paradigma

Um den physiologischen Daten, die in der neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung gesammelt werden, einen Sinn zu geben, besteht ein Bedarf an zuverlässigen und präzisen Methoden, welche das subjektive Erleben, bzw. die Perspektive der ersten Person erfassen. In jüngster Zeit wurden phänomenologische Befragungsmethoden entwickelt, die einen zuverlässigeren Zugang zu kognitiven Prozessen höherer Ordnung ermöglichen. Um auch einen Zugang zu subtileren kognitiven Prozessen zu ermöglichen, besteht die Notwendigkeit die introspektiven Fähigkeiten der Versuchspersonen zu verbessern. Interessanterweise gibt es in kontemplativen Traditionen eine Reihe von Praktiken, die darauf ausgerichtet sind, verfeinerte und anhaltende Formen einer nach innen gerichteten Aufmerksamkeit zu entwickeln. Daher arbeiten einige Forschungsteams jetzt mit Meditierenden zusammen, um in ihren Experimenten die Zuverlässigkeit von Introspektionsdaten zu erhöhen. Auch unsere eigenen Arbeitsgruppen hat bereits mehrere Studien mit einem besonders talentierten Meditierenden erfolgreich durchgeführt (Jo, Wittmann, Borghardt, Hinterberger, & Schmidt, 2014; Schmidt, Jo, Wittmann, & Hinterberger, 2016). Da jedoch die Annahme, dass Meditierende einen besseren introspektiven Zugang zu mentalen Prozessen haben, noch nicht empirisch getestet wurde, stehen solche Studien noch nicht auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament.

Im vorliegenden Projekt soll daher getestet werden, ob die von Meditierenden erhobenen Erste-Person-Daten präziser und zuverlässiger sind als die von Nicht-Meditierenden und ob sie für die neurowissenschaftliche Forschung aussagekräftig sind. Dazu werden 10 erfahrene Meditierende und 10 Personen einer Kontrollgruppe eine neuartige Version des Libet-Experiments zur willentlichen Bewegungsausführung durchführen und introspektive über den Entscheidungsprozess berichten. Unsere frühere Forschung mit diesem Paradigma hat gezeigt, dass positive und negative Phasen von langsamen kortikalen Potentialen (SCP) im EEG, verschiedene Auswirkungen auf das Erleben der Bewegungsausführung haben.

In unserer modifizierten Version des Libet-Experiments wird EEG-Neurofeedback in Echtzeit verwendet, um Durchgänge während positiver und negativer Phasen des SCP zu präsentieren. Die Teilnehmer*innen werden dann mit Hilfe eines sogenannten mikrophänomenologischen Interviews (MPI) zu ihrem Erleben der Bewegungsausführung während der beiden Arten von Phasen befragt. Das MPI erlaubt es, Erfahrungen von hoher zeitlicher Genauigkeit (in der Größenordnung von .25 s) zu untersuchen und ist daher besonders gut für kognitive Forschungsparadigmen geeignet. Darüber hinaus erlaubt das MPI, Strukturen des Erlebens aufzudecken, die mehrere Teilnehmenden teilen. Außerdem bietet das MPI eine Reihe von Instrumenten, um die Reliabilität und Validität der gesammelten Erste-Person-Berichte zu überprüfen. Dazu gehören eine Reihe von verbalen, paraverbalen und nonverbalen Hinweisen, sowie Verfahren der intersubjektiven Validierung und des Abgleichs dieser mit neurowissenschaftlichen Daten. Mit Hilfe dieser Instrumente sowie linguistischer Analysen werden wir die Reliabilität und Validität der von erfahrenen Meditierenden und Nicht-Meditierenden erhobenen Erste-Person-Berichte vergleichen. In Übereinstimmung mit früheren Befunden stellen wir die Hypothese auf, dass Meditierende, wenn sie mit phänomenologischen Methoden befragt werden, im Vergleich zu Nicht-Meditierenden Zugang zu tieferen Schichten des Erlebens haben und darüber berichten können und dass ihre Erste-Person-Daten als Konsequenz eine bessere Passung zu den neurophysiologischen Daten aufweisen.

Als Ergebnis erwarten wir, einen wichtigen Beitrag zum Feld der Bewusstseinsstudien und der kontemplativen Wissenschaft leisten zu können. Darüber hinaus wird unsere Studie einen Beitrag zur erfahrungsbezogenen Natur der Gehirnaktivität im Libet-Paradigma, einem der meistdiskutierten Paradigmen in den Bewusstseinswissenschaften, leisten.

 

Projektleitung:

Prof. Dr. Stefan Schmidt

 

Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen:

Lukas Hecker

Prisca Bauer, PhD

Dr. Fynn-Mathis Trautwein

 

Externe Kooperationsparter/innen:

Dr. Marc Wittmann

Han-Gue Jo
 

Funding: BIAL Foundation

Relevante Publikationen und Ergebnisse
Schmidt, S., Jo, H.-G., Wittmann, M., & Hinterberger, T. (2016). ‘Catching the waves’ – slow
cortical potentials as moderator of voluntary action. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 68,
639–650. doi.org/10.1016/j.neubiorev.2016.06.023